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Aus dem Franz, von Joachim Fischer. - 1. Aufl. - Wrzburg : Arena, 1993 (Bibliothek der Abenteuer) ISBN 3-401-04467-2 I. Auflage 1993 Alle Rechte vorbehalten 1966 by Verlag Brmeier & Nikel, Frankfurt/Main bersetzung aus dem Franzsischen von Joachim Fischer Titel der franzsischen Originalausgabe: Vingt mille lieues sous les mers Einbandgestaltung: Karl Mller-Bussdorf Gesamtherstellung: Chemnitzer Verlag und Druck GmbH, Werk Zwickau ISBN 3-401-04467-2 Am 20.7.1866 begegnete die Governor Higginson 5 sm stlich der australischen Kste der schwimmenden Masse. Kapitn Baker hielt sie zuerst fr eine neue Klippe und wollte gerade ihre Lage in die Karten eintragen, als die Masse zwei Wasserfontnen 50 m hoch in die Luft jagte. Damit sah sich Kapitn Baker vor die Alternative Inselchen mit periodisch ttigem Geysir oder bisher unbekanntes Seesugetier gestellt. Am 23.7.1866 beobachtete die Cristobal Colon in den Gewssern des Pazifik das gleiche. Dieses Tier-Ding mute also extrem schnell sein, denn es hatte in drei Tagen mehr als 700 sm zurckgelegt. 2000 sm weiter und 14 Tage spter signalisierten sich die Helvetia, unterwegs nach Amerika, und die Shannon, unterwegs nach Europa, bei ihrer Begegnung im Atlantik das Monster unter 45 15' nrdl. Breite und 60 35' westl. Lnge. Auf beiden Schiffen glaubte man, die Lnge des enormen Sugers mit 100 m richtig zu schtzen. Nicht mal die Wale der Aleuteninseln Kulammak und Umgullick erreichen dieses Ausma. Kurz darauf trafen neue Beobachtungen von Bord der Pereira ein. Dann stie die Aetna mit dem Ungeheuer zusammen. Dann folgte das Protokoll der Offiziere von der Normandie. Und als die Erhebung des Generalstabs unter Fitz-James an Bord der Lord Clyde vorlag, war bis zum Frhjahr des nchsten Jahres das Monster in Mode. Whrend der enorme Apparat ruhte, erwachten die Zeitungsredakteure, die Kabarettisten, die Schriftsteller, die Wissenschaftler und die Kaffeehausschwtzer und diskutierten den berwal, bis er vllig abstrahiert war. Da wurde das Ding wieder konkret. Am 5.3.1867 stie die Moravian unter 27 30' nrdl. Breite und 72 15' westl. Lnge nachts gegen einen Felsen, der da laut Karte nicht sein durfte. Nur der starke Rumpf des Schiffes und seine 400 PS retteten die 237 Passagiere. Einen Monat spter, am 13. April 1867, geschah der Scotia von der Cunard-Line unter 45 37' nrdl. Breite und 15 12' westl. Lnge bei ruhigem Meer, gnstigem Wind und vollkommen regelmiger Radbewegung das gleiche. Eine erschreckendere Demonstration seiner Kraft konnte das Untier nicht geben: Die Cunard-Line hatte in den 26 Jahren ihres Bestehens noch kein Schiff, keinen Mann, keinen Brief und keine Stunde Fahrtzeit verloren. Wer in der Welt Cunard als Symbol der Sicherheit angesehen hatte, fuhr verstrt empor. Die ffentlichkeit empfand die Existenz des aggressiven Gegenstandes als Bedrohung und mobilisierte eine Reihe von Ausschssen, die bei den Regierungen den Wunsch nach sauberen Meeren vortrugen und verlangten, da eine Jagd auf das groe graue Ungetm veranstaltet wrde. Und ich? Was hielt ich von diesen Vorgngen? Ich befand mich im Mrz in New York, hatte gerade eine Nebraska-Expedition im Auftrag der franzsischen Regierung abgeschlossen und wartete auf das Schiff, das mich wieder in die Heimat bringen sollte. Die Diskussion unter allen Leuten, die von dem Ding gehrt hatten und denen es ungeheuer war, langten bereits bei den lcherlichsten ichthyologischen Phantasien an. Die Insel- oder Klippenhypothese, die frher im Umlauf gewesen war, hatte man lngst aufgeben mssen, auch die Schiffsrumpf-Theorie war angesichts der frappierenden Ortsvernderungen gefallen. Am lngsten hielt sich die Mutmaung, es handle sich bei dem Unwesen um ein Unterwasserfahrzeug mit auerordentlicher mechanischer Kraft. Aber: da ein Privatmann eine solche Maschine besa, war unglaubhaft. Handelte es sich um militrische Materialtests irgendeines Landes? Der Glaube an ein Kriegswerkzeug wurde wankend, als die Staaten der Erde ihre Unbescholtenheitserklrungen abgegeben hatten. Sie fhlten sich alle bedroht, was ihren Versicherungen eine gewisse Glaubwrdigkeit verlieh. Auerdem war es unvorstellbar, da der Bau eines solchen Seeriesen unbemerkt htte vor sich gehen knnen. Damit fiel also die Hypothese vom Panzerschiff, und nur die Monster-Idee blieb noch brig. Weie Wale und Seeschlangen haben die Phantasie der Menschen ja immer sehr stark beschftigt. Da ich in Frankreich ein zweibndiges Werk ber Die Geheimnisse der Meerestiefen verffentlicht hatte, das von der gelehrten Welt mit groem Lob aufgenommen worden war, wurde ich als Spezialist in diesem noch ziemlich unklaren Teil der Naturwissenschaften hufiger zu den beunruhigenden Vorfallen befragt. Zunchst verweigerte ich jede Stellungnahme, aber nach dem Unfall der Scotia war auch ich von der Realitt der Erscheinung berzeugt und verffentlichte schlielich nach langem Bedrngtwerden einen ausfhrlichen Artikel ber die Sache im New York Herald, den ich hier in Auszgen wiedergebe: Nach dem Ausscheiden all dieser Hypothesen bleibt also nur noch das Seetier von extremen Ausmaen und Krften brig. Noch keine Sonde hat bisher die groen Tiefen der Ozeane erreicht, deshalb wissen wir nicht, was dort unten vorgeht, welche Tiere dort lebensfhig sind. Selbst fr Vermutungen gibt es nur geringe Anhaltspunkte. Nhern wir uns dem Problem rein formal, mten wir von folgender Voraussetzung ausgehen: Entweder kennen wir alle Gattungen von Lebewesen, die. unsere Erde bevlkern, oder wir kennen nicht alle. Wenn wir sie nicht alle kennen und die Natur zum Beispiel noch ichthyologische Geheimnisse in ihren Meerestiefen verborgen hlt, dann ist es durchaus vorstellbar, da eines dieser unbekannten Tiere durch Zufalle auch einmal aus den Abgrnden an die Oberflche geworfen werden kann. Wenn wir aber nicht alle lebenden Gattungen kennen, dann mssen wir das fragliche Tier in diesen Gattungen suchen, und da wre ich bereit, die Existenz eines Riesennarwals zuzugestehen. Der gemeine Narwal, das Einhorn der Meere, erreicht eine Lnge von knapp 20 m. Die Riesenausfiihrung, die der Scotia zusetzte, ist demnach 5-10 mal so lang, und im gleichen Mastab vergrert drfen wir uns seine Kraft und seine Waffe denken. Diese Waffe ist ein Hauptzahn des Narwals, zu einer Art elfenbeinernem Degen ausgebildet, den das Tier sehr sinn- und erfolgreich wie eine Lanze verwendet. Man hat schon des fteren solche Zhne in den Leibern von Walen gefunden, andere staken in Schiffskielen. Das Pariser Museum der medizinischen Fakultt besitzt ein Exemplar von 2,25 m Lnge, das an der Basis 48 cm Durchmesser hat. Wie gesagt: zehnmal so stark, zehnmal so schnell, zehnmal so massig mssen wir uns das fragliche Ungeheuer ausrechnen, und wenn wir die Masse mit der Geschwindigkeit multiplizieren, ergibt das eine sehr ordentliche Stokraft, die einen Unfall, wie ihn die Scotia hatte, durchaus herbeifuhren knnte. Bis weitere Informationen vorliegen, votiere ich also fr ein Meer-Einhorn von kolossalen Ausmaen, mit einem Sporn hnlich der Rammwaffe von Panzerfregatten, denen es an Kraft brigens gleichkommt. Das wre eine mgliche Erklrung des Phnomens, wenn die Einzelbeobachtungen stimmen. Denn da sie nicht stimmen: das wre auch mglich. Die letzten Worte waren eine meiner typischen Feigheiten: ich wollte mir eine Hintertr offenhalten, denn nichts furchtet ein Professor so sehr wie den Spott des Publikums, wenn die Realitt seine Thesen Lgen straft. Und die Amerikaner lachen krftig, wenn sie lachen. Der Artikel fand groes Interesse und wurde hitzig diskutiert. Das geschickteste an ihm war wohl, da er der Phantasie so groen Spielraum lie, denn der menschliche Geist berauscht sich gern an derartigen nicht ganz geheuren Vorstellungen unnatrlich wirkender Wesen. Das Meer ist der geeignetste Lebensbereich fr sie. Elefanten und Nashrner sind lcherliche Zwerge gegen die Sugetiere, die das Wasser bereits beherbergt hat, und vielleicht finden sich auch heute in seinen unerforschten Tiefen noch Mollusken von unbeschreiblicher Gre oder schreckenerregende Schalentiere, 100-m-Hummer und Krabben von 2001 Gewicht... Die Tiere der Urzeit hatte der Schpfer in gigantischen Formen gegossen, erst vom Verwitterungsproze der Jahrmillionen wurde ihr Ausma reduziert. Das Meer allein, das sich nie verndert, konnte in seinen unerforschten Tiefen noch einige Warenmuster der urzeitlichen Schpfungen enthalten. Warum nicht... ? Aber ich lasse mich da von meinen privaten Trumereien hinreien. Das Publikum war viel realistischer. Manchen Leuten erschien das Ganze als rein theoretisches, wissenschaftliches Problem. Die meisten aber, positive Geister vor allem in Amerika und England, forderten eine Suberungsaktion des Meeres, da sie Handel und Verkehr empfindlich bedroht sahen. Die Vereinigten Staaten handelten als erste. Der Kommandant Farragut erhielt den Auftrag, die schnelle Fregatte Abraham Lincoln auszursten und zum Auslaufen bereitzuhalten. Merkwrdigerweise war jetzt von dem Tier nichts mehr zu hren und zu sehen. Es schien fast, als habe es von der geplanten Aktion Wind bekommen, durch Abhorchen von Telegrammen am Transatlantikkabel, wie einige Witzbolde meinten. Zwei Monate lag die Abraham Lincoln auf der Lauer, da kam schlielich am 2.7.1867 die Nachricht, ein Dampfer der Linie Frisco/Schanghai habe das Tier in den nrdlichen Gewssern des Pazifik beobachtet. Jetzt erhielt Farragut Befehl, innerhalb von 24 Stunden auszulaufen. Die Mannschaft der Fregatte mit den formidabelsten Fangmaschinen der Neuzeit war komplett, die Vorrte lagen an Bord, Farragut hatte lngst Kohlen gebunkert, er brauchte nur noch anheizen zu lassen. Drei Stunden bevor die Abraham Lincoln auslief, erhielt ich folgenden Brief: Monsieur Pierre Aronnax Professor am Pariser Museum z. Zt. 5th Ave. Hotel, New York Monsieur, wenn Sie sich der Expedition mit der Abraham Lincoln anschlieen wollen, wrde die Regierung der Vereinigten Staaten sich darber freuen, da Frankreich bei diesem Unternehmen durch Sie vertreten wird. Kommandant Farragut hlt eine Kabine zu Ihrer Verfgung bereit. Mit sehr herzlichen Empfehlungen Ihr J.B. Hobson, Sekretr der Marine Drei Sekunden vor der Lektre des Briefes war ich ein Mensch mit verhltnismig normalen Wnschen und Ansichten. Drei Sekunden danach fhlte ich mich berufen und wute, da mein einziger Lebenszweck von jetzt an nur noch die Verfolgung des ungeheuren Einhorns war. Ich kam zwar gerade von einer mhseligen Reise zurck und hatte mich schon auf meine kleine Wohnung im Jardin des Plantes gefreut, auf meine Freunde auch und meine kostbaren Sammlungen, aber bei diesem Angebot von Mister Hobson verga ich all das kleine Glck. Conseil! Auerdem, dachte ich mir, fhrt zu Schiff jeder Weg nach Europa, und wieviel schner, dort mit einem Stck Riesenzahn anzukommen, mindestens 0,5 m lang, also ohne ... Conseil! Es wrde natrlich nicht so rasch gehen, denn erst fuhren wir ja mal in entgegengesetzter Richtung, aber was tut man nicht alles fr einen so grandiosen Stozahn - Conseil! Endlich erschien mein Diener Conseil, das liebe flmische Phlegma. Pack unsere Koffer! Er begleitete mich auf all meinen Reisen, ohne jemals die geringste Beschwerde ber die Dauer oder die Unbequemlichkeit der Expedition zu uern. Er war so phlegmatisch, da es ihm vllig gleich schien, ob wir nun nach China oder in den Kongo aufbrachen. Ein ausgeglichener, bestndiger, zuverlssiger Mensch, dem die berraschenden Zufalle des Lebens nur geringen Eindruck machten. Conseil besa brigens eine merkwrdige Art von Wissen, das man nicht intelligent nennen konnte: Durch den Verkehr mit den gelehrten Mnnern in unserer Wohnung im Jardin des Plantes und durch den Umgang mit den bedeutenden Stcken meiner naturwissenschaftlichen Sammlung war er ein Spezialist im Klassifizieren geworden, der mit der Zuverlssigkeit einer Tabelle auf ein Stichwort smtliche Stmme, Gruppen, Unterabteilungen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Untergattungen, Arten und Varietten herbeten konnte. Aber dieses wohlklingende Wissen existierte in seinem Kopf vllig losgelst von der wirklichen Welt. Er konnte im Aquarium noch keinen Goldfisch von einem Guppy unterscheiden. Conseil war auerdem, wie sich auf mehreren Reisen in den vergangenen zehn Jahren gezeigt hatte, fabelhaft gesund und besa Nerven aus Stahl. Er zhlte dreiig Jahre, und sein Alter verhielt sich zu meinem wie 15:20. Der Bursche hatte nur einen Fehler, der ihm allerdings nicht auszutreiben war: er redete mich stets in der dritten Person an. Und die Sammlungen von Monsieur? fragte er jetzt. Bleiben hier. Wir mssen rasch fort. Was? Archiotherium, Hyracotherium, Oreodon und all die anderen Gerippe von Monsieur bleiben... Ja! Wie Monsieur beliebt. Also, hr zu, mein Freund: Wir fahren mit der Abraham Lincoln ... Wie Monsieur beliebt. Also, um genauer zu sein: Es handelt sich um dieses Untier da ... diesen Riesen- Narwal, der verfolgt werden soll... Wie Monsieur beliebt. Es ist vielleicht ... wie soll ich sagen? ... eine Reise, von der nicht jeder wieder zurckkommt.. . Wie Monsieur beliebt. Im Kofferpacken war Conseil mindestens ebenso gut wie im Klassifizieren, denn er ordnete Hemden, Hosen, Socken und Wsche ebenso geschickt ein wie Vgel und Sugetiere. Ich zahlte in der Hotelhalle, gab den Auftrag, meine Kisten und Kasten Forschergepck nach Paris zu verfrachten und sorgfaltig meinen Hirscheber zu futtern, fr den ich ein Ernhrungskonto erffnete. Ein Pferdewagen brachte uns fr 20 Francs ber Broadway, 4th Ave. und Katrin Street zum 34. Pier, von wo uns eine Fhre nach Brooklyn bersetzte, in die Nhe des Kais, an dem mit rauchenden Schloten die Abraham Lincoln lag. Ich wurde an Bord gleich dem Kommandanten Farragut vorgestellt und bezog anschlieend meine Kabine. Sie gefiel mir, denn sie lag im Heck und stie an den Offizierssalon. Hier sind wir gut aufgehoben! So gut wie der heilige Bernhard in der Muschel. Eine halbe Stunde spter waren die Haltetaue bereits gefallen, das Go ahead! des Kommandanten drhnte ber Deck und wurde ber die Sprechanlage in den Maschinenraum weitergegeben. Die Maschinisten setzten das Rad in Bewegung, Dampf zischte, und die langen, horizontalen Stempel drhnten und trieben die Stangen der Welle immer schneller. Das Wasser unter der Schraube rauschte auf, das Schiff lste sich langsam vom Kai und zog majesttisch im Gefolge einer Vielzahl von Fhren, kleinen Schleppern und Barkassen ins offene Wasser. Die Fahrt ber den Hudson glich einem Triumphzug; auf den Barkassen und am Ufer huften sich die winkenden und taschentuchschwenkenden Schaulustigen. Die Forts, welche die Fregatte in Richtung New Jersey passierte, grten mit Salutschssen, und Farragut lie zur Antwort dreimal die amerikanische Bundesflagge aufziehen. Am Sandy Hook, einer Landzunge, standen noch einmal Tausende von Zuschauern und klatschten Beifall, als die Fregatte vorberzog. Schlag 15 Uhr ging der Lotse von Bord, der Dampfdruck wurde erhht, die Schraube lief rascher, das Schiff strich lngs der gelben, niedrigen Kste von Long Island und lief abends um 20 Uhr, nachdem die Feuer von Fire Island im Nordwesten zurckgeblieben waren, mit voller Kraft in die dunklen Wasser des Atlantik. Farragut war ein tchtiger Seemann, zusammen mit der Lincoln ein Schiff und eine Seele. Wie jeder gute Seemann war er dem Gedanken eines Seeungeheuers gegenber sehr aufgeschlossen und hatte nicht die geringsten Zweifel an der Existenz des Einhorns, zu dessen Verfolgung er aufgebrochen war. Er hatte geschworen, das Meer von dem Monster zu befreien, deshalb gab es nur noch die Alternative Farragut-ttet-Monster oder Monster-ttet-Farragut, eine dritte Mglichkeit war ausgeschlossen. Selbstverstndlich teilten die Offiziere seine Meinung. Die Aussicht auf das bevorstehende Abenteuer war der Gegenstand aller Gesprche an Bord, und manch einer offenbarte eine berraschende Neigung fr den Dienst im Ausguck des Mastkorbs. Smtliche Masten mit ihrem Takelwerk hingen tagsber voller Matrosen, obwohl noch nicht einmal der Pazifik erreicht war kein Wunder, denn Farragut hatte eine Prmie von 2000 Dollar fr die erste Sichtmeldung ausgesetzt. Auch mich trieben Unruhe und Neugier Tag fr Tag an Deck. Conseil war der einzige, der das Unternehmen gewhnlich fand. Ich habe ja die fabelhafte Ausrstung mit Fanggerten bereits kurz erwhnt, welche die Abraham Lincoln mit sich fhrte. Von der Harpune bis zu explodierenden Geschossen war alles vorhanden, selbst ein kleinkalibriges, weittragendes Geschtz, das der ffentlichkeit auf der Weltausstellung im folgenden Jahr zum erstenmal vorgestellt werden sollte, war an Deck montiert. Es fehlte also nicht an Mordwaffen neuesten Modells. Aber das Schiff besa noch mehr: den Knig der Harpuniere. Ned Land. Dieser Kanadier war etwa vierzig Jahre alt, eine krftig gebaute Zweimeterfigur, ernst, wortkarg, reizbar und aufbrausend, kurz: ein Mann, der, wo er ging und stand, Aufmerksamkeit erregte. Er konnte Farragut mit seinem scharfen Blick und sicheren Arm ebenso ntzlich sein wie die brige Mannschaft zusammen. Mir kommt der Vergleich: ein Teleskop, das auch eine stets schubereite Kanone ist. Wohl weil ich Franzose war, zeigte Ned Land sich mir gegenber etwas freundlicher und aufgeschlossener als gewhnlich; mit mir konnte er reden, und er gab mir dabei zugleich Gelegenheit, das rabelaissche Idiom zu genieen, das in einigen Gegenden Kanadas noch gesprochen wird. Er stammte, wie die Reihe seiner Vorfahren, aus Quebec; und nachdem er aufgetaut war, begann er oft von allein aus seinem Leben zu 8 erzhlen, er sprach von seinen Abenteuern und Kmpfen, und seine Erzhlung, mit der poetischen Kraft des Natrlichen ausgestattet, weitete sich zu einem Epos vom Walfang und den nrdlichen Meeren, zur Odyssee eines kanadischen Homer. Ach Ned! Wir sind Freunde geworden, und ich wnschte, ich wrde noch hundert Jahre leben, nur um zu wissen, da es dich gibt! Ans Einhorn brigens glaubte er nicht. Wir saen einmal an einem prachtvollen Abend drei Wochen nach unserer Abfahrt gemeinsam auf dem Achterdeck und sprachen miteinander, whrend wir aufs Meer hinaussahen. Ich wog die Erfolgschancen unseres Unternehmens ab. Land lie mich reden, ohne zu antworten, und ich fragte ihn geradezu: Sagen Sie, Meister, warum sind Sie eigentlich so skeptisch, was das Einhorn betrifft? Haben Sie besondere Grnde, nicht an seine Existenz zu glauben? Der Knig der Harpuniere sah mich eine Zeitlang schweigend an, schlug sich dann mit der Hand gegen die hohe Stirn (eine Bewegung, die ihm zur Gewohnheit geworden war) und sagte mit geschlossenen Augen: Vielleicht schon, Monsieur Aronnax. Aber Sie sollten der letzte sein, der so was bezweifelt! Sie, ein Jger von Grosugern, Sie knnen sich doch am ehesten ein Bild dieses Einhorns machen ... Umgekehrt, umgekehrt. Die Masse glaubt gern an Kometen, an urweltliche Ungeheuer, aber weder der Astronom noch der Biologe lassen derlei Hirngespinste gelten. Ich habe eine Menge Seetiere erlegt, aber es gab keins darunter, das stark genug gewesen wre, einem Schiff ernstlichen Schaden zuzufgen. Na, es gibt aber doch durchaus Flle, wo ein Narwal Schiffe mit seinem Dorn durchbohrt. . . Hlzerne vielleicht. Aber keine Eisenplatten. Ich merke schon, da auch bei Ihnen dieses Seeungeheuer zu den Glaubensartikeln gehrt. Narwal mit Riesenzahn! Warum denn nicht ein Riesenpolyp? Nein, Meister, diese Mollusken haben ein viel zu weiches Fleisch. Selbst eine 100- m-Krake knnte Schiffen wie der Scotia oder der Abraham Lincoln nichts anhaben. Es mu ein sehr krftig gebautes Sugetier aus der Klasse der Wirbeltiere sein. Es ist doch ganz logisch, wenn ein solches Tier Tausende von Metern unter der Wasseroberflche lebt, da es sehr widerstandsfhig sein mu. Wieso? Weil es den enormen Druck aushalten mu, der in den tieferen Schichten des Meeres herrscht. Sie wissen, da man in der Physik den Druck, den l kg Wasser, also 1000 cm3, auf l cm2 ausbt, mit l at bezeichnet. Wenn Sie also 10 m tief tauchen, ist Ihr Krper - da seine Oberflche ca. 20 000 cm2 mit - einem Druck von 20 000 kp ausgesetzt. In 100 m Tiefe wirken 200 000 kp auf Sie ein, in 1000 m Tiefe 2 000 000 kp, in 10 000 m Tiefe 20 000 000 kp! Der Luftdruck ist brigens etwas grer als l at, deshalb lasten in diesem Augenblick schon mehr als 20 000 kp Gewicht auf Ihrem Krper. Nur merken Sie nichts davon, weil diesem Druck der Druck der Luft innerhalb Ihres Krpers entgegen wirkt, der sich mit dem ueren genau ausgleicht. Darauf knnen Sie aber im Wasser nicht zhlen. Sie meinen, weil mein Krper nicht mit Wasser gefllt ist, das Gegendruck ausbt? Richtig. 10 km Meerestiefe mit ihrem Druck von 20 000 t wrden Sie platt drcken wie eine hydraulische Presse. Den Teufel auch! Und Tiere von der Gre dessen, das wir verfolgen, deren Krperoberflche Millionen von cm2 mit, mssen Milliarden kp Druck aushalten. Daraus darf man schon folgern, da sie recht krftig gebaut sind. Jetzt stellen Sie sich nur noch vor, da eine solche Masse Tier mit der Geschwindigkeit eines ber Land fahrenden Schnellzugs auf einen Schiffsrumpf stt, dann werden Ihnen die Beschdigungen nicht mehr so unglaublich erscheinen ... Tjaaa ... , sagte der Kanadier gedehnt. Habe ich Sie berzeugt? Sie haben mich davon berzeugt, da, wenn es in sehr groen Tiefen Tiere gibt, diese einen sehr widerstandsfhigen Organismus haben mssen. Ja, aber wenn es diese Tiere nicht gibt, wie erklren Sie sich dann den Unfall der Scotia? Tja... Na? Na, vielleicht damit, da die Geschichte gar nicht wahr ist! Aber diese Antwort lie nur die skeptische Verbohrtheit des Kanadiers erkennen, denn am Unfall der Scotia gab es nun wirklich keinen Zweifel. Das Loch war so gro, da man es stopfen mute, um nicht abzusaufen; einen besseren Beweis fr ein Loch kann ich mir nicht denken. Da es Felsen oder Klippen um die Unfallstelle herum nicht gab, mute es von einem Tier herrhren. Meiner Ansicht nach gehrte dieses Wesen zu den Wirbeltieren, Klasse der Suger, Gruppe der fischfrmigen, Ordnung der walfischartigen. Zur Bestimmung der Familie allerdings htte man das Untier zerlegen mssen, um es zerlegen zu knnen, htte man es fangen mssen, um es fangen zu knnen, htte man es harpunieren mssen, um es harpunieren zu knnen, htte man es sehen mssen, damit aber haperte es. Augen auf! hie die Losung der Mannschaft, aber schon seit Wochen verlief unsere Fahrt ergebnislos. Am 30. Juli begegnete die Fregatte amerikanischen Walfangern bei den Falklandinseln, und Ned Land benutzte die Gelegenheit zu einem Probestckchen seiner Kunstfertigkeit. Innerhalb von wenigen Minuten harpunierte er zwei Wale. Am 3. August passierten wir am Cabo Virgenes die Einfahrt zur Magelhaesstrae, die Farragut aber nicht benutzen wollte. Am 6. August dann, um 15 Uhr, umfuhren wir mit einem Abstand von 15 sm das Kap Hoorn, gingen auf Kurs Nordwest und drangen in die Gewsser des Pazifik ein. 10 Von der Aussicht auf 2000 Dollar geweitet, suchten Hunderte von Augen jetzt bestndig die Umgebung der Fregatte ab. Mich bewegte das Geld nicht, trotzdem war auch ich immer auf Posten, schlang mein Essen in wenigen Minuten hinunter und schlief nur wenige Stunden. Alle falschen Alarme erlebte ich ebenso aufgeregt mit wie Offiziere und Mannschaft. Nur Ned Land, der Mann mit den schrfsten Augen an Bord, lie sich kaum an Deck sehen. Von zwlf Stunden brachte er acht Stunden mit Lesen und Schlafen zu. Als ich ihn eines Tages deswegen zur Rede stellte, zeigte sich, da er statt seiner Augen den Kopf gebraucht hatte, denn er erklrte mir: Seit das Tier gesehen wurde, sind schon wieder zwei Monate vergangen. Den Berichten nach hlt sich das Einhorn aber nicht gern lange an einem Ort auf. Warum sollte es auch? Nach Ihren Berechnungen kann es sich ja sehr rasch fortbewegen, und da wir wissen, da die Natur nichts Unntzes tut, wird zu dieser Fhigkeit rascher Bewegung auch das Bedrfnis nach hufiger Ortsvernderung gehren. Welche Aussichten haben wir also, das Tier auf unserem braven Kurs zu der Stelle, an dem es zuletzt beobachtet wurde, zu sehen? Alle und keine. Wir knnen die Dinge also ruhig dem Zufall berlassen. Am 20. August berschritten wir den Wendekreis des Steinbocks, am 27. den quator am 110. Meridian. Jetzt ging die Abraham Lincoln auf vollen Westkurs, denn Farragut war der Ansicht, da es mehr Sinn htte, in den tiefen Gewssern des Pazifik zu suchen, als in der Nhe irgendwelcher Ksten. Nachdem wir den Wendekreis des Krebses bei 132 Lnge berschritten hatten, nherten wir uns den chinesischen Meeren, und damit den Gewssern, in denen das Tier zuletzt beobachtet worden war. Die Aufregung stieg betrchtlich. Die Mannschaft a nur noch unregelmig, was ihre Nervositt steigerte, und mindestens zwanzigmal tglich wurde blinder Alarm gegeben, wurden harmlose Grofische gejagt, bis der Irrtum sich herausstellte und die Fregatte wieder beidrehte. Die hufige Spannung und Enttuschung blieb natrlich nicht ohne Eindruck auf die Gemter. Nachdem die Abraham Lincoln zwei Monate lang alle nrdlichen Gegenden des Pazifik durchfahren hatte, alle Walfische angelaufen, gekreuzt, gejagt und gewendet hatte, gerast und geschlendert war und keinen Punkt zwischen Japan und Amerika unberhrt gelassen hatte, ohne Riesen-Narwal, schweifende Klippen oder sonstige Unnatrlichkeiten zu entdecken, begann die Mannschaft zu meutern. Die anfangs so zuversichtliche Stimmung hatte sich grndlich gendert, und der Unmut, mit dem man die Fortsetzung der Fahrt ertrug, bestand zu dreiig Prozent aus Scham, zu siebzig Prozent aus Zorn darber, da man so einfaltig gewesen war, sich von einer Chimre narren zu lassen. Nach der Aufmerksamkeitswelle setzte bei der Mannschaft jetzt eine demonstrative Fre- und Schlafwelle ein. Am 2. November forderte eine Abordnung von Kommandant Farragut, er solle umkehren. Farragut sah ein, da ihm angesichts der Erfolglosigkeit ihrer Fahrt nichts anderes brigblieb, doch erbat er sich, wie Kolumbus, noch drei Tage. Hatte sich danach das Tier nicht gezeigt, wollte er europische Meere ansteuern. Dieses Versprechen besserte die Laune, und die Mnner gaben sich alle Mhe, die Aufmerksamkeit des Tieres zu erregen. Die Fregatte lag unter nur schwachem 11 Dampf, Boote kreuzten um sie, ungeheure Speckstcke wurden zu Wasser gelassen, zogen allerdings nur Haie an. Am 5.11. lief der Termin ab. Wir befanden uns damals unter 31 15' nrdl. Breite und 136 42' stl. Lnge. Japan lag kaum 300 sm unterm Wind entfernt. Um 20 Uhr abends war der Mond im ersten Viertel von Gewlk verschleiert, das Meer schlug ruhig an die Spanten. Es war sozusagen der letzte Augenblick, alle Mann befanden sich an Deck und sphten in die Nacht. Conseil, Ned Land und ich beobachteten nach Steuerbord. Conseil hielt mir eine lange Rede ber die Unsinnigkeit unseres Tuns, mit der ich sechs Monate meines kostbaren Forscherlebens vergeudet hatte, als Ned Land mit fester Stimme rief: Das gesuchte Ding ahoi! Querab von uns unter Wind. Auf diesen Ruf strzte alles nach Steuerbord, und da sah man, da sich die trefflichen Augen des Kanadiers trotz der Dunkelheit nicht getuscht hatten. Zwei Kabellngen von der Fregatte entfernt schien das Meer von innen heraus erleuchtet. Das war kein bloes Phosphoreszieren, sondern das Ungeheuer unter der Oberflche warf einen starken Glanz, von dem auch mehrere Kapitne berichtet hatten, der aber ganz unerklrlich war. Wir sahen jetzt alle das erleuchtete Oval mit seinem glhenden Zentrum und den stufenweise schwcher werdenden Strahlenringen. Phosphoreszierende Einzeller! meinte einer der Offiziere. Durchaus nicht, Monsieur! antwortete ich bestimmt. Seetnnchen oder Salpen knnen niemals ein derart starkes Licht erzeugen. Das dort... das ist elektrisch! Da begann sich die Lichterscheinung auch schon zu bewegen und kam auf uns zu. Farragut lie sofort die Maschinen rckwrts laufen, der Dampf wurde gehemmt, und die Abraham Lincoln beschrieb einen Halbkreis nach links. Steuer hart steuerbord! Volle Kraft voraus! Und die Fregatte entfernte sich rasch von der leuchtenden Stelle. Aber das Untier verfolgte sie, der Abstand verringerte sich rasch wieder, das Tier bewegte sich doppelt so schnell wie wir! Bestrzung und Furcht lahmten uns, denn das Tier beherrschte uns spielend. Es umzog die Fregatte in weiten leuchtenden Kreisen, entfernte sich, nahm Anlauf direkt auf uns zu, tauchte unterm Kiel weg, verlosch, war wieder da und konnte jeden Augenblick mit uns zusammenstoen. Statt anzugreifen, floh die Abraham Lincoln, statt zu verfolgen, wurde sie verfolgt. Farragut zeigte ein unbeschreiblich bestrztes Gesicht, als ich ihn aufsuchte. Er wollte whrend der Nacht nicht zum Angriff bergehen, da man nicht wissen konnte, mit was fr einem Ungeheuer man es hier zu tun bekam. Ich kann meine Fregatte nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen, Monsieur Aronnax! sagte er. Warten Sie den Tag ab, dann sollen die Rollen schon wechseln. Vielleicht darf man dem Tier ebensowenig nahe kommen wie einem Zitterrochen. Farragut erbleichte. Es ist das frchterlichste Geschpf aus Gottes Hand, sagte er. Ich habe allen Grund, vorsichtig zu sein. Da die Fregatte nicht fliehen konnte, hielt sie sich unter schwachem Dampf die Nacht lang am gleichen Ort, und auch der Narwal lie sich von den Wellen schaukeln. Um Mitternacht verlosch er, eine Stunde spter jedoch wurde ein starkes Zischen hrbar, das Ned Land als typisches Walzischen - wenngleich hundertmal verstrkt - identifizierte. 12 Mit Verlaub, Kommandant, sagte der Kanadier, morgen bei Tagesanbruch mchte ich zwei Worte mit ihm reden. Wenn es Ihnen eine Audienz gewhrt. Ich brauche ihm nur auf vier Harpunenlngen nahe zu kommen, dann wird es mich schon anhren mssen. Dazu wollen Sie wahrscheinlich ein Fangboot von mir haben? Genau. Ich soll das Leben meiner Leute aufs Spiel setzen? Wie ich das meine. Whrend der Nacht wurden die Kanonen vorbereitet. Harpunenschleudern und Geschtze fr explodierende Kugeln, denen selbst die strksten Tiere nicht widerstehen drften. Ned Land legte lediglich seine Harpune zurecht. Um 6 Uhr begann der Tag zu grauen, und mit dem ersten Schimmer der Morgendmmerung verschwand der elektrische Glanz des Tieres. Gegen 7 Uhr war es vllig hell, doch ber der Wasserflche lag dichter Morgennebel, der sich nur schwer hob. Aber selbst als bis zum Horizont wieder klare Sicht herrschte, blieb das Tier unsichtbar. Dann meldete, wie am Abend zuvor, der Kanadier: Das Ding backbord voraus! Und richtig: dort tauchte in einer Entfernung von 1,5 sm der schwrzliche Krper des Tieres aus dem Wasser. Sein Schwanz peitschte die Wellen und erzeugte eine weischumende, endlos breite Kielspur, als es seine Bahn zog. Die Abraham Lincoln kam jetzt nahe genug heran, da man die Lnge schtzen konnte (wohl 90 m) und auch sah, wie das Tier aus seinen beiden Luftlchern Wasserdampfstrahlen in mindestens 40 m Hhe schleuderte. Ein derartiger Atemvorgang besttigte die Klassifizierung, die ich nach den bisherigen Angaben bereits gemacht hatte. Nur die Familie blieb, wie gesagt, noch unklar, aber auch sie hoffte ich mit Gottes und des Kommandanten Hilfe bald dingfest zu machen. Farragut lie jetzt die Kessel unter Druck setzen, was bedeutete, da die Stunde des Kampfes geschlagen hatte. Hurrageschrei der Mannschaft belohnte seinen Entschlu. Bereits nach wenigen Augenblicken zitterten die Deckplanken unter dem gestauten Druck der Kessel, und die Fregatte legte mit voller Kraft voraus auf das Tier los. Der Narwal lie uns bis auf eine halbe Kabellnge herankommen, drehte dann still ab und lie sich verfolgen, immer gleichen Abstand haltend. Nach 45 Minuten Jagd hatten wir genau nichts erreicht, und es war klar, da wir dieses Tier nur mit seinem Einverstndnis oder mit List fangen wrden. Ned Land schlug vor, sich ganz vorn im Bug mit seiner Harpune zu postieren. Farragut lie den Dampfdruck noch weiter erhhen, und die Abraham Lincoln machte jetzt die abenteuerliche Geschwindigkeit von 18 kn. Aber das Biest vor uns hielt spielend die gleiche Geschwindigkeit. Nach einer weiteren Stunde war die Wut der Mannschaft auf dem Siedepunkt. Farragut lie den Ersten Ingenieur kommen. Haben Sie den hchsten Dampfdruck? Jawohl. Klappen gestellt? 13 Auf 6,5 at. Stellen Sie sie auf 10! Ich wandte mich an Conseil, als ich diesen Befehl hrte. Weit du, da wir wahrscheinlich mit einer Kesselexplosion in die Luft gejagt werden? Wie es Monsieur beliebt, antwortete er. Wie zum Scherz lie uns das Tier manchmal nher herankommen, so da Ned Land schon die Harpune schwang und brllte: Wir haben ihn! Wir haben ihn!, aber dann zischte es pltzlich doppelt so rasch davon. Das sinnlose Manver dauerte bis zum Mittag, dann endlich sagte Farragut: O.K. Schon gut! Verstanden! Das Mistvieh ist tatschlich schneller als die Abraham Lincoln. Dann wollen wir doch mal sehen, wie ihm unsere Spitzgeschosse schmecken. Der erste Schu ging meterhoch ber das Tier hinweg. Ein anderer an die Kanone! brllte Farragut. 500 Dollar dem, der das Vieh trifft! Ein alter Graubart trat heran, ein ruhiger, kalter Zieler, der richtete und visierte lange. Sein Schu war besser, aber das Gescho prallte an der runden Oberflche des Tieres ab. Fuckin son of a bitsch! schrie der Alte auer sich vor Zorn. Der Schuft ist faustdick gepanzert! Auch Farragut fluchte gottserbrmlich, lie wieder aufheizen und wollte verfolgen, bis ihm die Kessel platzten. Er hoffte darauf, da das Tier ermden wrde, da es sich mit der Ausdauer einer Dampfmaschine nicht messen knnte. Aber mit all diesen Hoffnungen war es nichts. Zwar kmpfte die Fregatte tchtig mit und lief an diesem 6.11. bis zum Abend mindestens 500 km, aber das Tier blieb unerreichbar. Mit der Dunkelheit kam das Wesen wieder aus unserem Blickfeld, und ich frchtete schon, unsere Expedition sei endgltig zu Ende, als sich um 22.50 Uhr der elektrische Lichtkreis wieder zeigte, drei Seemeilen vor der Fregatte, rein und stark wie in der vergangenen Nacht. Der Narwal schien jetzt unbeweglich. Schlief er? Walfanger greifen ihre Beute oft mit groem Erfolg an, wenn die Tiere auf offener See schlafen. Ned Land nahm seinen Posten am Bugspriet wieder ein. Die Fregatte pirschte sich geruschlos immer nher an das leuchtende Oval heran. Als wir noch 30 m vom Brennpunkt entfernt waren, war der Glanz bereits so stark, da er die Augen blendete. In diesem Augenblick sah ich die Silhouette des Kanadiers vor mir, wie er sich hoch aufreckte und mit seinem starken Arm die tdliche Harpune schwang. Aus 6 m Entfernung schleuderte er die Waffe hinab, und ich hrte ganz deutlich den scharfen Klang des Aufpralls, als habe sie einen metallischen Gegenstand getroffen. Sofort erlosch das Licht, und zwei enorme Wasserstrudel entluden sich ber das Deck der Fregatte, warfen die Mannschaft zu Boden und zerrissen die Halteseile. Ein entsetzlicher Sto schleuderte mich ber die Reling ins Meer. 14 Ich hatte den Halt, aber nicht den Kopf verloren. Ich empfand genau, was mir geschah: das Aufschlagen nach dem Sturz, das Eintauchen 5-6 m tief ins Wasser und die automatische Reaktion meiner Beine in Schwimmsten. Ich schwimme nicht so gut wie die Herren Byron und Poe, aber doch so, da zunchst kein Grund zur Unruhe bestand. Erst nach einer ganzen Weile konnte ich die Fregatte ausmachen, eine schwrzliche Masse mit leuchtenden Feuerpartikeln, die in der Ferne verschwand. Hatte man meinen Sturz gar nicht bemerkt? Hatte Farragut denn kein Boot herabgelassen? Ich begann zu spren, wie mich, zuerst nur ganz leicht, Verzweiflung anrhrte. Mit ausholenden Armbewegungen versuchte ich, der Fregatte nachzuschwimmen. Hierher! Hierher! Aber beim Rufen schluckte ich Wasser, was mich erschreckte, und ich fhlte meine Kleider und Schuhe schwer an meinem Krper kleben; sie behinderten mich; ich sank, wollte rufen, schluckte Meerwasser, hustete, sank und prustete ... Hilfe! Und da fhlte ich mich am Kragen gepackt, hochgezogen und gehalten, und ich hrte die wohlwollend gesprochenen Worte: Wenn Monsieur die Gte haben, sich auf meine Schultern zu sttzen, geht es gleich viel besser mit dem Schwimmen! Conseil! Hat's dich auch ins Meer geschleudert? Keineswegs. Aber da Monsieur durch das Gehalt, das Monsieur mir zahlt, einen Anspruch auf meine Dienste hat, bin ich Monsieur nachgesprungen. Und die Fregatte? Vergessen wir die Fregatte. Wieso das? Bevor ich sprang, hrte ich, wie Schrauben- und Steuerschaden gemeldet wurde. Beides ist zerbrochen, die Abraham Lincoln treibt manvrierunfhig ... Zerbrochen? Zernagt, wenn Monsieur so will. Durch den Zahn des Ungeheuers. Dann ist also guter Rat teuer ... Wie man's nimmt, sagte Conseil. In unseren Muskeln stecken noch einige Stunden Schwimmen, und in einigen Stunden kann sich einiges ndern. Conseil kam jetzt dicht an mich heran und hielt ein Messer in der Hand. Ich mchte mir einen etwas indiskreten Schnitt erlauben, sagte er, fuhr mit der Klinge unter meine bleischwere Kleidung und schlitzte sie von oben bis unten auf. Ich leistete ihm den gleichen Dienst, und wir schwammen beide erleichtert weiter. Wir redeten eine Weile ber die Mglichkeit einer Rettung von der Fregatte her, aber wir merkten bald, wie uns das anstrengte und auch demoralisierte, da es immer offensichtlicher wurde, da man nichts zu unserer Bergung unternommen hatte. Conseil war zu phlegmatisch, um sich darber aufzuregen; sein Kopf entwickelte vielmehr einen simplen, aber praktischen Plan: Wir muten uns darauf gefat machen und einrichten, sehr lange zu warten, bis vielleicht doch noch ein Boot von der Abraham Lincoln kommen wrde, und dazu teilten wir unsere Krfte auf. 15 Whrend der eine auf dem Rcken liegend den toten Mann spielte, schwamm der andere und schob ihn mit leichten Sten vor sich her. Alle zehn Minuten wechselten wir die Rollen und hofften, so bis Tagesanbruch aushalten zu knnen ... Schwache Hoffnung! Aber tief verwurzelt im Herzen des Menschen, strker als jede Vernunft. Was uns vor der Verzweiflung am besten schtzte, war die Tatsache, da wir zu zweit hier schwammen. Ich mochte noch so oft versuchen, khl und nchtern ber unsere Lage zu urteilen, ich schaffte es nicht, verzweifelt zu sein und mich vllig zu desillusionieren. Obwohl das Meer ziemlich ruhig lag, fhlte ich bereits gegen l Uhr morgens, also zwei Stunden nach dem Zusammensto, Ermdung. Unter heftigen Krmpfen wurden meine Glieder steif, ich mute mich auf Conseil sttzen, der ebenfalls bald zu keuchen und kurz zu treten anfing. La mich, Conseil, sagte ich. Monsieur im Stich lassen? Eher will ich ersaufen! In diesem Augenblick wurde der Mond durch die Wolkendecke sichtbar, und seine Strahlen lieen die Wasserflche aufschimmern. Das gab uns wieder etwas Mut, ich versuchte mich hochzurecken und den Horizont zu berblicken. Ganz kurz sah ich die Fregatte, vielleicht 5 sm von uns entfernt, kaum noch erkennbar. Nirgends ein Boot. Ich wollte rufen, aber die grenzenlose Enttuschung und die geschwollenen Lippen lieen es nicht zu. Conseil schrie ein paarmal um Hilfe in die Nacht. Und da schien mir, als kme Antwort auf seinen Ruf. Wir hielten sofort inne. Hast du gehrt? Ja! Und er schrie gleich noch einmal. Diesmal hrten wir deutlich die Antwort einer menschlichen Stimme. Noch ein Opfer? Oder die Antwort vom Suchboot? Conseil richtete sich mit groer Anstrengung auf meine Schulter gesttzt empor, hielt Ausschau, whrend ich versank, und versuchte dann, nachdem er mich ein zweites Mal gerettet hatte, zu erklren, was zu sehen war: Ich sah ... ich sah ... ich habe gesehen... Dann schttelte er den Kopf, winkte und schwamm los, mich hinter sich herziehend. Wir bewegten uns mit letzter Kraft, und die Orientierungsrufe, die Conseil zwischendurch ausstie, wurden immer schwcher. Aber die andere Stimme kam immer deutlicher aus dem Dunkel. Ich ffnete den Mund, um ebenfalls zu rufen, und da blieb die Kinnlade krampfhaft geffnet, wieder drang Wasser in mich hinein, ich war starr vor Schrecken und Klte, versuchte zu schlucken, sank, unfhig mich zu bewegen ... da erhielt ich einen krftigen Sto, mein Krper schlug an einen Gegenstand, und ich fand die Kraft wieder, mich anzuklammern. Man ri mich empor, aus dem Wasser, aber ich sprte noch, wie ich die Salzlauge erbrach, dann verlor ich das Bewutsein. Ich bin dann wohl durch das krftige Reiben, das man mit meinem Krper veranstaltete, wieder aufgewacht. Conseil war der erste, den ich erkannte. Dann sah ich die andere Gestalt ganz deutlich im Mondlicht: Ned Land. Was, Ned Land! Sind Sie auch von dem Sto ins Meer geschleudert worden? Allerdings, meiner Harpune nach. Aber ich hatte mehr Glck als sie, denn ich konnte gleich auf einem kleinen Inselchen Fu fassen. Inselchen? 16 Oder Rieseneinhorn, wenn Sie wollen. Jedenfalls wurde mir ziemlich klar, warum meine Harpune nicht eindringen konnte. Und warum nicht? Weil Ihr fischiger Meersuger aus Eisenplatten gemacht ist, Herr Professor. Und diese Bemerkung war es, die mich wieder vllig zu Bewutsein brachte. Ich sprang auf und trat mit dem Fu gegen den Grund, auf dem wir standen. Offenbar ein harter Stoff: ein knochenartiger Schild vielleicht? Mute ich das Tier unter die amphibisch lebenden Reptilien einreihen? Eine Art urzeitlicher Schildkrte oder Alligator? Aber nein! Dieser schwrzliche Rcken war nicht schuppig, sondern glatt und poliert! Der Ton beim Klopfen war metallisch, und so unglaublich das schien, der Krper bestand aus regelrecht genieteten Eisenplatten. Kein Zweifel: das Wundertier, das Ungeheuer, das Naturschauspiel, das die gesamte Gelehrtenwelt gefoppt und dessentwegen die Seeleute beider Hemisphren den Kompa verloren hatten, war ein noch greres Wunder, als jeder glauben mochte: ein Wunder von Menschenhand. Denn da ein Gott Wunder laufen lt, ist nicht weiter aufregend, es gehrt zu seinem Geschft. Aber das Unmgliche pltzlich auf mysterise, aber menschliche Art verwirklicht zu sehen, das kann einem den Kopf schon verwirren. Kein Zweifel also daran, da wir uns an Deck eines Unterseefahrzeugs befanden, das, soviel ich jetzt sehen konnte, Fischform besa. Aber wenn das ein Fahrzeug ist, sagte ich, dann hat es eine Maschine zur Fortbewegung, und dann hat es Maschinisten und eine Mannschaft... Sicher, antwortete Ned Land, obwohl sich das Ding seit den drei Stunden, die ich auf ihm hocke, noch nicht gerhrt hat. Gut, aber wir wissen doch, da es fahren kann, da es sich gerhrt hat. Dazu braucht's eine Maschine. Und einen Maschinisten. Und daher sind wir wohl gerettet. Hm. In diesem Augenblick begann an einem Ende des Apparats ein starkes Brausen, das offenbar von einer Schraube herrhrte, denn wir setzten uns in Bewegung. Das war zunchst fr uns noch nicht gefahrlich, da das obere Teil des Fahrzeugs 80 cm aus dem Wasser ragte. In dem Augenblick aber, wo es dem Fahrzeugfhrer einfallen wrde, auf Tauchstation zu gehen, waren wir verloren. Wir muten uns deshalb so rasch wie mglich mit den Menschen im Innern in Verbindung setzen. Da der Apparat nur mige Fahrt machte, schritt ich vorsichtig den aus dem Wasser ragenden Teil des Rumpfes ab, doch ich fand nur lckenlos aneinandergefgte Platten, nirgends den Anschein einer Luke. Aber es mute eine ffnung da sein, mit der die Mannschaft Luft aufnahm, wenn das drinnen gespeicherte Atemgas verbraucht war. Oder bereiteten sie ihre Luft selbst zu, mit einem Gert womglich, wie es Reiset & Regnault entwickelten? Die Schraube, die sich mit mathematischer Regelmigkeit drehte, wurde um 4 Uhr morgens pltzlich schneller. Oft traf uns der volle Schlag der Bugwelle, und wir konnten uns dann kaum auf dem Fahrzeug halten. Zum Glck entdeckte Ned Land einen Ring, an dem er sich festhalten konnte, und damit bot er auch uns gengend Halt. Es dauerte unendlich lange, bis diese Nacht vorber war. Klte, Krampf, Nsse 17 und bermdung hatten mich apathisch gemacht, und ich kann mich kaum noch an das erinnern, was mit uns vorging. Nur einen Eindruck bewahrte ich mit Deutlichkeit: Mir schien manchmal, als drngten Tonfetzen zu mir heran, verwischte ferne Akkorde, die sich im Zischen der Bugwelle auflsten. Welche Geschpfe bewohnten dies seltsame Fahrzeug? Und mit welcher mechanischen Kraft erzeugten sie diese unerhrte Geschwindigkeit? Frhmorgens lagen wieder Nebel ber dem Wasser, verflchtigten sich jedoch bald. Ich wollte gerade eine neue Untersuchung unseres Fahrzeugs beginnen, als wir merkten, wie der Apparat tiefer sank. He, zum Teufel! brllte Ned Land und trat mit aller Wucht gegen die eisernen Planken. Warum so ungastlich! Macht doch endlich mal die Klappe auf! Wir glaubten zunchst nicht, da man das Trampeln im Innern gehrt habe, aber die Tauchbewegung wurde pltzlich unterbrochen. Es ertnte ein metallisches Rasseln aus dem Innern, eine Platte des Verdecks hob sich, und ein Mann erschien in der Luke. Als er uns sah, stie er einen Schrei aus und verschwand sofort wieder. Wenige Augenblicke spter kamen acht starke Mnner mit Gesichtsmasken an Deck, packten uns und schleiften uns in den Leib dieses technischen Monsters. All das geschah blitzschnell. Ich wei nicht, was meine Kameraden sich dabei dachten, ich jedenfalls sprte einen kalten Schauer bei diesem Empfang, der an Piraten erinnerte. Ich fhlte eine eiserne Treppe unter meinen nackten Fen, konnte aber nichts sehen, denn nachdem sich die Einstiegsluke wieder geschlossen hatte, herrschte im Innern des Fahrzeugs undurchdringliches Dunkel. Am Ende der Treppe wurden wir etwas seitwrts gestoen, dann ffnete sich eine Tr, man schob uns hindurch und schlo dahinter ab. Wir waren wieder allein, und Ned Land hatte sich von seiner berraschung soweit erholt, da er krftig zu fluchen begann. Er wurde noch aggressiver, als er entdeckte, da man ihm sein Bowiemesser gelassen hatte, und schwor, jeden zu massakrieren, der ihn anrhre. Damit seien Sie mal vorsichtig, riet ich ihm. Unntze Gewalttaten knnen uns erst recht in Gefahr bringen. Wir knnten ja doch zunchst mal versuchen, uns mit diesen Leuten zu verstndigen. Stellen wir fest, wo wir sind! Ich tastete mich durch das Dunkel und stie dabei nach fnf Schritten auf eine Wand aus Eisen. Ebenfalls aus genieteten Eisenplatten bestanden auch die brigen Wnde, nirgends ein Fenster. Der Fuboden war mit einer Flachsmatte ausgelegt, und an einer Wand des Raumes stand ein hlzerner Tisch mit Schemel darum. Der Raum war etwa G x 3 m gro, die Hhe bekamen wir nicht heraus. In der ersten halben Stunde geschah gar nichts. Dann ging pltzlich ein grelles Licht ber uns an. Dieser blendendweie Glanz war der gleiche, der das phosphoreszierende Oval auf dem Meer erzeugt hatte. Nach einigen Augenblicken 18 der Gewhnung sah ich, da das Licht aus einer Halbkugel ber uns an der Decke kam. Aha, Licht! rief Land und stellte sich breitbeinig mit dem Messer auf. Aber unsere Lage ist so dunkel wie zuvor, sagte ich. Also: Geduld, meinte Conseil sanft. Wir konnten jetzt die Einrichtung der Kabine genau sehen. Um den Tisch standen fnf Schemel: Das war alles. Nicht mal der Rahmen der Tr war auszumachen, so hermetisch schlo sie. Es war ganz still um uns. Fuhr das Schiff? Ruhte es an der Oberflche? Sank es langsam hinab zum Meeresgrund? Ich nahm an, die Beleuchtung sei eingeschaltet worden, weil uns jemand sehen wollte, und ich tuschte mich nicht. Wir hrten, wie ein Schlo klickte, ein Riegel zurckgeschoben wurde, dann ffnete sich die Tr, und zwei Mnner traten ein. Der eine war untersetzt, aber muskuls gebaut, mit breiten Schultern und starken Gliedmaen. Auf dem krftigen Kopf sa reichlich schwarzes Haar; ein dicker Schnurrbart und ein lebhafter Blick machten das Gesicht auffallig. Ich htte ihn unter normalen gesellschaftlichen Umstnden fr einen Proven9alen gehalten. Der andere verdient eine ausfhrlichere Beschreibung. Gratiolet- und Engelschler htten in seinen Gesichtszgen wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen knnen. Ich erkannte sofort seine hervorstechenden Eigenschaften: Selbstvertrauen (denn der Kopf erhob sich nobel ber dem Bogen seiner Schultern, und seine schwarzen Augen blickten kalt und sicher), Gelassenheit (denn seine kaum gefrbte bleiche Haut zeigte den ruhigen Flu seines Blutes an), Energie (denn die Bewegung seiner Augenlider vollzog sich sehr rasch) und Mut (denn seine tiefen Atemzge verrieten eine starke Vitalitt). Ich mu hinzufgen, da er einen stolzen Eindruck machte, da es schien, als spiegle sein fester und ruhiger Blick erhabene Gedanken, und da die gesamte Gestalt, das bereinstimmen der Krperbewegungen mit den Gesichtszgen, eine unbestreitbare Offenheit ausstrahlte. Wider Willen fast fhlte ich mich in der Nhe dieses Mannes sicher und war gespannt, was unsere Unterredung ergeben wrde. Ich konnte nicht sagen, ob er 35 oder 50 Jahre alt war. Er war gro, besa eine hohe Stirn und eine gerade Nase, einen klar gezeichneten Mund, wunderbare Zhne und lange schmale Hnde, die ein Kenner als eminent psychisch bezeichnet htte, also wrdig, Ausdrucksmittel einer hohen und leidenschaftlichen Seele zu sein. Dieser Mann war sicher die bewundernswerteste Persnlichkeit, der ich je begegnete. Seine Augen standen etwas weiter als gewhnlich voneinander ab, so da er, wovon ich mich spter berzeugte, einen Horizontausschnitt von fast 90 auf einmal erfate. Seine Sehkraft bertraf dabei noch die des Kanadiers, und wenn es galt, einen Gegenstand ins Auge zu fassen, zogen sich seine Brauen zusammen, die Lider engten das Gesichtsfeld um die Pupillen herum ein, und dann schaute er ... Welch ein Blick! Wie er die weit entfernten Dinge vergrerte und genau ansah! Wie einem dieser Blick bis in die Seele drang! Wie er die dunklen Gewsser durchschaute und die Schrift des uns verhllten Meeresbodens las ... ! 19 Die Kleidung der beiden war weit geschnitten, so da man sich frei in ihr bewegen konnte, auf dem Kopf trugen sie Mtzen aus Seeotterfell, ihre Beine staken in Robbenfellstiefeln. Der Groe prfte uns eindringlich und schweigend eine lange Zeit, dann wandte er sich an seinen Gefhrten und redete mit ihm in einer unverstndlichen, aber wohllautenden Sprache. Der Untersetzte schttelte den Kopf, sagte einige unverstndliche Worte zum Anfhrer und wandte sich dann offenbar mit einer Frage an mich. Ich erwiderte in klarem Franzsisch, da ich ihn nicht verstehe. Das schien er nicht zu begreifen und sah mich ratlos an. Da schlug Conseil vor, ich solle unsere Geschichte erzhlen, vielleicht seien den Fremden einige Worte daraus bekannt. Ich sprach ganz langsam und artikuliert, erzhlte kurz von unserem Unfall und stellte jeden von uns dann mit Namen und Berufsangaben vor. Der Groe hrte gelassen, hflich und aufmerksam zu, erwiderte jedoch kein Wort. Seinen Zgen war nicht zu entnehmen, ob er mich verstanden hatte. Ich wandte mich deshalb an Ned Land und sagte: Jetzt sind Sie an der Reihe, Meister. Holen Sie Ihr Sonntagsenglisch aus dem Gedchtnis und erzhlen Sie das gleiche noch einmal. Land lie sich nicht lange bitten, im Gegenteil, er legte mit groer Lebhaftigkeit los, erzhlte unsere Geschichte hnlich wie ich und beschwerte sich dann, da man uns wider das Vlkerrecht gefangengenommen habe, fragte nach dem Gesetz, welches ein derartiges Vorgehen erlaube, zitierte die Habeas-Corpus-Akte und drohte mit gerichtlicher Verfolgung. Seine letzter Vorwurf war der, da wir bald Hungers sterben wrden. Aber der Kanadier wurde anscheinend nicht besser verstanden als ich. Was tun? Unsere Sprachkenntnisse waren damit erschpft. Da meldete sich Conseil und sagte: Wenn Monsieur erlaubt, mchte ich gern mal mit dem Herrn dort deutsch reden. Du sprichst Deutsch? So gut wie jeder Flame. Conseil brachte also unsere Geschichte zum drittenmal vor, hatte allerdings ebenso wenig Erfolg wie wir. Mir fiel dann noch ein, die wichtigsten Punkte daraus auf Kchenlateinisch zusammenzustottern, aber auch das blieb ohne erkennbare Wirkung. Jetzt wechselten die beiden wieder einige Worte in ihrem unverstndlichen Idiom, dann zogen sie sich zurck, ohne sich weiter um uns zu kmmern. Das nenne ich infam! rief Land wtend. Da redet man franzsisch, englisch, deutsch und lateinisch mit den Schurken, und keiner ist hflich genug, um zu antworten. Der Hunger qulte uns, aber auch die unbestimmbare Identitt der beiden Besucher lie uns keine Ruhe. Ich nahm an, da beide aus sdlicheren Gegenden stammten. Allerdings wollte ich mich weder auf Spanier noch auf Trken, Araber oder Inder festlegen. Auch ihre Sprache war so fremd, da sie nicht die geringsten Anhaltspunkte lieferte. Aber merken sie denn nicht, da es sich dabei um eine erfundene Geheimsprache handelt? fragte mich Ned Land. ~20 In allen Sprachen der Welt versteht man nmlich, was es bedeutet, wenn jemand den Mund aufreit, Kaubewegungen macht und sich die Lippen leckt. Nur die beiden haben nicht im geringsten darauf reagiert. Es gibt eben ziemlich dumme Leute auf der Welt, sagte Conseil. In diesem Augenblick ffnete sich die Tr. Ein Steward trat herein. Er trug Kleidung ber dem Arm, die er austeilte, und anschlieend legte er drei Gedecke auf dem Tisch aus. Na, das ist doch ein Wort, seufzte Conseil. Pah! Was glauben Sie wohl, was man hier zu fressen kriegt? Schildkrtenleber, Lendensteak vom Hai, Seehundschnitzel! Probieren wir erst mal! beruhigte ich den Kanadier. Die Schsseln waren mit silbernen Glocken zugedeckt, ganz wie bei gebildeten Leuten. Wenn das stark strahlende Licht nicht gewesen wre, htte man glauben knnen, man speise im Adelphi zu Liverpool oder im Pariser Grand-Hotel. Leider fehlten Weibrot und Wein. Das Wasser in der Karaffe war klar und rein, aber es blieb eben Wasser. Unter den Speisen, die uns vorgesetzt worden waren, erkannten wir einige Fische, kstlich zubereitet, andere Gerichte aber konnte ich noch nicht einmal mit Sicherheit ins Tier- oder ins Pflanzenreich einordnen. Das silberne Tafelgert brigens war sehr geschmackvoll. Jedes Stck, Lffel, Gabel, Messer, Teller trug die gleiche Gravur: MOBILIS IN MOBILI Beweglich im Bewegten - das pate in der Tat ausgezeichnet auf das Fahrzeug, in dem wir uns befanden. Wir hatten kaum gegessen, als uns eine bermchtige Mdigkeit ergriff. Meine beiden Gefhrten sanken ohne viel Federlesens auf der Matte nieder. In meinem Kopf kmpften noch einige Zeit lang die ungelsten Fragen gegen den andrngenden Schlaf. Wo waren wir? Welche Macht entfhrte uns? Sank das Fahrzeug zum Meeresgrund? Bilderfetzen aus Angsttrumen durchsetzten meine Gedanken, ich sah in diesen Wassern ein Asyl unbekannter Tierwelten, zu denen dieses Schiff als gleichartig gehrte, so lebendig, so beweglich, so phantastisch wie jene Tiere ... Wie lange unser Schlaf gedauert hatte, war nicht festzustellen. Ich erwachte ausgeruht, aber mit dem Gefhl der Atembeklemmung. In unserer Eisenzelle hatte sich nichts verndert, als da der Tisch abgedeckt worden war. Sollten wir ewig in diesem Kfig festgehalten werden? So tief ich auch einatmete, meine Lungen bekamen nicht mehr gengend Sauerstoff, die Luft war verbraucht, und ich fragte mich, wie dieses Fahrzeug sich frische Atemluft verschaffte. Durch das Reiset & 21 Regnaultsche Verfahren, Sauerstoff durch Hitze aus chlorsaurem Kali austreibend? Dazu brauchte es auch kaustisches Kali, um die Kohlensure zu vertilgen, und war dadurch auf Kontakte mit dem Land angewiesen. Oder nahm es beim Auftauchen Preluft an Bord, die es dann langsam ablie? Oder tauchte es auf wie die Wale und nahm ganz einfach eine kurze Zeitspanne Frischluft zu sich? Unser Atmen war bedeutend heftiger und krzer geworden, der Luftmangel erzeugte bereits Erstickungs- und Angstgefhle, da berschwemmte uns pltzlich ein Strom reiner, jodduftender Meeresluft. Whrend wir uns dem erlsenden Sauerstoffbesufhis hingaben, sprten wir das leichte Schaukeln des Fahrzeugs, ganz als wrde es von den Wellen der Meeresoberflche gewiegt. Jetzt fehlt nur noch eine ordentliche Mahlzeit, sagte Ned Land. Warum bekommen wir nichts zu essen? Wahrscheinlich wollen diese Teufel uns verhungern lassen. Na, dann htten sie uns doch gestern abend nichts gegeben. Dann wollen uns diese Kannibalen eben msten! Gegen die Kannibalen protestiere ich entschieden! sagte ich. Wir befinden uns unter zivilisierten Menschen. Ach, Professor, stellen Sie sich doch blo mal vor, da diese Leute seit langer Zeit Frischfleisch entbehrt haben, erklrte der Kanadier. Da sind drei so gesunde Kerle wie wir einfach ein Leckerbissen. Gelegenheit macht Kannibalen. Meister Land, Sie haben unseren Wirten gegenber nicht die richtige Einstellung. Wenn Sie aggressiv werden, dann knnte uns vielleicht wirklich etwas zustoen. Also halten Sie sich zurck. Was kann uns denn noch Schlimmeres geschehen, als hier in diesem eisernen Loch gefangen zusitzen? fragte Ned Land. Wie lange soll das noch dauern? Was wei ich, antwortete ich ihm. Aber vermutlich sind wir hier einem Geheimnis auf der Spur, dem Geheimnis des Mannes, dem dieses Fahrzeug gehrt. Wenn es ihm wichtiger ist als drei Menschenleben, sind wir geliefert. Wenn nicht, wird er uns bei der nchstbesten Gelegenheit an Land absetzen. Da wir aber weder das eine noch das andere wissen, warten wir am besten ab, bis man uns darber aufklrt. Im Augenblick knnen wir jedenfalls nichts weiter tun. Im Gegenteil, Herr Professor. Es mu unbedingt sofort gehandelt werden. Was wollen Sie denn unternehmen? Uns retten, was sonst. Hren Sie, Meister, ich schtze Ihre Fhigkeiten hoch, aber aus einem unterseeischen Gefngnis zu entkommen drfte doch wohl einige Schwierigkeiten bereiten. Der Kanadier sah das ein, schwieg aber nicht lange. Was tun also Leute, die nicht aus ihrem Gefngnis herausknnen? fragte er mich. Ich zuckte die Achseln. Na, sie bleiben drin. Teufel, sagte Conseil. Was anderes wird ihnen tatschlich nicht brigbleiben. Natrlich nachdem sie ihre Kerkermeister rausgeworfen haben, ergnzte der Kanadier. Sie wollen sich doch nicht etwa des Fahrzeugs bemchtigen? 22 Allerdings. Unmglich. Ich warte nur auf die nchste Gelegenheit. Wenn hier nicht mehr als zwanzig Mann an Bord sind, drften es zwei Franzosen und ein Kanadier ja nicht weiter schwer haben. Hren Sie, Meister: Warten Sie damit noch ab. Wir wissen ja gar nicht, was man mit uns vorhat. Auerdem hilft bei einem solchen berfall nur List. Und dazu mssen wir die Gewohnheiten an Bord auskundschaften. Versprechen Sie mir, da Sie nichts Unbedachtes tun, Ned Land! Topp, sagte der Kanadier mrrisch. Selbstverstndlich beruhigte er sich nicht. Statt sich mit uns weiter zu unterhalten, sprach er jetzt mit sich selber und steigerte sich ber verbitterte Bemerkungen, gelinde Flche und saugrobe Schimpfkanonaden in einen derartigen Zorn, da er die Beherrschung ber sich verlor. Er begann mit den Fusten gegen die eisernen Wnde zu trommeln und mit den Fen zu stampfen, er lief durch den Raum und brllte laut. Aus dem brigen Teil des Fahrzeugs kam weder eine Reaktion auf diesen Anfall, noch sonst irgendein Gerusch. Um unsere Zelle lag die vollkommenste Stille. Ohne Zweifel waren wir auf Tauchstation gegangen und gehrten der Erde nicht mehr an. Allmhlich lste sich auch die Beruhigung auf, die ich bei der Begegnung mit dem Groen empfunden hatte, und wurde zu zitternder Nervositt. Das edle Gesicht verlosch in meiner Erinnerung, und in meinem Kopf entstand klar das Bild dieses Mannes, wie es nach allen Regeln der Vernunft und nach der Notwendigkeit aussehen mute: ein unerbittlicher, grausamer Mensch. Er stand auerhalb der Menschheit, jedem mitleidigen Gefhl unzugnglich, ein unvershnlich hassender Feind der Welt. Ja, bestimmt: dieser Mann war fhig, uns verhungern zu lassen, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Mir wurde dieser notwendige Ausgang unseres Abenteuers so klar, und Ned Land in seiner verzweifelten Wut brllte so wahnsinnig, da mich lhmendes Entsetzen befiel. In diesem Augenblick hrte ich drauen ein Gerusch. Der Riegel wurde weggeschoben, die Tr geffnet, der Steward trat ein. Er war kaum drinnen, da hatte sich Ned Land bereits auf ihn gestrzt, ihn zu Boden geworfen und wrgte ihn an der Kehle. Conseil und ich strzten hinab, um ihm das Opfer zu entreien, da ertnten hinter uns die klaren Worte in meiner Muttersprache: Beruhigen Sie sich, Ned Land. Und Sie, Herr Professor, hren Sie mich an. Der Groe hatte gesprochen. Ned Land erhob sich, und der Steward verlie auf einen Wink des Kommandanten die Kabine. Er war dem Ersticken nahe gewesen, zeigte mit seiner Miene aber nicht im mindesten, wie sehr er den Kanadier nach diesem berfall hassen mute. Unterdessen stand der Kommandant mit verschrnkten Armen an die Tischkante gelehnt und beobachtete uns. Er schwieg sehr lange, und wir konnten bereits furchten, er bereue die gesprochenen Worte, da redete er von neuem, gelassen und eindringlich sprechend: Messieurs, ich spreche Franzsisch, Englisch, Deutsch und Latein, ich htte Ihnen also lngst antworten knnen. Aber ich wollte erst wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ihrer vierfachen Erzhlung nach also 23 mit Professor Pierre Aronnax vom Pariser Museum, seinem Diener Conseil und mit dem Kanadier Ned Land, Harpunier auf der Fregatte Abraham Lincoln. Die Leichtigkeit, mit der er sprach, faszinierte mich. Er hatte keinen Akzent, er whlte die richtigen Ausdrcke, aber dennoch hatte ich das Empfinden, da er nicht Franzose sei. Sie entschuldigen, da ich mit meinem zweiten Besuch so lange gewartet habe. Ich wute nicht, was ich mit Ihnen anfangen soll. Ich konnte mich lange nicht entschlieen. Bedauerliche Umstnde haben Sie in die Nhe eines Mannes gebracht, der mit der Menschheit gebrochen hat. Es tut mir leid, aber Sie stren ihn durch Ihre Existenz ... Ohne es zu wollen! warf ich ein. Ohne es zu wollen? fragte er spttisch. Die Abraham Lincoln hat mich also ganz zufallig aufgebracht? Sie sind ganz gegen Ihren Willen an Bord dieses Schiffes gewesen? Dessen Geschosse sind aus Versehen auf meinem Fahrzeug aufgeschlagen? Ned Land hat mich wider Willen getroffen? Aber hren Sie, Monsieur! Sie wissen wahrscheinlich, welche Gerchte ber dieses Fahrzeug in der Alten und der Neuen Welt in Umlauf sind. Sie wissen, da eine Reihe von Unfllen, die Sie verursacht haben, die ffentlichkeit erregt hat. Und Sie wissen zweifellos, da die Besatzung der Abra-ham Lincoln glaubte, ein riesenhaftes See-Ungeheuer zu verfolgen, von dem die Weltmeere gereinigt werden muten. Sie werden wohl nicht behaupten wollen, da Ihre Fregatte sich anders verhalten htte, wenn bekannt gewesen wre, da es sich bei dem Ungeheuer um ein Unterseeboot handelte!? Darauf lie sich schlecht etwas erwidern, denn selbstverstndlich htte Farragut danach getrachtet, seinen Suberungsauftrag auf jeden Fall durchzufuhren. Sie knnen sich also denken, da ich Sie wie meine Feinde behandeln mu߫, fuhr der Groe fort. Ich war zu keinerlei Gastfreundschaft verpflichtet. Ich htte Sie wieder auf die Plattform bringen lassen knnen, bevor ich tauchte. Sie wren ertrunken, vergessen. Wre das nicht mein Recht gewesen? Das Recht eines Wilden vielleicht, aber nicht eines zivilisierten Menschen, sagte ich. Mein Herr Professor, ich bin kein zivilisierter Mensch, antwortete er heftig. Ich habe mich von der Gesellschaft der Menschen losgesagt. Die Grnde dafr kann nur ich beurteilen. Die Regeln, die bei Ihnen gelten, sind mir vllig gleichgltig, deshalb unterlassen Sie es, sich darauf zu berufen. Das war deutlich. Die Verachtung, mit der er uns ma, lie eine furchtbare Vergangenheit im Leben dieses Mannes vermuten. Mir scho die Erkenntnis durch den Kopf, da er sich nicht nur von den Menschen der Erde gelst hatte, sondern auch vllig unerreichbar fr sie war. Wer sollte ihn auf dem Grunde des Meeres verfolgen, um die Urteile, die auf der Erde ber ihn gefallt worden waren, an ihm zu vollstrecken? Er war unverwundbar, unbesiegbar. Gott, wenn er an ihn glaubte, und sein Gewissen, wenn er eines besa, waren seine einzigen Richter. 24 Nach einer langen Pause, whrend der er uns mit verschrnkten Armen gerade in die Augen sah, sprach er weiter: Ich habe geschwankt. Und dann hat das natrliche Mitgefhl gesiegt, auf das jedes menschliche Wesen einen Anspruch hat. Das Schicksal hat Sie an Bord meines Schiffes verschlagen. Sie sollen also hier bleiben, und Sie sollen hier auch verhltnismig frei sein. Fr die Gewhrung dieser Freiheit verlange ich jedoch ein Versprechen von Ihnen. Wenn ein Ehrenmann es geben kann, gern. Durchaus. Es ist mglich, da gewisse Ereignisse mich ntigen, Sie fr Stunden oder Tage in Ihrer Kabine einzuschlieen. Ich mchte Gewaltanwendung vermeiden und erwarte deshalb Gehorsam bei einem solchen Befehl. Ich mchte Sie mit dieser Manahme einer gewissen Verantwortung entheben und stelle deshalb sicher, da Sie nicht sehen, was nicht gesehen werden darf. Sind Sie damit einverstanden? Dinge also an Bord vorgehend, oder in der Umgebung dieses Schiffes, die ein Mensch, fr den die Regeln der menschlichen Gesellschaft noch galten, nicht sehen durfte ... ? Angenommen! sagte ich. Und jetzt: Was verstehen Sie unter Verhltnismig freiFreiheit< nennen. Ich denke ja nicht dran! rief Ned Land. Ich gebe niemals mein Wort, da ich nicht versuchen werde, mich zu befreien. Dieses Versprechen habe ich Ihnen ja auch gar nicht abverlangt, sagte der Groe kalt. Ich finde, da Sie Ihre Macht ein bichen mibrauchen, Monsieur! sagte ich. Was Sie von uns fordern, ist reichlich grausam. Sie irren, Herr Professor. Es ist eine Gnade. Es wrde mich nur ein Wort kosten, dann snken Ihre Leichen in den Schlamm des Meeresgrundes. Vergessen Sie nicht, da Sie mich angegriffen haben. Sie sind in den Besitz eines Geheimnisses gelangt, das niemand auf der Welt erfahren darf. Sie glauben doch nicht im Ernst, da ich Sie wieder auf die Erde entlasse, die mich nicht mehr kennen darf!? Wenn ich Sie hierbehalte, schtze ich nicht Sie, sondern mich selbst. Also die Wahl zwischen Leben und Tod? Genau. Freunde, sagte ich, darauf geben wir keine Antwort. Ich mchte festhalten, da uns kein Schwur an den Kommandanten dieses Fahrzeugs bindet. Kein Wort, ganz recht. Aber erlauben Sie mir jetzt, Ihnen alles mitzuteilen, was ich zu sagen habe. Ich kenne Sie, Professor Aronnax. In meiner Bibliothek steht Ihr schnes Werk ber die Tiefseefauna. Ein gutes und kluges Buch. Sie sind so weit in diese Wissenschaft vorgedrungen, wie Sie konnten. Aber Sie wissen eben nicht alles. Sie haben noch lngst nicht alles gesehen. Die Reise an Bord meines Schiffes wird 25 Ihnen deshalb vielleicht etwas mehr Vergngen bereiten als Ihren Gefhrten. Sie werden durch ein Land der Wunder reisen, dessen Schauspiele Ihre Seele mit Staunen fllen knnen. Ich habe vor, noch einmal, vielleicht zum letztenmal, unter den Meeren um die Welt zu fahren, um meine Tiefseestudien abzuschlieen. Sie sollen mein Studiengefahrte sein. Sie werden sehen, was noch keines Menschen Auge sah - denn wir hier unten zhlen nicht mehr zu den Menschen -, und ich werde Ihnen die letzten Geheimnisse unseres Planeten enthllen. Ich nehme an, Monsieur, antwortete ich, da Sie trotz des Bruches mit der Menschheit nicht alles menschliche Gefhl verloren haben. Wir sind als Schiffbrchige barmherzig aufgenommen worden, das soll nicht vergessen werden. Was mich betrifft: Ich wei, da die Wissenschaft den Menschen so besitzen kann, da er sein Freiheitsbedrfnis darber vergit, und ich freue mich auf unsere kommenden Unternehmungen. Er gab mir nicht die Hand. Mir tat es leid, um seinetwillen. Eine Frage hatte ich noch: Mit welchem Namen drfen wir Sie anreden? Ich bin Nemo, Kapitn Nemo, und dieses Schiff ist die Nautilus. Er rief einen Steward, gab ihm Befehle und wandte sich dann an Conseil und Ned Land: In Ihrer Kabine wartet ein Men auf Sie. Bitte gehen Sie mit diesem Herrn. Auch ich wurde zum Essen eingeladen. Ich folgte dem Kapitn Nemo durch einen elektrisch erleuchteten, 10m langen Gang, an dessen Ende wir durch eine Tr traten. Wir befanden uns im Speisesaal, der mit entschiedenem Geschmack dekoriert und mbliert war. An beiden Enden standen hohe eichene Anrichten mit reichen Intarsien, darin befanden sich prchtige Geschirre, Fayencen, Porzellan und Glas von unschtzbarem Wert. Das Tafelsilber glnzte im Licht der indirekten Deckenbeleuchtung, deren Helligkeit durch stilvolles Malwerk gemildert wurde. Der Tisch in der Mitte des Raumes war reich gedeckt. Nemo wies mir meinen Platz und forderte mich auf, krftig zuzugreifen. Die Gerichte hatte offensichtlich das Meer allein geliefert, sie besaen alle den jodigen Beigeschmack, an den man sich aber rasch gewhnt. Kapitn Nemo merkte, da ich mir jeden Bissen so genau ansah, weil ich die Speisen nicht kannte, und er klrte mich auf. Die meisten Gerichte werden Ihnen fremd sein, aber Sie knnen sie unbesorgt essen. Sie sind gesund und nahrhaft. Meine Mannschaft und ich essen schon lange keine irdische Nahrung mehr. Die Tiefsee befriedigt alle meine Bedrfnisse. Ich werfe hier meine Netze aus und ziehe sie zum Brechen voll wieder ein. Ich gehe in den Tiefen des Ozeans auf Jagd und erlege das Wild meiner unterseeischen Wlder. Meine Herden weiden ohne Furcht auf den unermelichen Wiesen der Weltmeere. Niemals kommt Fleisch von Landtieren auf meinen Tisch. Dieses da ist aber doch ... Nichts als eine Meerschildkrte. Daneben steht Delphinleber, die Sie glatt fr Schweineragout halten wrden. Mein Koch versteht sich auf solche Effekte. Kosten Sie von allem, Professor. Das hier sind eingemachte Seegurken, die ein Malaie fr das beste Gericht der Welt halten wrde. Daneben die Sahne, die ist aus Seesugermilch; den Zucker entnehme ich dem Seetang des Nordmeeres, und zum 26 Dessert probieren Sie mal von dem Seeanemonenkonfekt, und sagen Sie mir, ob Sie dafr nicht das beste Obst stehenlassen wrden! Ich nahm, mehr aus Neugier als aus Elust, von allem, whrend der Kapitn mit seinen unglaublichen Berichten fortfuhr. Aus dem Meer kommt auch die Kleidung, die Sie und ich tragen. Die Stoffe sind aus den Fasern einiger Muscheln gewebt, mit dem Purpur der Antike gefrbt. Das Parfm auf der Toilette in Ihrer Kabine ist aus Seepflanzen destilliert. Ihr Bett, Ihre Feder, Ihre Tinte: alles kommt aus dem Meer, alles, dessen ein Mensch bedarf. Sie sind ein groer Freund des Meeres, Kapitn, sagte ich. O ja. Ich liebe es. Das Meer ist alles. Es bedeckt sieben Zehntel der Erdoberflche. Der Seewind ist gesund und rein. Es ist eine unermeliche Einde, in der der Mensch doch niemals allein ist, denn er fhlt, wie das Leben um ihn herum pulst. Das Meer spiegelt ein bernatrliches und wunderbares Dasein wider, es besteht nur aus Bewegung und Liebe, es ist die lebendige Unendlichkeit. In der Tat, Herr Professor, alle drei Reiche der Natur sind hier vertreten: die Steine, die Pflanzen und die Tiere. 4 Gruppen von Pflanzentieren, 3 Klassen Gliedertiere, 5 Klassen Mollusken, 3 Klassen Wirbeltiere, Suger, Reptilien, Fische - der Reichtum dieser Fauna ist unerschpflich. 13 000 Gattungen sind unter Wasser heimisch, und nur ein Zehntel davon im Swasser. Die Meere sind eine ungeheure Wohnsttte der Natur. Am Anfang des Lebens war das Meer, und wer wei, ob es nicht auch am Ende wieder ber dem Leben zusammenschlgt. Hier allein gibt es die groe Ruhe. Hier allein haben Tyrannen keine Macht. Auf den Wasserflchen des Ozeans knnen sie sich noch schlagen und verfolgen, aber schon 10m darunter hrt ihre Macht auf. Hier allein ist Unabhngigkeit! Hier kenn1 ich keine Herren. Hier bin ich frei! Der Kapitn stand auf, ich folgte. Wir verlieen den Speisesaal durch eine Doppeltr und betraten einen gleich groen Raum, der dahinter lag - die Bibliothek. Die Wnde waren mit kupferbeschlagenen Palisanderregalen ausgekleidet, in deren Fchern eine unschtzbare Menge gleichfrmig gebundener Bcher stand. Die Regale endeten in ledergepolsterten Sitzbnken, die alle Bequemlichkeit zum Lesen boten. Auerdem gab es in Reichweite stets Lesepulte, auf denen man die Bcher abstellen konnte. Ein groer Tisch in der Mitte des Raumes war mit Broschren und alten Zeitschriften bedeckt. Der harmonisch gestaltete Raum wurde von vier glattpolierten Halbkugeln in der Decke erleuchtet. Das ist eine Bibliothek, Kapitn, sagte ich, die manchem Herrenhaus oben auf der Erde Ehre machen wrde. Ich htte sie hier unterm Meer nicht erwartet. In einem Lesesaal mu Ruhe herrschen, antwortete Nemo, und wo finden Sie grere Ruhe als auf dem Meeresgrund? 27 Da haben Sie auch wieder recht. Ich schtze, Sie besitzen da so 6000 bis 7000 ... 12 000. Diese Bnde sind das letzte, was ich von der Erde mitgenommen habe. An dem Tage, da ich die Nautilus zum erstenmal in Wasser tauchte, habe ich meine letzten Bcher, Broschren und Zeitschriften gekauft. Seitdem existiert die Welt fr mich nicht mehr, seitdem lebe ich in der Vorstellung, da seit diesem Tage auf der Erde nichts mehr gedacht und geschrieben worden ist. Diese Bcher stehen brigens ganz zu Ihrer Verfugung, Professor. Ich trat nher an die Regale heran. Auf den ersten Blick erkannte ich, da diese Bibliothek in den exakten Wissenschaften, in der Philosophie und der Belletristik mehrsprachig und gut sortiert war. Allerdings fehlten, auch das sah ich gleich, die Werke der politischen konomie vllig, sie waren aus diesem Regal des Schnen, Wahren und Guten verbannt. Aus der Anordnung nach Sachgebieten ohne Rcksicht auf die Sprache sah ich, da der Kapitn Nemo einer ganzen Anzahl von Sprachen mchtig sein mute. Natrlich fand ich alle Meisterwerke der alten und modernen Schriftsteller hier wieder, die groen Autoren von Xenophon bis Michelet, von Rabelais bis George Sand. Den grten Teil aber nahmen die wissenschaftlichen Fachbcher ein, Schriften ber Mechanik, Ballistik, Seekarten, Meteorologie, Geographie, Geologie; und kaum weniger zahlreich waren die Autoren der Naturgeschichte vertreten: Humboldt, Arago, Foucault, d'Henry Sainte-Caire Deville, Chasles, Milne-Edwards, Quatrefages, Tyndall, Faraday, Berthelot, Secchi, Petermann, Agassis. Dazu natrlich die Bulletins und Jahrbcher der wissenschaftlichen Akademien und geographischen Gesellschaften, und unter all diesen Bchern eben auch jene zwei Bnde von mir, denen ich womglich den halbwegs freundlichen Empfang zu verdanken hatte. brigens konnte ich nach Joseph Bertrands Begrndung der Astronomie, von der ich wute, da es 1865 erschienen war, mir etwa ausrechnen, wie lange die Nautilus schon existierte: hchstens drei Jahre. Ich hoffte, beim genaueren Studium der herumliegenden Zeitschriften noch przisere Daten zu bekommen. Zunchst aber bedankte ich mich beim Kapitn. Ich bin sehr glcklich darber, da ich diese Bibliothek benutzen darf. Es ist nicht nur meine Bibliothek, sondern gleichzeitig auch der Rauchsalon. Es darf also an Bord geraucht werden? rief ich freudig erregt. Aber selbstverstndlich. Sie haben also Verbindung nach Havanna? Nicht im geringsten. Hier, bitte, bedienen Sie sich. Diese Zigarren kommen zwar nicht aus Havanna, aber wenn Sie Kenner sind, werden Sie zufrieden sein. Ich nahm die Zigarre (in der Form einer Londres hnlich), die aus Goldblttern gewickelt schien, beroch sie, zndete sie in dem kleinen Kohlebecken auf einem Bronzefu an und inhalierte die ersten Zge mit der Lust eines Schtigen, der zwei Tage lang Enthaltsamkeit gebt hat. Ausgezeichnet, sagte ich, aber kein Tabak! Weder Havanna noch Orient, da haben Sie ganz recht. Dieser Tabak stammt von einer nikotinreichen Algensorte, die man, allerdings nicht sehr hufig, im Meer findet. Trauern Sie Ihren >Londres< nach? 28 Ich werde sie nicht mehr anrhren! Schn, dann rauchen Sie, soviel Sie Lust haben. Diese Zigarren sind sogar frei vom Ruch des staatlichen Monopols. Man schmeckt's. Die nchste Doppeltr fhrte uns aus der Bibliothek in einen strahlend erleuchteten, riesenhaften Saal. Er war ebenfalls rechteckig, hatte aber abgestumpfte Ecken. Von der arabeskenverzierten Decke fiel weiches, reines Licht auf all die Wunderwerke der Natur und Kunst, die der Kapitn Nemo in diesem prachtvollen Privatmuseum versammelt hatte, und zwar so geschickt und knstlerisch, da die Atmosphre des Raumes etwas von dem gewissen Etwas hatte, das man manchmal in Malerateliers findet. Etwa 30 Meisterwerke der Malerei in einheitlichen Rahmen schmckten die Wnde, aufgelockert durch Waffen und Rstungsteile. Es waren samt und sonders Bilder von hchstem Wert, wie ich sie sonst nur in Sonderausstellungen der europischen Museen gesehen hatte. Die Schulen der Alten waren da vertreten: Raffael mit einer Madonna, Leonardo mit einer Jungfrau, Correggio mit einer Nymphe, Tizian mit einer Frau, Veronese mit einer Anbetung, Murillo mit einer Himmelfahrt, Holbein mit einem Portrt, Velasquez mit einem Mnch, Ribera mit einem Mrtyrer, Rubens mit einer Kirmes, Teniers mit zwei flmischen Landschaften, Dou, Metsu und Potter mit drei kleinen Genrebildern, Gericault und Prudhon mit je einem Bild, Backuysen und Vernet mit einigen Seestcken. Von den Modernen erschienen Delacroix, Ingres, Decap, Troyon, Meissonnier und Daubigny. Auerdem standen in allen acht Ecken dieses Saals natrlich verkleinerte Modelle der schnsten antiken Statuen. Sie entschuldigen die Formlosigkeit, mit der ich Sie in dieser Unordnung empfange, Professor, sagte der Kapitn Nemo beilufig. Aber Sie sind ein Knstler, Monsieur! Ein Amateur. Frher bin ich den schnsten Werken von Menschenhand hinterhergejagt, ich habe begeistert und unermdlich gesammelt, und ich habe auch ein paar Wertobjekte zusammengebracht. Aber jetzt ist die Welt fr mich tot. Ob alte oder moderne Meister: dieser Unterschied existiert fr mich nicht mehr. 200 Jahre oder 20 Jahre, dergleichen Begriffe vermischen sich jetzt leicht in meinem Kopf, und es bleibt als Ausweis nichts als die Meisterschaft. Da drben auf der Orgel liegen Partituren, schauen Sie sie durch: Weber, Rossini, Mozart, Beethoven, Haydn, Meyerbeer, Herold, Wagner, Auber und Gounod - sie sind fr mich Zeitgenossen des antiken Orpheus, sind Tote, sind tot, so wie ich tot bin, tot wie Ihre Freunde, Professor, die zwei Meter unter der Erde liegen! Er schwieg abrupt nach diesen Worten und schien meine Gegenwart nicht mehr zu bemerken. Ich wollte nicht aufdringlich sein, deshalb wandte ich mich jetzt den Schtzen aus dem Reich der Natur zu, die den brigen Raum seines Museums fllten. Mitten im Salon stand ein elektrisch beleuchteter Springbrunnen, dessen Becken aus der Schale einer der grten im Meer vorkommenden Muscheln gebildet wurde. Der Umfang des fein verzierten Randes betrug sechs Meter und bertraf damit die Riesenmuscheln, die einst die Republik Venedig Fran9ois ler geschenkt hatte (und die heute als Weihwasserbecken in der Kirche St. Sulpice zu Paris stehen). An den Wnden hingen in Schauksten mit kupfernen Etiketten die Wunder der 29 Tiefseewelt, die sich den Augen normaler Forscher noch kaum jemals offenbart hatten. Offensichtlich hatte Nemo sie von seinen Unterwasserausflgen mitgebracht. Fr mich war es ein Fest: Schwmme, Hohltiere, Gliederfer, Weichtiere, Stachelhuter und Wirbeltiere waren in Exemplaren seltener Provenienz vertreten. Besonders die Mollusken stellten eine Sammlung von unbezahlbarem Wert dar. Da die Fundorte entweder an jedem Stck vermerkt oder mir aus der Tiergeographie bekannt waren, sah ich an den Ksten, da dieses Schiff und sein Kommandant die ganze Welt befahren hatten, soweit sie aus Wasser bestand. In besonderen Fchern lagen Perlen ausgebreitet, die herrlichsten Perlen, die ich jemals gesehen hatte, und sie schimmerten unter der elektrischen Beleuchtung in Rosenrot, Grn, Gelb, Schwarz und Blau. Manche erreichten die Gre von Taubeneiern. Ich dachte immer, die Perle des Imam von Mascat sei die grte auf der Welt, aber sie wre hier gar nicht weiter aufgefallen, ebensowenig wie jene, die Tavernier dem Schah von Persien fr 3 000 000 verkaufte. berwltigt wandte ich mich wieder an den Besitzer all dieser Herrlichkeiten: O ja, Kapitn, ich begreife die Freude, die ein Mensch empfindet, wenn er durch solche Schtze wandelt. Kein europisches Museum kann sich mit Ihnen messen. Aber meine Neugier ist noch lngst nicht gestillt. Ich mchte wissen, welch geheimnisvolle Kraft dieses Fahrzeug treibt, bevor ich mich den Einzelheiten Ihrer Sammlung nher zuwenden kann. Ich sehe nmlich zwischen diesen Schauksten hier immer wieder physikalische Instrumente mit ihren Skalen und Zeigern, und ich wte doch zu gern, was... Die gleichen Instrumente finden Sie auch in meinem Zimmer, antwortete der Kapitn. Ich habe nicht die Absicht, Sie ber deren Bedeutung im unklaren zu lassen. Kommen Sie mit. Er fhrte mich durch Sammlung, Bibliothek und Speisesaal, diesen architektonischen Dreiklang zivilisierter Menschen, wieder zurck auf den Gang, dem wir bis in den Vorderteil der Nautilus folgten. Die erste Tr, die er ffnete, fhrte in meine zuknftige Kabine - ein elegant ausgestatteter Raum. Die Tr daneben war der Eingang zu seinem Zimmer. Alles hier drinnen wirkte ernst und mnchisch. Der Raum hatte nichts von der luxurisen Pracht des Salons: Ein eisernes Bett stand darin, ein Arbeitstisch, Schssel und Kanne zum Waschen. Und die Wnde hingen eben voll mit Meuhren. Das war das Notwendige. 8 Die meisten dieser Instrumente kennen Sie, sagte Kapitn Nemo, whrend er auf die Wnde seines Zimmers wies. Thermometer zum Messen der Innen- und Auentemperatur, Barometer zum Messen des Luftdrucks, Hygrometer zum Messen des Feuchtigkeitsgehalts, Wetterglas zur Frhwarnung bei Strmen, Kompa zum Messen der Himmelsrichtung, Sextant zur Messung der Breite, Chronometer zur Errechnung der 30 Lnge, auf der ich mich befinde. Das sind Instrumente, wie sie jeder Seefahrer braucht. Aber das hier wre auf einem normalen Schiff unntz: ein Manometer zur Messung des Wasserdrucks. Damit rechne ich die Tiefe aus, in der ich mich befinde. Diese Skalen dort sind mit Thermometersonden verbunden und zeigen mir die Temperaturen verschiedener Wasserschichten an. Tja, und diese Uhren hier ... dazu mu ich weiter ausholen. Setzen Sie sich doch, Professor Aronnax. Wir nahmen an seinem Arbeitstisch auf zwei einfachen, harten Sthlen Platz. Die gesamte Nautilus wird von einem einzigen Agens beherrscht. Es ist eine unsichtbare, starke, krperlose und rasche Kraft, und sie bewirkt das Licht an der Decke ebenso wie die Bewegung meiner mechanischen Hilfsmittel: Elektrizitt. Ach. Ja. Aber hren Sie: Bisher gab es keine Mglichkeit, die Elektrizitt groe Arbeit im physikalischen Sinne verrichten zu lassen ... Meine Elektrizitt ist nicht Ihre Elektrizitt. Und meine Kraft gehrt nicht mehr dieser Welt. Deshalb gestatten Sie, da ich mich nicht nher darber auslasse. Aber eine Frage mssen Sie mir erlauben. Bitte. Die Stoffe, mit denen man Elektrizitt erzeugt, zum Beispiel Zink bei der Stromerzeugung mit dem Bunsenschen Element, sind doch bald verbraucht. Woher nehmen Sie denn Ihre Vorrte, wenn Sie nicht mit der Erde in Verbindung geraten wollen? Sie sollen eine Antwort darauf haben. Ich knnte mir natrlich die Elemente aus dem Meer nehmen. Es gibt auf dem Meeresboden Zink-, Eisen-, Silber- und Goldminen, deren Ausbeutung sich lohnen wrde. Aber ich habe auch mit diesen irdischen Metallen nichts mehr zu schaffen. Alle Grundstoffe zur Erzeugung der Elektrizitt entnehme ich dem Meerwasser selbst. Elektrizitt aus Wasser? Natrlich. Es gibt sogar mehrere Wege dazu. Ich htte zum Beispiel aus dem Temperaturunterschied der Wasserschichten Strom gewinnen knnen. Aber es geht auch noch viel praktischer: Sie kennen doch die Zusammensetzung des Meerwassers? 96,5 % Wasser, 3,5 % Salzgehalt. Also 35 g Salze auf 1000 g Wasser. Und diese 35 g setzen sich zusammen aus 27,2 g Kochsalz, 3,7 g Chlormagnesium, 1,6 g Bittersalz, 1,3 g Gips, 0,9 g Kaliumsulfat und 0,2 g kohlensaurer Salze, Brom und anderer Spurenelemente. Ich entziehe nun blo das Kochsalz dem Wasser und stelle damit die Elemente fr die Bunsenbatterie her. Kochsalz? Ja. Mit Quecksilber zusammen bildet es ein Amalgam, das mir das Zink vllig ersetzt. Quecksilber verbraucht sich nie, Kochsalz stelle ich selbst her - das bedeutet Unabhngigkeit auch in der Stromerzeugung. Kochsalzsulen erzeugen brigens auch eine viel strkere elektrische Energie als Zinkplatten. Aber Sie mssen das Kochsalz doch erst mal gewinnen! Und ich glaube, da die Energie, die Sie dazu brauchen, grer ist als das Quantum, das Sie bei der Energieerzeugung gewinnen! Ich benutze ja auch nicht die Bunsenbatterie dazu, sondern Steinkohle! 31 Aha: doch eine Verbindung zur Erde wenigstens ... Also gut: Meerkohle. Sie beuten unterseeische Kohleminen aus? Ja. Und Sie werden das miterleben. Nur ein bichen Geduld, Professor Aronnax, dann werden Sie sehen, da ich dem Meer alles verdanke, da ich tatschlich alles, was ich brauche, aus dem Meer bekomme. Auer der Atemluft! Stimmt! Aber auch die knnte ich mir selber erzeugen, doch habe ich mir gesagt: wozu der Aufwand. Ich kann ja jeden Augenblick auftauchen und meine Tanks fllen - mit Hilfe elektrischer Pumpen brigens. Kapitn, ich bewundere Sie. Sie haben offensichtlich lange vor der brigen Menschheit entdeckt, wie man die wahren Krfte gewinnt, die die Elektrizitt entfalten kann. Ich wei nicht, ob die brige Menschheit dieses Geheimnis lften wird, und das Problem lt mich auch vllig kalt. Sie drfen sehen, wozu dieses Agens fhig ist, denn Sie werden nicht unter die Menschen zurckkehren. Schauen Sie sich die Deckenbeleuchtung an: So gleichmig ist nicht mal das Sonnenlicht. Schauen Sie auf die Uhr dort - ich hab1 ihr Zifferblatt in vierundzwanzig Stunden eingeteilt, weil der Unterschied von Tag und Nacht mich nichts mehr angeht -, sie arbeitet elektrisch und arbeitet genauer als jedes Chronometer der Erde. Diese Skala dort ist eine Art elektrisches Tachometer, ein Geschwindigkeitsmesser. Und das ist noch lngst nicht alles. Er stand auf und lud mich ein, ihm zu folgen. Whrend wir wieder auf den Gang traten, von wo aus er mich ins Heck der Nautilus fhrte, berschlug ich die Raummae, die ich bisher mitbekommen hatte, und kam zu der Ansicht, da Kapitn Nemos Unterseeboot 70 m lang sein mute. Mittschiffs gingen wir an einer Art Schacht vorbei, in den eine Leiter hinauffhrte. Sie geht zum Boot, erklrte Nemo. Boot???? Natrlich. Es ist unsinkbar und dient zu Spazierfahrten und zum Fischen. Wir brauchen nicht einmal aufzutauchen, um das Boot flottzumachen, denn es ist in eine Nische der Auenwand meines Schiffes eingepat. Durch eine doppelte Luke in der Wand der Nautilus und im Boden des Bootes kommt man hinein, lst die Haltebolzen und schiet sofort zur Wasseroberflche hinauf. Auf Signale ber eine elektrische Leitung, ber die das Boot mit der Nautilus verbunden bleibt, kommt das groe Fahrzeug herauf und holt das Boot wieder ein. Er ffnete die nchste Tr, die auf den Gang fhrte. Dahinter lag die Kche, und auch hier geschah alles elektrisch: Glhende Kochplatten aus Platindraht sah ich und elektrisch beheizte Liebigkhler, mit denen das Trinkwasser erzeugt wurde. Gleich nebenan ein Baderaum, in dem warmes und kaltes Wasser aus Hhnen fl. Der Mannschaftsraum des Schiffes, der auf die Kche folgte, blieb mir verschlossen. Aber bereitwillig lie mich Nemo einen Blick in den Maschinenraum dahinter tun. Hier spielte sich das ab, was das Geheimnis dieses elektrischen Genies bleiben mute: die Verstrkung des elektrischen Stroms, bis er zu gewaltigen Arbeitsleistungen fhig war. Hatte Nemo herausgefunden, wie man die 32 Stromspannung erhhen konnte? Oder besa er ein Hebelsystem, das eine geringe Kraftleitung so gnstig bertrug, da er mit seiner 6-m-Schraube Geschwindigkeiten von ber 100 km/h erzielte? Er fhrte mich einigermaen rasch wieder zurck in den Salon. Wir setzten uns auf einen bequemen Diwan, ich steckte mir eine Zigarre an und lie mir von ihm eine Konstruktionszeichnung der Nautilus erklren. Am meisten Interessierte mich jetzt die Frage, wie er sein Fahrzeug zum Sinken und Auftauchen brachte. Sie sehen, Professor, die Nautilus ist wie eine berdimensionale Zigarre gebaut, 70 m lang, an der dicksten Stelle betrgt der Durchmesser 8 m. Als ich die Plne dazu entwarf, wollte ich erreichen, da im normalen Schwimmzustand nur ein Zehntel ihres Krpers aus dem Wasser herausschaute, und mute dementsprechend das Eigengewicht dem Gewicht des verdrngten Wassers anpassen. Der Schiffskrper besteht eigentlich aus zwei Rmpfen, die durch T-Eisen miteinander verbunden sind und dadurch Widerstand leisten, als seien sie ein einziger Block. Ringsum sind Wasserbehlter angebracht, die ich nur zu fluten brauche, wenn ich tauchen will, und aus denen ich mit meinen elektrischen Pumpen das Wasser wieder herauspresse, wenn ich auftauchen mchte. Selbst die 100 at, welche die Pumpen beispielsweise beim Entleeren in 1000 m Tiefe berwinden mssen, schaffen sie spielend. Die Kraft meiner Maschinen Ist fast unbegrenzt. Es gibt aber noch andere Mglichkeiten zu tauchen: mit dem Hhenruder. Ich habe fr Seitwrtslenkungen ein ganz bliches Steuerruder, das ber Seilzug bewegt wird. Zum Auf- und Abwrtsfahren aber habe ich seitlich mittschiffs Tragflchen angebracht, die ich ebenfalls von innen bedienen kann - eben Hhenruder. Mit der Kraft der Schraube und der Neigung dieses Ruders kann ich mich auf jede gewnschte Weise nach oben oder unten bewegen. Selbstverstndlich mu man zum Steuern etwas sehen knnen: hier oben, das kleine Gehuse, das ist die Kanzel des Steuermanns, aus der er durch dicke Linsenglser das Meer um sich beobachten kann. Aber ohne Licht sieht er nichts; deshalb befindet sich hinter der Steuerkanzel ein starker Reflektor, der mit einer elektrischen Lichtquelle das Meer auf fast l km erleuchtet... Das phosphoreszierende Oval! rief ich. Jetzt ist mir alles klar. Aber ich habe doch noch Fragen, die mich sehr bewegen, Kapitn. Bitte. War der Zusammensto mit der Scotia zufallig? Ja. Ich fuhr damals 2 m unter der Oberflche und war lange nicht aufgetaucht. brigens geschah dem Schiff nichts Ernstes, ich habe mich davon berzeugt. Und das Rammen der Abraham Lincoln? Ich wurde angegriffen, Professor Aronnax. Es entstand eine peinliche Pause, und ich berlegte, was ich ihm antworten sollte. Ich gebe zu, da die Nautilus ein wunderbares Fahrzeug ist, sagte ich schlielich. Er ging sofort darauf ein. Ja, ich liebe sie wie Fleisch von meinem Fleisch! rief er berschwenglich. Die Gefahren des Meeres, die ihr dort oben empfindet, bestehen fr mein Schiff nicht mehr. Es wird nicht leck, kein Takelwerk, kein Segel kann beschdigt werden, kein Kessel zerplatzen, kein Feuer bricht aus, kein Kohlenmangel legt's lahm, und es braucht weder Zusammensto noch Sturm zu frchten: Das, Monsieur, ist ein Schiff, 33 wie es sein soll, und ich liebe es, denn ich bin sein Ingenieur, sein Erbauer und sein Kapitn. Sie sind von Beruf Ingenieur? Ja. Ich habe zu meiner Erdenzeit in Paris, London und New York studiert. Eins begreife ich nicht: Wie haben Sie dieses Schiff bauen knnen, ohne da es jemand gemerkt hat? Ich habe jedes seiner Einzelteile von einer anderen Firma unter einem anderen Namen bezogen, das ist das ganze Geheimnis. Der Kiel kommt von Creuzot, die Welle der Schraube von Pen & Co. in London, die Rumpfplatten von Leard in Liverpool, die Schraube von Scott in Glasgow, die Behlter von Cail & Co. in Paris, die Maschine von Krupp in Essen; der Schnabel kommt aus Schweden, die Instrumente aus den USA und so fort. Alle diese Teile sind schlielich in meiner Werksttte auf einer einsamen Insel im Ozean gelandet. Dort haben meine Gefhrten und ich unser Schiff zusammengebaut. Und nachdem der letzte Hammerschlag getan war, haben wir die Spuren unserer Arbeit durch Feuer vernichtet. Ich will nicht neugierig sein, Kapitn, sagte ich nach all diesen Ausfhrungen. Aber mir scheint, da in Ihrem Schiff ein schnes Stck Geld steckt. Wenn Sie die Sammlung mitrechnen: 5 000 000 Francs. Sie sind also reich? Unermelich reich. Es wrde mir berhaupt nichts ausmachen, die 10 000 000 000 Francs Schulden, die Frankreich hat, bar zu begleichen. 9 Der von Wasser bedeckte Teil der Erde ist 363 500 000 km2 gro. Die flssige Masse der Erde hat ein Volumen von 14 300 000 000 km3. In Kugelform htte diese Masse einen Durchmesser von 297 km und ein Gewicht von 14 300 000 000 000 000 000 t. Das ist ebensoviel Wasser, wie alle Flsse der Erde in 40 000 Jahren zusammenbringen. In den geologischen Epochen folgte auf die Zeit des Feuers die Zeit des Wassers. Der gesamte Erdball war von Wasser bedeckt. Dann traten die Spitzen der hchsten Berge hervor, Inseln tauchten auf und verschwanden wieder in berschwemmungen, tauchten erneut auf und mit ihnen stieg Land aus dem Wasser, das die Inseln zu Kontinenten zusammenfate und den groen Erdteilen ihre heutige Gestalt gab. Zwischen den Kontinenten blieben die Wassermassen der groen Weltmeere stehen, die wir heute mit fnf Namen nennen: Nrdliches und Sdliches Polarmeer, Indischer, Atlantischer und Pazifischer Ozean. Vom nrdlichen Polarkreis bis zum sdlichen, ber 145 Lngengrade von der Westkste Amerikas bis zur Ostkste Asiens, erstreckt sich der Pazifik, das stillste aller Meere, und in diesem Ozean begann unsere Reise um die Welt. Wir wollen den Punkt unserer Abreise genau aufnehmen, sagte Kapitn Nemo. Es ist jetzt 11.45 Uhr. Steigen wir empor! 34 Ich hrte, wie nach dreimaligem Knopfdruck die mchtigen Pumpen im Innern des Schiffsleibs zu arbeiten begannen und mit schwerem Summton das Wasser aus den Behltern trieben. Die Nadel auf dem Zifferblatt des Manometers zeigte die stndig aufsteigende Bewegung an, indem sie die Vernderung der Druckverhltnisse ma. Schlielich stand sie still. Wir sind oben. Ich ging mit dem Kapitn zur Mitteltreppe, die zur Plattform hinauffhrte, und stieg mit ihm nach oben. Diese Plattform ragte nur 80 cm hoch aus dem Wasser. Etwa in der Mitte waren die Umrisse des ablsbaren Bootes zu erkennen, davor und dahinter zwei Gehuse, die zum Teil statt Stahlplatten dicke Linsenglser trugen: die Kabine des Steuermannes und das Scheinwerferhaus. Das Meer war prachtvoll, der Himmel klar. Das lange Fahr zeug wurde von den Wogen des Meeres nur sanft bewegt. Leichter Ostwind kruselte die Wasseroberflche. Bis zum Horizont herrschte klare Sicht, aber wir hatten nichts im Blickfeld: eine unermeliche de. Der Kapitn Nemo stellte sich mit seinem Sextanten auf und berechnete nach der gemessenen Sonnenhhe unsere Breite. Whrend er peilte, zitterte nicht ein einziger Muskel in seinem Arm; ein Marmorstandbild htte nicht ruhiger sein knnen. Schweigend stiegen wir wieder hinab, der Kapitn nahm im Salon seinen Rechenschieber zur Hand und berechnete mit Hilfe des Chronometers und der zuvor beobachteten Stundenwinkel unsere Lnge. Nach der schweigenden Prozedur wandte er sich an mich: Professor Aronnax, wir befinden uns unter 137 15' westlicher Lnge... Von wo aus? fragte ich, in der Hoffnung, der Meridian, den er benutzte, wrde mir einen Rckschlu auf seine Nationalitt geben. Ganz wie Sie wollen, Monsieur. Ich habe hier nmlich verschiedene Uhren, die auf die Meridiane von Paris, Greenwich und Washington eingestellt sind. Ihnen zu Ehren soll vom Pariser Meridian aus gemessen werden: 137 17' westlicher Lnge, bei 30 7' nrdlicher Breite. Wir sind rund 200 sm vom japanischen Festland entfernt. Heute ist der 8.11.1867. Es ist Mittag. Unsere Reise beginnt jetzt und hier, Professor Aronnax. Ich habe den Kurs Ostnordost ausgegeben. Hier sind Karten, auf denen Sie die Route verfolgen knnen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Er drehte mir mit einem Ruck den Rcken zu und verlie den Salon. Ich blieb allein zurck, wie betubt von der Gegenwart und dem Auftreten dieses Mannes, dessen Geheimnis ich nicht ergrnden konnte. Ob ich erfahren wrde, woher der Mann kam, der sich rhmte, keiner Nation anzugehren? Ob ich den Grund seines Hasses auf die menschliche Gesellschaft, der ihn zu einer Rchergestalt machte, jemals erfahren wrde? War er einer von den verkannten Gelehrten, von den Genies, die das Leben mihandelt, ein neuer Galilei, oder ein Mann der Wissenschaft wie Maury, dem politische Umwlzungen die Karriere zerstrten? Ich wute es nicht. Mich, den das Schicksal an Bord seines Schiffes brachte, hatte er kalt, aber gastlich empfangen. Er ergriff nie die Hand, die ich ihm bot. Und er streckte seine nicht aus. Ich beugte mich, noch in diese Fragen versunken, ber die groe Seekarte, die ber den Tisch gebreitet lag. Ich suchte beilufig nach dem Punkt, an dem unsere Reise ihren Anfang nahm, und ich entdeckte, da er mitten im Schwarzen Flu lag. 35 Auch das Meer hat seine Flsse, wie die Kontinente. Der bekannteste Strom der Ozeane ist der Golfstrom, und einer der brigen ist dieser Schwarze Flu, der aus dem Golf von Bengalen kommt und sich bis zu den Aleuten im nrdlichen Pazifik hinzieht, tiefdunkel indigoblau, womit er sich deutlich von den umgebenden Gewssern abhebt. Mit seiner Strmung treiben indische Kampferbume nrdlich, und auch die Nautilus folgte den Fluten. Wir waren in diesem Augenblick ein Teil der groen blauschwarzen Bewegung, die sich in den Weiten des Stillen Ozeans verlor, und das Gefhl der Auflsung im Unendlichen begann sich wieder in mir auszubreiten ... da erschienen Ned Land und Conseil in der Tr des Salons. Sie konnten beide den Anblick zuerst nicht fassen. Bin ich hier im Museum von Quebec, oder wo bin ich? fragte der Kanadier mitrauisch. Sie befinden sich auf der Nautilus 50 m unter dem Meeresspiegel, sagte ich. Conseil hatte bereits die Naturschauksten an den Wnden ausgemacht und strzte in Wonnen des Klassifizierens. Whrend er einer Cyproea Madagascariensis die richtige Umgebung angedeihen lie (nmlich: Familie der Buccinoiden, Klasse der Gasteropoden), trat Ned Land dicht zu mir heran und fragte rasch: Wo ist er? Nemo? Ich wei nicht. Was hat er vor? Wo kommt er her? Ich wei nicht, woher er kommt. Jedenfalls sind wir zu einer Untersee-Weltreise aufgebrochen. Haben Sie denn Nheres herausbekommen? Nichts gesehen, nichts gehrt, verflucht noch mal! Nicht mal die Mannschaft! Knnen Sie nicht ungefhr abschtzen, wieviel Mann an Bord sind? Man mu sich doch irgendwie darauf einrichten. Ich wei es nicht. Und es wre mir auch angenehm, wenn Sie den Gedanken aufgben, sich der Nautilus zu bemchtigen. Dieses Fahrzeug ist ein Meisterwerk der modernen Technik, und ich wre rmer, wenn ich es nicht gesehen htte. Was nennen Sie denn sehen? rief Ned Land erbost. Man reist ja vllig blind in diesem Gefngnis ... Da ging das Licht aus. Es wurde stockfinster im Salon. Conseil brach sein Gemurmel mitten in einem Gattungsnamen ab. Ich stand bewegungslos und hrte deutlich den Kanadier neben mir schnaufen. Pltzlich hrten wir ein leise schabendes Gerusch. Das ist das Ende, flsterte Ned Land. Da wurde es im Salon langsam wieder hell, und zwar drang das Licht jetzt durch zwei seitliche ffnungen. Wir erkannten sofort, was vorgegangen war: von drauen leuchtete elektrisch erhelltes Meerwasser, von dem uns nur zwei dicke Glasplatten trennten. Der Gedanke, da dieses Glas durch den Wasserdruck brechen knnte, war schrecklich, aber strker noch war die Neugier, die uns an das riesenhafte Fenster zum Meer zog. Auf l sm im Umkreis war das Wasser erhellt, und wir konnten schauen, was darin vorging: ein Anblick, wie ihn noch keiner von uns vorher erlebt hatte. Die Durchsichtigkeit des Meerwassers ist ja bekannt. Seine mineralischen Zustze 36 machen es klarer als Quellwasser, und es gibt Stellen bei den Antillen, an denen man den sandigen Meeresboden in 145 m Tiefe mit erstaunlicher Klarheit erkennen kann. Hier war es nicht Sonnenlicht, das unsere Umgebung erhellte, sondern die starke elektrische Strahlung der Nautilus. Da wir aus dem dunklen Salon beobachteten, wirkte der Kontrast noch strker, und ich hatte die Empfindung, um mich herum befinde sich ein Aquarium mit flssigem Licht. Ned Land hatte seinen aufwallenden Zorn lngst wieder vergessen, so schlug ihn dieser Anblick in Bann. Und auch ich verstand den Kapitn Nemo jetzt ein ganzes Stck besser. Er hatte sich eine eigene Welt erffnet, deren ganz eigene Wunder er erfuhr. Allein diese Erfahrung trennte ihn schon von der brigen Menschheit. Warum sehe ich keine Fische? fragte Ned Land. Conseil hrte Fische und sah vor diesem monstrsen Aquarium die Gelegenheit gekommen, seinen Freund und Schicksalsgefhrten Land ber diesen Bereich der Zoologie ein fr allemal zu belehren. Fische, sagte er, gehren zur niedrigsten Klasse der Wirbeltiere; sie unterscheiden sich von den brigen dadurch, da sie, meist eierlegend, mit kaltem Blute versehen sind, whrend des ganzen Lebens durch Kiemen atmen, ein nur aus zwei Abteilungen, Kammer und Vorkammer, bestehendes Herz und, mit einigen wenigen Ausnahmen, nach hinten geschlossene blindsackhnliche Nasengruben besitzen, entweder Flossen oder gar keine ueren Glieder und eine entweder nackte oder beschuppte Haut haben. Zwar kann kein Fisch vllig skelettlos sein, allein in der Bildung und Hrte des Knochengersts finden so viele Abstufungen statt, da die unvollkommensten Fische auer einer weichknorpligen Wirbelsaite, auch Chorda, gar kein Skelett besitzen. Was redet er da? fragte Ned Land, der Fischer. Ich versuche gerade, Ihnen einen Begriff von den Fischen zu geben, antwortete Conseil. Aber ich habe mein Leben lang mit Fischen zu tun gehabt. Ja, Sie haben sie vielleicht gettet, das mag sein. Aber ich wette, da Sie keine Ahnung haben, wie man sie einteilt. Natrlich wei ich das: in geniebare und ungeniebare. So redet ein Fresser, aber kein Wissenschaft. Doch ich bin gern bereit, Ihnen ein bichen beizubringen. Man teilt die Wirbeltierklasse >Fische< in folgende Ordnungen: primo die Teleostei oder Knochenfische, mit freien Kiemen, Kiemendeckel und knchernem Skelett. Barsche zum Beispiel. Schmecken ganz gut. Auerdem Swasserfische wie Hecht und Karpfen. Swasser? Pfui Deibel. Secundo: Ganoidei oder Schmelzschupper, mit oft knorpeligem Skelett und vielen Klappen im Aortenstiel. Beispiele: Wels, Str und gemeiner Flsselhecht. Str ist prima. Tertio: Dipnoi, das sind Doppelatmer oder Lungenfische, denn sie haben sowohl Kiemen wie Lungen und stellen eine bergangsform zu den Amphibien dar. Der afrikanische Schuppenmolch ist einer von diesen Gesellen. Sicher nicht ebar. 37 Quarto: Selachii oder Knorpelfische, mit angewachsenen Kiemen ohne Kiemendeckel und mit knorpeligem Skelettin diese Ordnung gehren Haie und Rochen. Quinto: Cyclostomata oder Rundmuler, mit rundem Saugmund und angewachsenen Kiemen, und sexto endlich die Leptocardia oder Rhrenherzen, die niedrigsten der Niedrigen, Fische ohne Schdel, Herz und Hirn, mit Kiemen, die in der Bauchhhle liegen, und farblosem Blut. Sie machen das ganz gut, so mit ein bichen Latein ... , und das war nur zur Hlfte spttisch gemeint. Na, was war das schon, wehrte Conseil ab. Wenn man die Ordnungen kennt, kennt man noch gar nichts. Denn die unterteilen sich wieder in Familien, Gattungen und Arten, und zwar bei den Teleostei... Aber schauen Sie doch aus dem Fenster, da haben Sie smtliche Familien, Gattungen und Arten, an denen Ihnen gelegen sein kann. Wozu sie lateinisch beschwren, wenn sie vor unseren Augen herumschwimmen wie in einem Aquarium. Na, sagte ich, im Aquarium stecken eher wir. Das da drauen ist die Freiheit. Freund Conseil, rief Ned Land, jetzt fuhren Sie mir die Fische in der Freiheit vor! Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Ich bin Spezialist. Was Sie verlangen, ist Aufgabe von Monsieur! Jetzt hatte der Kanadier seine groe Stunde und zeigte uns einen Trupp chinesischer Hornfische mit plattem Krper und einem Stachel auf dem Rcken. Sie umschwammen die Nautilus und lieen die vier Stacheln vibrieren, die ihnen zu beiden Seiten des Krpers wie Borsten herausstehen. Ihr Leib ist oben grau, unten wei gefrbt und trgt dort goldene Flecken, die in den Lichtwellen aufglnzen. Rochen schwammen zwischen ihnen, unter denen ich zu meiner groen Freude auch einen der seltenen chinesischen Spezies entdeckte. Ein ganzes Heer von Meeresbewohnern gab uns die nchsten zwei Stunden lang das Geleit, Ned Land stellte sie vor, Conseil ordnete sie ein, und ich freute mich an den schnen Formen und den munteren Bewegungen der Tiere. Niemals hatte ich so etwas zuvor erleben drfen: diese Tiere frei und in ihrem Element zu beobachten. Pltzlich wurde es wieder hell im Salon, und die eisernen Wandplatten schoben sich vor die Fenster. Das wunderbare Schauspiel war zu Ende. Wir saen noch eine Zeitlang wie benommen beieinander, dann erhoben wir uns, um in unsere Kabinen zu gehen, da der Kapitn Nemo nicht erschien. Der Kompa zeigte noch immer Ostnordost, das Manometer ma 5 at, was 50 m Tiefe bedeutete, und das elektrische Log gab eine Geschwindigkeit von 15 kn an. Wir verlieen den Salon. Ich verbrachte den Abend mit Lesen, Schreiben, Nachdenken. 38 10 Ich erwachte erst spt am nchsten Tag, kleidete mich an und ging in den Salon. Er war leer. Ich widmete meine Aufmerksamkeit zunchst den Meerestieren in den Schauksten, aber schon nach kurzer Zeit merkte ich, da mich die Muscheln und Seegurken gar nicht interessierten. Ich wartete, aber ich wartete den ganzen Tag vergebens. Der Kapitn Nemo erschien nicht. Am nchsten Tag, dem 10.11., die gleiche Stille und die gleiche Verlassenheit. Weder der Kapitn noch sonst ein Mitglied der Besatzung lieen sich blicken. Ich suchte die Gesellschaft von Ned Land und Conseil, und wir sprachen ber das seltsame Verhalten unserer Gastgeber. War Nemo krank? Welches Geheimnis steckte hinter seiner Abwesenheit? Wir fragten uns, ob diese pltzliche Entfernung bedeutete, da der seltsame Mann unser Feind geworden sei. Aber das konnte nicht sein, denn wir fanden pnktlich unsere reichen Mahlzeiten vor, wie von unsichtbaren Hnden zubereitet und serviert. Am Abend dieses Tages entschlo ich mich, ein exaktes Tagebuch dieser Reise zu beginnen. Papier fand ich im Schreibtisch meiner Kabine. Es war aus Seegras gemacht. Am nchsten Morgen roch ich beim Erwachen die frische Meeresluft und wute, da wir an der Oberflche schwammen. Ich kleidete mich rasch an und stieg die Leiter zur Plattform hinauf. Es war erst 6 Uhr morgens, die Witterung khl, der Himmel bedeckt und grau das Meer. An seiner Oberflche herrschte kaum eine Bewegung. Ich stand dort oben auf dem Rcken der Nautilus und hoffte, der Kapitn wrde sich zeigen. Allmhlich zerstreute die hher steigende Sonne den Morgennebel und setzte die Wasseroberflche in Flammen. Die hochziehenden Wolkenfetzen frbten sich feinschattiert, und ganz hoch im Himmel standen weie Lmmerwlkchen, die einen windigen Tag ankndigten. Whrend ich noch diesem Sonnenaufgang zusah, kam jemand hinter mir die Leiter empor. Ich wandte mich um, wollte den Kapitn begren, aber da sah ich, da es jener untersetzte vollbrtige Proven9ale war, den wir schon am ersten Tag in Begleitung des Kapitns gesehen hatten. Er beachtete mich berhaupt nicht, trat an den Rand der Plattform und suchte ruhig und konzentriert mit einem starken Fernglas den Horizont ab. Dann trat er an die Einstiegsluke und rief einen Satz hinunter, den ich genau wiedergebe, weil ich ihn an vielen Tagen noch hrte: Nautron respoe lorni virch. Ich wei nicht, was das heit. Am nchsten Tag lag die Nautilus noch immer an der Oberflche, ich stieg wieder frh am Morgen zur Plattform hinauf und erlebte den gleichen Vorgang wie am Tag zuvor. Das wiederholte sich noch fnfmal, fnf Tage lang, whrend derer sich Kapitn Nemo nicht sehen lie. Am 16.11. endlich bekam ich ein Zeichen. Auf dem Tisch in meiner Kabine lag ein Brief. Ich ffnete ihn und las: 16. November 1867 Herrn Prof. Pierre Aronnax 39 an Bord der Nautilus Kapitn Nemo gibt sich die Ehre, Herrn Professor Aronnax zu einer Jagdpartie einzuladen, die morgen frh in den Wldern der Insel Crespo stattfinden soll. Er hofft, da der Herr Professor und seine Gefhrten nicht verhindert sind. Der Kommandant N Also geht er doch mal an Land! dachte ich. Ich fand die Insel auf der Karte unter 32 40' nrdl. Breite und 167 50' westl. Lnge: ein verlorener kleiner Felsen mitten im nrdlichen Pazifik, den der Kapitn Crespo 1801 entdeckt hatte. Aber wenn er schon an Land geht, dachte ich, sucht er sich wenigstens die einsamste Stelle der Erde dazu aus. Als ich am folgenden Morgen in den Salon kam, war Nemo schon da und schien auf mich gewartet zu haben. Er sprach mit keinem Wort ber seine achttgige Abwesenheit, deshalb fragte ich ihn auch nicht weiter danach. Wir unterhielten uns ber die gute Abwechslung, welche die bevorstehende Jagd bringen sollte, und ich konnte mir nicht verkneifen, ihn auf die Inkonsequenz hinzuweisen, die er in seinem Verhalten zeigte. Sie haben mit der Erde gebrochen, und doch besitzen Sie Wlder auf der Insel Crespo? Meine Wlder, Herr Professor, brauchen weder das Licht noch die Wrme der Sonne, es gibt in ihnen keine Tiger, Panther oder Lwen. Ich bin der einzige Mensch, der sie kennt. Sie liegen nicht auf dem Lande. Sie stehen unter dem Meer. Unterseeische Waldungen? Genau. Und dahin wollen Sie mich fuhren? Trockenen Fues. Auf die Jagd? Auf die Jagd. Mit der Bchse in der Hand? Mit der Bchse in der Hand. Er lie mir zu weiteren Fragen keine Zeit, sondern bat mich zum Frhstck. Essen Sie tchtig, sagte er, wir kommen an keinem Gasthaus vorbei. Sie mssen bis heute abend durchhalten knnen. Er selbst a wenig und sah mich dabei schrg von der Seite an. Sie haben mich vorhin fr verrckt gehalten, sagte er pltzlich. Kapitn, ich bitte Sie ... Natrlich haben Sie das. Sie haben sich gesagt: ein Mensch mu doch atmen. Woher soll er unter Wasser die Luft bekommen? Vom Schiff aus? Dann hngt er an einer Leitung und kann sich kaum bewegen, kann jedenfalls nicht auf die Jagd gehen. Dabei mten Sie die technischen Mglichkeiten, die uns das Spazierengehen unter Wasser erlauben, eigentlich kennen. Zwei Landsleute von Ihnen, Rouquayrol und ~40 Denayroue, haben ein Atemgert erfunden, das ich verbesserte und Ihnen nachher wie einen kleinen Rucksack aufhngen werde. Ein- und Auslaventil der Schluche aus dem Behlter mit Preluft mnden dabei in einen Kupferhelm. Einleuchtend? Ja. Und womit schieen Sie? Nicht mit Pulver, sondern auch mit Preluft. Und alle Schsse, die ich mit diesem Preluftgewehr abgebe, sind tdlich. Die Geschosse sind nmlich auch etwas ungewhnlich: kleine Glaskapseln, in Stahl gefat und durch ein bleiernes Bodenstck beschwert. Es sind eigentlich winzige Leydener Flaschen, in denen die Elektrizitt sehr hoch gespannt ist. Beim Aufprall entladen sie sich und fallen auch das strkste Tier. Ich sah, da dieser Mann unschlagbar war. Was er begann, war sinnvoll durchdacht und mute gelingen. Kapitn, sagte ich begeistert, wo Sie hingehen, da will auch ich ... Gut, dann gehen wir zuerst mal die Taucheranzge anlegen. Ich folgte ihm in eine kleine Kabine neben dem Maschinenraum, und gleich darauf trafen auch Ned Land und Conseil ein. Der Kanadier war enttuscht, als er hrte, da es nicht an Land gehen sollte, und er entwickelte einen ausgeprgten Widerwillen gegen die unfrmigen Gummianzge, die an der Wand hingen. Es zwingt Sie niemand, mitzukommen, sagte der Kapitn khl. Zwei Mann der Besatzung traten herein und halfen uns beim Anlegen der schweren Kleidung. Kupferplatten auf der Brust schtzten vor Wasserdruck, und Bleischuhe ermglichten das Gehen auf dem Meeresboden. Bevor wir die Helme aufsetzten, erklrte uns einer der herkulischen Gefhrten des Kapitns, der uns begleiten wollte, die Funktion der Gewehre. Sie waren leicht zu bedienen und luden automatisch nach. Wie kommen wir ins Wasser? rief ich ungeduldig. Setzen Sie den Helm auf, dann werden Sie es sehen! Ned Land wnschte uns ironisch Waidmannsheil und verabschiedete sich. Der Kapitn winkte uns jetzt, ihm in eine kleine Kammer neben dieser Umkleidekabine zu folgen. Darin war es vllig dunkel. Man schlo die Tre hinter uns, und eine Weile geschah gar nichts. Dann sprte ich, wie eine Klte, an meinen Fen beginnend, langsam hher stieg. Ein zischendes Gerusch war damit verbunden. Ich wute jetzt, da diese Kammer an der Auenwand der Nautilus liegen mute. Man flutete sie wie eine Schleuse, um uns dann durch eine weitere Tr ins Meer zu entlassen. Wir sanken leicht auf den Meeresboden hinab. Der Kapitn Nemo ging voraus, Conseil und ich folgten dicht hinter ihm. Es ging sich ohne alle Mhe, weder die schweren Schuhe noch der enge Helm, in dem mein Kopf wie ein Mandelkern in seiner Schale sa, behinderten mich. Gott sei Dank hatte ja Archimedes sein berhmtes Gesetz entdeckt, nach dem all diese Gerte ebensoviel von ihrem Gewicht verloren, wie das Wasser wog, das sie verdrngten. Ohne den Griechen htten wir wohl einen schweren Gang getan. Das Wasser war vllig klar, und wenn ich den Kopf zurckbog, konnte ich erkennen, da das Meer an seiner Oberflche glatt war. Wir schritten ber ungewellten Sand, 41 der wie ein starker Reflektor das einfallende Sonnenlicht zurckstrahlte und diese unterseeische Landschaft taghell erleuchtete. Der Gang ber den Boden aus Muschelstaub zog sich lange hin, immer kleiner wurde die zurckbleibende Nautilus, und langsam begann sich die Ebene mit Felsen und Wasserpflanzen zu mischen. Conseil befand sich vor dem zunehmenden Pflanzenteppich, der die Felsblcke berzog, vor den immer zahlreicher werdenden Arten Mollusken und Stachelhutern, Polypen und Korallen in einer entsetzlichen Lage: Da ich nicht mit ihm sprechen konnte und ihm die Namen der Exemplare nennen konnte, kam er nicht zum Klassifizieren und litt sicher an einer Verhaltung, die peinlich sein mute. Pltzlich war die Sandebene zu Ende, und ein Streifen klebrigen Schlamms folgte. Wir hatten ihn bald durchquert und gelangten in eine dichte, weiche Algenwiese. Auch ber unseren Kpfen zogen sich jetzt Algennetze, bis hoch zur Meeresoberflche. Gegen Mittag lste sich der Farbzauber, in dem alle Gewchse gestanden hatten, langsam auf, da die Strahlen der Sonne jetzt nicht mehr schrg einfielen und sich brachen, sondern senkrecht von oben kamen. Wir hatten den Beginn eines Abgrunds erreicht, dessen Wnde wir langsam hinabstiegen. Das Licht wurde trber und diffuser. In 100 m Tiefe waren wir 10 at Druck ausgesetzt, aber wir sprten kaum etwas davon. Beim Tiefersteigen wurde der Lichtrest von oben rtlich-diffus, blieb aber noch so hell, da wir auf unsere Ruhmkorffschen Lampen verzichten konnten. Pltzlich gab der Kapitn das Zeichen zum Anhalten. Ich trat zu ihm heran und folgte mit den Blicken seinem ausgestreckten Arm. Ein kurzes Stck unter uns traten aus den Schatten der Tiefe dunkle Massen hervor: die Wlder der Insel Crespo. Wir waren am Saum dieser Waldungen angekommen, die zum schnsten Besitz des Kapitns Nemo gehrten - denn er betrachtete sie, wie die ersten Menschen die ganze Erde, als sein Eigentum. Mir fiel beim Eintreten unter diese baumartigen Pflanzen sofort eines auf: kein Kraut, kein Busch, kein Baum mit seinen Zweigen wuchs in die Horizontale, alles stieg steil empor und reckte sich zur Oberflche des Meeres. Noch die dnnsten Pflanzenfaden hielten sich gerade wie Eisendraht. Schlingpflanzen und Meergrser standen aufrecht, Riesenalgen steilten wie riesige Stnder stramm nach oben. Bald war ich mit dieser sonderbaren Neigung zur Steigung ganz familir und hatte mich auch an das Dunkel um uns gewhnt. Die unterseeische Flora schien mir vollstndig vertreten, aber dann merkte ich, da ich Exemplare aus dem Tierreich mit Pflanzengebilden durcheinanderbrachte, was hier unten gar nicht wundert, hier, wo Fauna und Flora sich durchdringen. Alle diese Pflanzen waren wurzellos, hingen nur mit einem dnnen Teigplttchen am Mutterboden. Sie ernhrten sich durchs Wasser. Die meisten trieben anstelle von Blttern merkwrdig geformte Bnder, die mit farbiger Borte rosa, karmin, grn, oliv, ocker oder braun eingefat waren, und ein Groteil der Pflanzen besitzt auch keine Blten, whrend, seltsame Umkehrung, ein Teil der Tiere hier unten Blten treibt. Unter dem mannigfachen Strauchwerk, das die Hhe von Bumen in der gemigten Zone erreicht, dehnten sich massenweise die Gebsche lebender Pflanzen aus, ganze Hecken von Pflanzentieren, Mckenfische flogen von Zweig zu Zweig, und 42 bisweilen stob ein Schwrm grerer Fische unter unserem Schritt auf wie Bekassinen. Die Tuschung war vollkommen. Wir waren vier Stunden gelaufen, als der Kapitn Nemo das Zeichen zur Rast gab. Seltsamerweise sprte ich keinen Hunger, aber ich war sehr mde geworden. Den anderen schien es ebenso zu gehen, denn wir legten uns in dem klaren Wasser auf dem Meeresboden zum Schlafen nieder. Die Ruhe war so wohltuend, da ich sofort einnickte. Als ich erwachte und aufblickte, erschrak ich malos. Einige Schritte von mir entfernt erhob sich eine riesenhafte Meerspinne, mindestens l m hoch, zum berfall auf mich bereit, lstern schielend. Mir fiel zwar sofort ein, da mein Taucheranzug mich vor den Bissen dieses Tieres schtzen wrde, dennoch konnte ich mich des Grauens nicht erwehren. Der Kapitn war auch schon wieder auf, er stand seitwrts vor mir und sah sich die Spinne an. Jetzt erwachte unser vierter Mann, der Matrose von der Nautilus. Nemo zeigte nur auf die Spinne, und der Mann schlug zu. Minutenlang noch sah ich, wie sich die Beine des frchterlichen Tieres in schrecklichen Zuckungen krmmten. Der Kapitn wandte sich gleich zum Weitermarschieren. Ich folgte, aber ich war ber Gebhr erregt. Was, wenn uns andere Tiere begegneten, denen mein Taucheranzug nicht mehr widerstehen konnte? Der steiler werdende Abhang fhrte uns in immer grere Tiefen hinab, und gegen 15 Uhr, als pltzlich die Beleuchtung von oben vllig aufhrte, muten wir 150 m unter dem Meeresspiegel sein. Wir schalteten die Lampen ein, die mit ihrem Schein 25 m durchs Wasser drangen und eine Reihe von Fischen anlockten. Wir gingen in dieser dunklen Tiefe nicht mehr weit, denn eine hochragende Felswand gebot uns Einhalt, ein Massiv aus prachtvollen Granitblcken, in denen Grotten zu erkennen waren. Sie boten keinen Halt fr den Aufstieg, und der Kapitn Nemo machte kehrt. Wir nahmen einen steileren Weg zurck, aber wiederum nicht so steil, da wir zu rasch aus den Druckverhltnissen der Tiefe aufgestiegen wren. Bald hatten wir die Gegend, in die das Sonnenlicht noch hinabwirkt, wieder erreicht, schalteten die Lampen ab und sahen wieder, wie die schrg einfallenden Strahlen der Sonne alle Dinge unter Wasser mit einem irisierenden Rand umgaben. In etwa 10m Tiefe wurde der Boden wieder eben. Scharen kleiner Fische begleiteten uns, aber ein greres Wildbret hatte sich bis jetzt noch nicht sehen lassen. Da legte der Kapitn Nemo pltzlich an und scho. Ein schwaches Pfeifen, eine Bewegung in den Wasserpflanzen, und einige Schritt von uns entfernt fiel das getroffene Tier nieder: Es war ein prchtiger Seeotter, der einzige Vierfler, der nur im Meer lebt, wohl 1,5 m lang. Sein Fell, oben braun und am Bauch silberfarben, gehrt zu den teuersten Artikeln auf dem russischen und chinesischen Pelzmarkt. Ich bewunderte das merkwrdige Sugetier mit dem runden Kopf, den kurzen Ohren, den runden Augen, den weien Schnauzborsten, den bandfrmigen Fen mit Krallen, dem buschigen Schwanz, das fleischfressend, von den Fischern getrieben und gejagt, uerst selten geworden, sich in die nrdlichen Breiten des Pazifik geflchtet hat, wo seine Gattung wahrscheinlich bald aussterben wird. 43 Die Sandebene, ber die wir schritten, erhob sich oft bis 2 m unterhalb des Meeresspiegels, und dann sah ich, wenn ich hochblickte, das Bild unserer Truppe, wie sie dort oben noch einmal marschierte, den Kopf unten, die Fe in der Luft. Bei diesem Gang nahe unter der Wasseroberflche erlebte ich einen zweiten Prachtschu, den diesmal der Gefahrte des Kapitns tat. Ein Vogel mit weitgespannten Flgeln nherte sich uns ber dem Wasser, der Matrose legte an und traf, das Tier fiel wie vom Blitz getroffen herab, so da er es bequem greifen konnte. Es war ein auergewhnlich schner Albatros. Zwei Stunden spter sahen wir in der Entfernung bereits die Lichter der Nautilus schimmern, da gab der Kapitn, der als erster ging, uns pltzlich ein heftiges Zeichen. Ich verstand nicht. Er eilte auf mich, sein Gefahrte auf Conseil zu, sie warfen uns zu Boden und legten sich daneben. Im Seegras liegend hrte ich und sah, wie ungeheure Massen mit lautem Getmmel ber unseren Kpfen hinwegzogen. Und als ich erkannte, um welche Tiere es sich dabei handelte, erstarrte mir das Blut in den Adern: Haie. Die Bestien, die mit ihrem eisernen Gebi einen ganzen Menschen zermalmen knnen, streiften uns mit den Flossen, aber sie donnerten ber uns hinweg. Haifische sehen schlecht, das war unsere Rettung. Deutlich konnte ich den phosphoreszierenden Stoff erkennen, der aus den Lchern um das Maul herum trufelt. Eine halbe Stunde spter waren wir wieder in der Nautilus, lieen uns die Taucheranzge abnehmen und begaben uns erschpft in unsere Zimmer. Ich schlief sofort ein. 11 Alles bewegt sich, sagte der Kapitn Nemo, indem er auf den Ozean deutete, alles fliet. Das Meer ist ein einziger groer Organismus, dessen Kreislufe ihn so lebendig machen wie Ihren und meinen Krper. Die unterschiedliche Wrme seiner Wasserschichten und Breite bringt die groen Strmungen ins Flieen. Die unterschiedliche Verdunstung der tropischen und polaren Zonen bringt den groen fortwhrenden Wasseraustausch zustande. Und das Meer atmet, Herr Professor Aronnax, ich habe das entdeckt. Nicht nur Temperatur und Druck bewirken das Steigen und Fallen der Wassermolekle. Das Meerwasser enthlt Salz, viel Salz, so viel Salz, da Sie alle Kontinente mit einer 10 m dicken Salzschicht berziehen knnten, wenn Sie es aus dem Meerwasser destillierten. Salz ist der erleichternde Faktor bei der Verdunstung, Salz ist die Nahrung der Infusorien, von denen Millionen in einem Tropfen leben. Entziehen Sie diesem Tropfen alles Mineral, und dieser Tropfen, leicht geworden, steigt nach oben, wo ihn die Salzreste der Verdunstung wieder beschweren, und dieser Tropfen, schwer geworden, sinkt herab: Nach allen Richtungen verstrmt sich Leben und Bewegung im Ozean. Er drehte sich grulos um, stieg die Leiter hinab, ich folgte ihm. Kurz darauf begann die Schraube der Nautilus sich zu drehen, und wir fuhren. 44 Wir fuhren am 26. November, 3 Uhr frh, unter 172 westl. Lnge ber den Wendekreis des Krebses. Am 27. November tauchten wir auf und hatten die Hawaii- Inseln in Sicht. Wir fuhren am 1. Dezember - immer noch auf Sdostkurs - unter 142 westl. Lnge ber den quator. Am 4. Dezember kamen die Marquesas-Inseln mit Nuku Hiva unter 8 57' sdl. Breite und 139 32' westl. Lnge in Sicht. Wir fuhren weitere 2000 sm bis zum 11. Dezember und gerieten dabei in einen unermelichen Schwrm von tintenfischartigen Kalmaren, die mit Heringen und Sardinen in wrmere Breiten zogen, und wir sahen sie durch unsere Glasfenster, unermdlich schwimmend, whrend sie kleine Fische fraen oder von greren gefressen wurden. Am 11. Dezember sa ich gerade lesend im Salon, als Conseil mich ans Fenster rief. Vor uns im Wasser, vom elektrischen Licht der Nautilus gespenstisch bestrahlt, hing ein Schiffsrumpf, der erst vor wenigen Stunden gesunken sein konnte. Im Tauwerk lagen drei Mnnerleichen, ein vierter Toter stand am Steuer. In der Tr des Steuerhauses stand eine tote Frau mit erhobenen Armen. In den Armen hielt sie ein Kind. Auf den Zgen des Steuermannes stand Ernst geschrieben. Auf dem Heck des Schiffes stand Florida geschrieben. An diesem 11. Dezember kamen wir noch bis in die Nhe des Pomotou-Archipels, dessen Inseln in langsamer Arbeit aus der Korallenablagerung entstanden sind. Und ich sagte zum Kapitn: Eines Tages werden all diese Inselgruppen mit Neukaledonien und Neuseeland zusammenwachsen, und ein neuer Kontinent erhebt sich aus dem Meer. Neue Kontinente braucht die Erde nicht, antwortete er, sie braucht nur neue Menschen. Erst an der von Madreporen gebildeten Insel Clermont-Tonnerre gingen wir von unserem Sdostkurs ab. Ich konnte die Felsbauarbeit der mikroskopischen Tierchen ganz aus der Nhe betrachten. Conseil fragte nach der Bauzeit. 192 000 Jahre, mein wackerer Conseil, antwortete ich. Was dir einen Begriff davon gibt, wie lange die >Schpfungstage< der Bibel gedauert haben mgen: jedenfalls nicht von einem Sonnenaufgang bis zum nchsten, denn am ersten Tag war ja die Sonne noch gar nicht da. Wir durchfhren noch einmal die ganze tropische Zone, lieen am 15. Dezember die Gesellschaftsinseln stlich liegen. Tahiti sah ich nur am Morgen und von ferne. Als das Log eine Fahrstrecke von bisher 9720 sm anzeigte, fuhren wir durch die Tongatapugruppe und hielten auf Viti Levu zu. Die Inseln hatte Tasman 1643 entdeckt, im gleichen Jahr als Toricelli das Barometer erfand und Louis XIV. den Thron bestieg (Denkaufgabe: Welche der drei Begebenheiten hat der Menschheit am meisten gentzt?). Am 25. Dezember, dem Weihnachtstag, befanden wir uns in den neuen Hebriden, und am 28. Dezember trat der Kapitn, nachdem er eine Woche lang unsichtbar geblieben war, in den Salon, legte den Finger auf die Karte und sagte: Vanikoro. Wir fahren nach Vanikoro? Wir sind schon da. Vanikoro war ein magischer Name fr mich, denn hier endete 1785 das Leben des Weltumseglers La Perouse. Er fuhr mit den Korvetten Boussole und Astrolabe ab 45 und kehrte nie zurck. Sechs Jahre spter beginnt die Suche: Bruni d'Entrecasteaux legt mit der Recherche und der Esperance von Brest los, sucht die Sdsee ab und fahrt auch bei Vanikoro vorber, ohne Spuren von La Perouse zu entdecken. Seine Fahrt war fruchtlos, sie brachte ihm und einigen seiner Mnner den Tod, sonst nichts. 1824 findet Captain Dillon, ein ganz alter Pazifik-Routinier, die ersten Spuren: Auf Tikopia kauft er einen silbernen Degengriff aus Frankreich. 1827 bekommt er ein Schiff, eine neue Recherche, ankert noch im gleichen Jahr vor Vanikoro und sammelt Eisengerte, Anker, Steinbller, ISpfiinder, Instnmiententrmmer und eine Bronzeglocke, Bazin fecit, Reste von La Perouses Expedition. Im Jahr darauf wird er von Karl X. recht freundlich empfangen. Inzwischen ist Dumont d'Urville mit seiner Astrolabe zur Suche aufgebrochen, ohne von Dillon zu wissen. Er kommt nach Tikopia, nachdem Dillon schon wieder abgereist ist: im Februar 1828. Nach langen Verhandlungen bringt er die Eingeborenen, die ihn fr einen Rcher halten, dazu, ihm den Ort des Schiffsbruchs zu zeigen. Er lt einiges Gert bergen und erfahrt, da La Perouse nach dem Unglck ein weiteres Schiffchen habe zimmern lassen, wieder aufgebrochen sei, und wieder gescheitert ... Aber wo? Inzwischen hat man in Frankreich bemerkt, da d'Urville von Dillon nichts wei, und schickt ihm die Bayonnaise unter Legoarant de Tromelin hinterher. Der soll ihn informieren, aber als er vor Vanikoro ankommt, ist die Astrolabe schon Monate wieder fort... Und wo La Perouses drittes Schiff unterging, wei man bei Ihnen da oben noch nicht? fragte mich der Kapitn. Nein. Kommen Sie mit. Er lie, als wir im Salon saen, die Nautilus auf Tauchstation gehen und die Fensterplatten ffnen. Unter Korallen versenkt, mit Algen berzogen und von Fischen durchlebt, lagern dort die Trmmer der vermiten Schiffe. Der Kommandant La Perouse fuhr am 7. Dezember 1785 mit seinen Schiffen Boussole und Astrolabe ab, sagte der Kapitn. Er ankerte zunchst in der Botany-Bay, besuchte den Freundschafts-Archipel und Neukaledonien. Dann wandte er sich nach Santa Cruz, und seine Schiffe gerieten auf die ihm unbekannten Riffe von Vanikoro: hier. Die Boussole, die voranfuhr, blieb als erste stecken. Die Astrolabe kam ihr zu Hilfe und scheiterte ebenfalls. Die Eingeborenen nahmen die Schiffbrchigen freundlich auf und halfen ihnen, ein neues Schiff zu bauen. Nicht alle Matrosen fuhren wieder mit. So ertranken nicht alle, als La Perouses neues Schiff vor den Salomoninseln unterging, zwischen dem Kap der Enttuschung und dem Kap der Befriedigung. Woher kennen Sie die Stelle? Der Kapitn entnahm einer der Kommoden im Salon eine kleine Blechbchse, die das Salzwasser schon angefressen hatte. Darinnen lagen die Originalbefehle des Marineministers fr La Perouse, mit Marginalien versehen von Ludwig XVI. Ein schner, echter, guter Tod fr einen Seemann, sagte Nemo. Das Meer, Aronnax, bringt denen da oben den Tod. Aber es ist ein Lebenselement fr Myriaden Tiere. Und mich. 46 12 Den Neujahrswunsch am Morgen des 1. Januar 1868 berbrachte mir Conseil, whrend wir durchs Korallenmeer fuhren. Wir hatten seit unserer Abreise 11340 sm zurckgelegt. Ein gutes neues Jahr! Was war darunter zu verstehen? Die Wiedergewinnung des Festlandes, womglich in europischen Breiten? Oder ein Jahr voller weiterer Abenteuer an Bord der Nautilus? Ich wute nicht, was mir lieber war. Am 4. Januar bekamen wir die Kste von Neuguinea in Sicht. Vom Kapitn erfuhr ich, da er die Nautilus durch die Torresstrae bringen wolle. Diese Meerenge ist eine Kleinstinselwelt voller Riffe zwischen Australien und Neuguinea, und ich knnte nicht sagen, was sie unter Seefahrern berchtigter macht: die gefahrlichen Klippen oder die wilden Eingeborenen. Unzhlige Inselchen, Riffe, Klippen, Korallenbnke und Felsen stellen hier Anforderungen an den Steuermann wie sonst kein Punkt des ganzen Erdballs. Nemo traf deshalb auch die grten Vorsichtsmaregeln: Er lie die Nautilus auftauchen und mit verhaltenem Tempo durch die Untiefen gleiten. Das Steuer hatte er selbst bernommen. Ned Land, Conseil und ich verfolgten die Passage von der Plattform aus mit Hilfe einer der vortrefflichen Karten von Vincendon Dumoulin und Coupvent-Desbois - sie und die Karten des Kapitns King sind die einzige Rettung in diesem Gewirr. Das Meer um die Nautilus herum schien zu kochen. Bei einer Wellengeschwindigkeit von 2,5 kn brach die Strmung von Sdost nach Nordwest klatschend an den berall aufragenden Felsnasen. Dieser verdammte Kapitn mu seiner Sache sehr sicher sein! brummte Ned Land, denn ich sehe da einige Korallenspitzen, die seinem komischen Apparat durchaus gefahrlich werden knnten. Aber der dunkle Stahlkrper glitt vorwrts und stie nirgends an, Nemo wechselte geschickt und hufig seinen Kurs und fuhr ein Zickzack, das er offenbar frher schon erkundet hatte. Er schien diesen Klippentanz auf die Spitze treiben zu wollen, denn pltzlich steuerte er die Insel Tound und den Bsen Kanal an. Darin waren die beiden Korvetten gescheitert, mit denen Dumont d'Urville 1840 hier durchzukommen versuchte. Aber kurz vorher drehte Nemo wieder ab und hielt jetzt auf die Insel Queboroar zu. Es war 15 Uhr, die Flut fast auf dem Hhepunkt, Queboroar keine 2 sm von uns entfernt, als mich ein Sto zu Boden warf und die Nautilus stillstand. Als ich mich wieder erhob, sah ich, da Nemo mit seinem Ersten Offizier an Deck stand und die Lage beriet. Wir saen auf einem Korallenriff fest, und das in einem Meer, wo es zwischen Ebbe und Flut kaum einen Niveauunterschied gibt. Der Rumpf unseres Schiffes hatte keinen Schaden genommen, aber wir waren bewegungsunfhig. Festsitzend auf diesem Riff, konnte auch der phantastische Apparat des Herrn Nemo pltzlich lcherlich werden. Ich wute nicht, was ich sagen sollte, und fragte den Kapitn: Ein Unfall? Ein Zwischenfall, antwortete er. 47 Der Zwischenfall kann bedeuten, da Sie Ihren Schwur brechen und an Land gehen mssen, sagte ich. Nemo sah mich kalt und fremd an. Sie werden Ihre Wunderreise durch den Ozean schon noch erleben, werter Herr. Die Nautilus befindet sich nicht in der geringsten Gefahr. In der Torresstrae gibt es, was Ihnen neu sein wird, Flutunterschiede bis zu 1,5 m Hhe. In fnf Tagen, am 9. Januar, ist brigens Vollmond. Sie sehen: ich brauche die Hilfe der Erde nicht, Gensse Mond wird mich schon liften. Der Kapitn wrdigte mich keines weiteren Wortes, sondern stieg hinab. Na, was sagt er? fragte Ned Land. Will er den Kasten verschrotten? Nein. Er wartet auf den Mond. Auf den Mond? Auf den Mond und auf die Flut, die ihn wieder freisetzen soll. Der Kanadier wute zuerst nicht, was er antworten sollte. Dann brllte er: So ein verfluchter Hund! Dem fallt doch immer noch was ein! Aber ich will Ihnen was sagen, Professor: So nah kommt das Land nicht wieder zu uns heran- wir fliehen. Das wrde ich Ihnen gerade in diesen Breiten nicht raten, Meister, sagte ich. Die Wilden von Papuasien sind die wildesten. Auerdem knnen wir das immer noch versuchen, wenn die Nautilus nicht wieder flott wird. Einverstanden? Der Kanadier fugte sich widerwillig, blieb aber doch dabei, wenigstens einen Landausflug zu versuchen, um auf einiges ebares Fleisch Jagd zu machen. Ich dachte, der Kapitn Nemo wrde seine Zustimmung dazu verweigern, aber ich hatte mich getuscht. Wir erhielten das Boot ohne Zgern, und er mahnte uns nicht mit einem Wort daran, da wir seine Gefangenen seien. So fuhren wir drei Tage hintereinander am frhen Morgen zur Insel Queboroar, durchstreiften die Wlder, fingen Kleintiere und sammelten Frchte ein. Ned Lands Ernhrungseifer war nicht zu bertreffen. Er schlug uns Kokosnsse auf, damit wir die Milch trinken konnten, buk ber einem Feuerchen Brot aus den Frchten des Brotfruchtbaumes, fllte und enthutete Sagobume und erlegte am letzten Tag sogar ein Waldschwein und einige Knguruhs mit seinen elektrischen Kugeln. Wir fhlten uns wohl, als wir abends am Strand bei unserem Boot saen und das Fleisch dieser Tiere brieten. Mit Kokosmilch, Mangofrchten, Sagopastete, Ananas, Brotschnitten und einigen Waldtauben als Beilage genossen wir ein vortreffliches Mahl. Und wenn wir nicht mehr auf die Nautilus zurckkehrten? sagte Ned Land pltzlich in das wohlige Schmatzen, und wir schauten uns betroffen an. In diesem Augenblick fiel ein Stein neben unserem Feuerplatz nieder und zerschlug den Gedanken. Wir sprangen auf. Der nchste Stein ri Conseil den Taubenschenkel aus der Hand. Das war gezielt. Wir hatten im Nu die Gewehre in der Hand. Affen? fragte Conseil. Wilde! rief Ned Land, und dann liefen wir zum Strand, wo unser Boot lag. Seltsamerweise strmten die Eingeborenen nicht hinterher, sondern verfolgten uns 48 gemessenen Schrittes. Allerdings benutzten sie diese Gangart, einen Steinhagel aus Schleudern auf uns niedergehen zu lassen, auerdem flogen mehr oder weniger gezielte Pfeile. Als wir ins Boot sprangen, sah ich, da der Kanadier so geistesgegenwrtig und so fleischversessen gewesen war, die tranchierten Fleischstcke von Schwein und Knguruh mitzunehmen. Unsere Eile hatte sich doch gelohnt, denn wir waren kaum 50 m weit entfernt, da standen die Eingeborenen wild heulend bis zum Grtel im Wasser. Zwanzig Minuten spter schraubten wir das Boot wieder am Rumpf der Nautilus fest. Ich ging hinab in den Salon. Der Kapitn sa an der Orgel und spielte. Kapitn! sagte ich. Er rhrte sich nicht. Kapitn! sagte ich lauter und berhrte ihn mit der Hand. Er zuckte zusammen. Ah, Professor. Nun, haben Sie schn gejagt und botanisiert? Jaja. Aber leider haben wir die Aufmerksamkeit der zweifigen Art erweckt. Zweifuler? Wilde. Und das wundert Sie? Es wundert Sie, Herr Professor, da Sie nur einen Fu an Land setzen und schon Wilde treffen? Wo passiert Ihnen das nicht? Dazu brauchen Sie nicht nach Neuguinea zu reisen. Bitte, Kapitn ... Ich jedenfalls habe berall an Land nur Wilde getroffen, fuhr er mich barsch an. Wenn Sie nicht wollen, da Sie auch hier an Bord noch einige treffen, mssen Sie etwas unternehmen! Kein Grund zur Unruhe. Aber es sind eine ganze Menge! Wie viele denn? Mindestens hundert. Tja, dann! sagte der Kapitn und begann wieder, auf der Orgel zu spielen. Und wenn es alle Papuas von Neuguinea wren, Herr Professor: der Nautilus knnen sie nichts anhaben. Er hatte mich bereits wieder vergessen, er spielte, und es fiel mir wieder auf, da er fast nur die schwarzen Tasten seines Instruments benutzte, was seiner Musik eine schottische Frbung gab. Die Nacht verlief trotz meiner Befrchtungen ruhig. Aber als ich am nchsten Morgen gegen 6 Uhr an Deck trat, sah ich, da sich die Eingeborenen gewaltig vermehrt hatten. Am Ufer der Insel Queboroar brannten Wachtfeuer. Einige der Khnsten hatten sich, die Ebbe ausnutzend, auf den Koralleninselchen weiter zu uns herangewagt. Ich konnte sie gut erkennen: echte Papuas von athletischem Wuchs, ein schner Menschenschlag mit breiter, hoher Stirn, dicker - aber nicht platter - Nase und weien Zhnen. Ihr wolliges rotes Haar stach leuchtend gegen die glnzende schwarze Haut ab. Die meisten von ihnen gingen nackt, nur die Huptlinge und Frauen trugen einen Schurz aus Pflanzen. 49 Einer von diesen Huptlingen wagte sich sehr nah an die Nautilus heran, und ich htte ihn ohne Schwierigkeiten erlegen knnen. Natrlich tat ich das nicht, denn es schickt sich fr Europer nicht, gegenber Eingeborenen den Angreifer zu spielen. Ich beschlo gegen Mittag, als die neugierigen Spher sich wieder auf die Insel zurckgezogen hatten, mit Conseil in dem klaren Wasser um die Nautilus nach seltenen Meerestieren zu fischen. Das Geschft blieb zwei Stunden lang ohne Erfolg, und wir zogen mit unseren Netzen nur die allergewhnlichsten Meeresbewohner heraus. Dann aber geschah es: Conseil ffnete nichtsahnend ein Netz, und da entrang sich meiner Kehle ein Aufschrei des Muschelkenners, also der durchdringendste Schrei, dessen die menschliche Kehle fhig ist. Conseil begriff nicht, was los war, als ich ihm die Schnecke vor die Nase hielt, die ich aus seinem Netz gegriffen hatte. Na und? Was ist das? Eine ganz schlichte Purpurschnecke, Ordnung Weichtiere, Familie ... Ja, ja, alles richtig. Aber sie ist nicht rechtsherum eingedreht, sondern linksherum! Nicht mglich! Eine linkslufige Schnecke! wiederholte Conseil mit klopfendem Herzen. Schau dir die Spirale mal genau an! Er nahm das Tier mit zitternden Hnden und sagte: Monsieur mu mir glauben, da ich noch niemals so erschttert war! Dazu hatte er auch einigen Grund! Man wei ja, da die Rechtsausrichtung ein Naturgesetz ist, da linkslufige Schnecken die ganz groe Ausnahme sind und von Liebhabern mit schwerem Gold bezahlt werden. Noch whrend Conseil das kostbare Stck in stummer Bewegung anstarrte, traf ein Stein seine Hand und zerstrte die Schnecke. Ich schrie auf, Conseil ri ein Gewehr hoch, scho und traf einen der Eingeborenen am Handgelenk. Conseil, hr auf zu schieen! Aber die haben doch angegriffen! Eine Schnecke gegen ein Menschenleben, was ist denn das fr ein dmliches Verhltnis. Leg die Flinte hin. Die Lage war allerdings inzwischen wirklich bedrohlich geworden. Eine Anzahl Einbume kreuzte bereits um die Nautilus, und die ersten Pfeilschauer flogen zu uns herber. Wir flohen ins Innere. Der Salon war leer, aber ich berlegte nicht lange, sondern klopfte am Zimmer des Kapitns. Beim Eintreten fand ich ihn in algebraische Berechnungen vertieft. Stre ich? Allerdings. Aber ich nehme an, da Sie wichtige Grnde dazu haben. Ja. Die Schwarzen nhern sich auf Einbumen. Dann machen wir eben die Luken zu. Und er gab ber einen elektrischen Schalter den Befehl dazu an den Maschinenraum. Erledigt. Noch etwas? Ja, und morgen? Wenn wir die Luken zur Lufterneuerung wieder ffnen mssen? Ah, Sie glauben, da die Eingeborenen am Bord kommen? Ich bin berzeugt davon. 50 Na, dann sollen sie mal kommen. Ich will sie nicht daran hindern. Es sind arme Teufel, und ich mchte nicht, da mein Besuch vor ihrer Insel auch nur einen von ihnen das Leben kostet. Ich wollte mich nach dieser Antwort zurckziehen, aber der Kapitn lud mich jetzt zum Sitzen ein. Ich mute ihm unsere Landausflge der vergangenen Tage genau schildern, dann kamen wir auf verschiedene andere Dinge zu sprechen. Er wute, da die Nautilus an beinahe der gleichen Stelle festlag, an der auch d'Urville fast gescheitert wre. Ein guter Mann, d'Urville, sagte er. Einer Ihrer besten Seefahrer. Nachdem ihm die Eisbnke des Sdpols, die Korallen von Ozeanien und die Wilden im Pazifik nichts anhaben konnten, mute er auf der Eisenbahn verunglcken. Trauriges Schicksal fr einen Seemann. Und ich merkte, da in diesen Worten alles Mitgefhl des Kapitns schwang. Wir sahen uns auf verschiedenen Karten die Reisen d'Urvilles an. Was er ber Wasser geleistet hat, tue ich unter dem Meeresspiegel, sagte Nemo. Natrlich konnten sich seine Nuschalen nicht mit der Nautilus vergleichen. In einem Punkt schon. In welchem? Beide sind an fast der gleichen Stelle gestrandet. Die Nautilus ist nicht gestrandet, werter Herr, sagte Nemo kalt und erhob sich. Morgen um 14.40 Uhr wird sie ihre Fahrt fortsetzen. Auf Wiedersehen. In dieser Nacht hrten wir bereits das Lrmen und Fetrampeln der Wilden an Deck. Ich schlief schlecht, das gebe ich zu. Bis Mittag rhrte sich am nchsten Tag kein Mensch an Bord. Auch der Kapitn lie sich nicht blicken. Zehn Minuten vor dem angegebenen Termin befand ich mich im Salon und konnte dort schon das leise Knirschen hren, mit dem die Nautilus sich, von der Flut getragen, Zentimeter um Zentimeter vom Korallenboden abhob. Um 14.35 Uhr erschien der Kapitn. Wir sind im Begriff zu fahren, sagte er. Und die Papuas? Die Papuas? Er zuckte die Achseln. Kommen Sie mit. Wir traten auf den Gang hinaus und hrten dort das Geheul ber uns. Ned Land und Conseil standen an der Leiter, die zur Ausstiegsluke fhrte, und sahen mit gemischten Gefhlen, wie die Luke geffnet wurde. Als der Deckel zurckschlug, erschienen gleich zwanzig Gestalten auf einmal an der ffnung. Aber der erste, der die Hand ans Treppengelnder legte, wurde von einer unsichtbaren Gewalt gepackt und zurckgeworfen, so da er mit grlichen Schreien entfloh. Den nchsten beiden erging es ebenso. Ned Land wollte jetzt hinaufstrzen und den Rest verjagen, aber kaum hatte er das Gelnder berhrt, als er ebenfalls wie vom Blitz getroffen zurckgeschleudert wurde. Jetzt wute ich, da Nemo dieses Gelnder elektrisch laden konnte und damit einen undurchdringlichen Zaun zwischen jeden Angreifer und die Bordbewohner legte. Neds Attacke war gar nicht mehr ntig gewesen, die Papuas zogen sich allein zurck, in heillosem Schrecken. Und whrend wir dem fluchenden Kanadier noch die Glieder massierten, merkten wir, da die Nautilus wieder frei schwamm, getrieben von der gleichmig drhnenden Umdrehung ihrer Schraube. 51 13 Am 10. Januar begann die Nautilus pltzlich, Tempo vorzulegen, und erreichte eine Geschwindigkeit von 35 kn, das sind fast 64 km/h. Am 11. Januar passierten wir Kap Wessel, am 13. Januar fuhren wir in die Timorsee ein, und Nemo ging wieder auf vollen Sdostkurs, geradewegs in den Indischen Ozean. Wohin wollte er? Nach Asien? Europa? In die Antarktis? Am 14. Januar waren wir fern von allen Ksten wieder auf offenem Meer, und die Nautilus wurde langsamer. Der Kapitn beschftigte sich whrend dieses Teils unserer Reise mit fortwhrenden Temperaturmessungen in verschiedenen Meerestiefen, die zu dem definitiven Resultat fhrten, da das Meer unter allen Breiten in 1000 m Tiefe eine Temperatur von 4,5 hat. Ich verfolgte diese Messungen und Berechnungen mit dem grten Interesse, aber ich fragte mich zugleich doch auch, wem all die Ergebnisse, die der Kapitn dabei gewann, einmal dienen sollten. Den Menschen? Kaum, denn wahrscheinlich wrden seine Manuskripte mit ihm eines Tages in irgendeinem unbekannten Meer versinken. Er htte mir diese Aufzeichnungen anvertrauen knnen, aber das htte bedeutet, da das Geheimnis seines Schiffes und seiner Existenz aus seiner Kontrolle geraten wre. Dennoch unterrichtete er mich bei einem Gesprch, das wir am Morgen des 15. Januar auf der Plattform fhrten, ber seine Ergebnisse. Ich hrte mir das an und sagte dann: Gut, Kapitn, aber wozu tun Sie das? Die Nautilus ist eine Welt fr sich, und die Erkenntnisse ihrer Gelehrten gelangen nicht bis zur Erde. Da haben Sie recht, sagte er nach einigem Schweigen. Die Nautilus ist eine Welt fr sich, und sie ist der Erde so fremd wie irgendeiner der Planeten in unserem Sonnensy stem. Und ebensowenig, wie man die Arbeiten der Wissenschaftler vom Jupiter oder vom Saturn kennenlernen wird, sollen meine Arbeiten unter den Menschen bekanntwerden. Nach diesem Gesprch verschwand der Kapitn wieder, und ich mute meine Tage ohne ihn verbringen. Am 16. Januar geschah etwas Eigenartiges: Whrend wir vllig ohne Antrieb durch die Schraube in geringer Tiefe schwammen, standen die Fenster im Salon zur Besichtigung frei, aber die elektrischen Lampen der Nautilus erleuchteten das Wasser nicht. Dennoch wurde es pltzlich hell in diesem Halbdunkel, und ich sah nach kurzer Zeit auch, woher dies Licht kam. Die Nautilus war in eine Strmung von phosphoreszierenden Infusorien geraten, sie schwamm inmitten von Myriaden leuchtender Tierchen, deren glnzender Funke noch strker aufglhte, wenn sie mit dem Rumpf der Nautilus in Berhrung kamen. Dieser leuchtende Strom blendete zuerst wie Bleigu im Schmelzofen oder weiglhendes Metall beim Abstich. Aber nach und nach konnte ich in dieser Lichtquelle noch verschiedene Helligkeiten und Schattenbildungen unterscheiden, die sich unaufhrlich gegeneinander verschoben: lebendiges Licht. Wenn ich dicht ans Fenster trat, konnte ich in diesen leuchtenden Wogen aus Medusen, Asterien, Aurelien und anderen gallertartigen Zoophyten auch grere Tiere des Meeres erkennen, die in dem Lichte badeten. Delphine, Segelfische, Hornfische, Klippfische tummelten sich im erleuchteten Element und strahlten wie 52 feurige Salamander - das Schauspiel wirkte wie Zauber und war zweifellos deshalb so stark, weil irgendwelche atmosphrischen Einflsse an der Oberflche des Meeres herrschten. Am 18. Januar sah ich den Kapitn wieder, da befand sich die Nautilus sdlich der Weihnachtsinseln unter 105 stl. Lnge und 15 sdl. Breite. Von Osten her wehte starker Wind, und das Barometer kndigte an, da Luft und Wasser bald aneinandergeraten wrden. Als ich die Plattform betrat, ma der Erste Offizier gerade die Stundenwinkel, und dann sprach er, aber statt des bisher tglich gehrten Satzes war es ein anderer, ebenso unverstndlich. Sofort tauchte Nemo in der Luke auf, kam heran, nahm seinem Gefhrten das Glas weg und suchte den Horizont ab. Er stand einige Minuten vllig unbeweglich da, das Fernglas ruhte so sicher in seiner Hand wie auf einem Stativ. Pltzlich setzte er es ab und sagte einige Worte in der seltsamen Bordsprache. Auf dem Gesicht des Mannes malten sich Schreck und Erregung, whrend Nemo weiterhin vllig kalt blieb. Tonfall und Gebrden lieen erkennen, da Nemo Befehle gab, die der andere, nicht ohne Einwnde, hinnahm. Er trat an die Luke und rief etwas hinab, und gleich darauf begann die Nautilus schneller zu fahren. Whrend die Schraube immer strker auf Touren kam, schritt der Kapitn die Plattform ab, und er wirkte auf mich etwas hastiger als sonst, beherrschte sich aber vollkommen. Er ging mehrmals an mir vorber, ohne Notiz von mir zu nehmen. Mir wurde dieses geheimnisvolle Benehmen zu bunt, ich stieg kurz entschlossen hinab, holte mir aus meinem Zimmer ein Fernglas und ging damit wieder zur Plattform hinauf. Der Erste Offizier beobachtete inzwischen auch wieder mit dem Glas vor den Augen, und er war so erregt dabei, da die Worte, die er ausstie, sicher Flche waren. Ich sttzte mich mit den Ellenbogen auf das Scheinwerfergehuse und setzte das Glas an. Im gleichen Augenblick wurde es mir aus der Hand gerissen. Ich drehte mich um und sah in die entstellten Gesichtszge des Kapitns, der dicht hinter mich getreten war. Die Augen waren fast vllig hinter die tiefhngenden, drohenden Brauen zurckgetreten, der Kopf mit den gebleckten Zhnen sa tief zwischen den Schultern, die Fuste hielt er geballt, den ganzen Krper sprungbereit gespannt: Eine Gestalt, die der Ha verzerrt! durchfuhr es mich. Es kochte in ihm, aber er rhrte sich nicht, zwang sich, eisern stillzustehen und an mir vorbeizusehen, und nach und nach gelang es ihm, sich zu beherrschen; eine Hand ffnete sich, mein Glas, das er mir weggerissen hatte, fiel zu Boden, ohne da er sich danach bckte. Er sprach einige Worte in der fremden Sprache, dann wandte er sich mir zu und sagte khl und bestimmt: Monsieur, ich nehme jetzt die Zusage in Anspruch, die Sie mir gaben. Was ist los, Kapitn? Ich mu Sie und Ihre Gefhrten einschlieen, bis es mir angebracht erscheint, Sie wieder freizulassen. Also auf unbestimmte Zeit. Bon. Sie haben zu befehlen. Aber darf ich mir eine Frage erlauben? Nein. 53 Also stieg ich hinab zu Conseil und Ned Land, und ich hatte kaum erklrt, was jetzt geschehen werde, da brachten uns auch schon vier Mnner in jene Zelle, in der wir die erste Nacht hatten schlafen mssen. Die Tr schlo sich, wir waren eingesperrt. Meine Gefhrten bestrmten mich, sie aufzuklren, aber ich wute selber nicht, welchen Sinn ich den erlebten Vorgngen geben sollte. All das reimte sich nicht und machte mir den Kopf mit Gedanken schwer. Pltzlich ri mich der Kanadier aus dem Grbeln: Na, wenigstens ist der Frhstckstisch gedeckt. Nemo mute den Befehl dazu schon gegeben haben, als er die Nautilus mehr Fahrt machen lie. Das Einschlieen war also nicht auf meine Neugier mit dem Fernglas zurckzufuhren. Vielmehr wrden in der nchsten Zeit wohl Dinge geschehen, die uns fr immer ein Geheimnis bleiben sollten. Das Essen schmeckte, aber es machte uns nicht heiter. Die Unsicherheit der nchsten Stunden lie keinen rechten Appetit aufkommen. Wir lagerten uns bald jeder in einem Winkel auf den Boden, und kaum saen wir, ging das Dekkenlicht aus. Ned Land schlief da bereits. Auch Conseil begann unzusammenhngende Dinge zu erzhlen, sich durch Ghnen unterbrechend, und dann, whrend ich noch staunend ber die pltzliche Schlafsucht grbelte, fhlte ich in meinem Kopf eine langsame, unwiderstehliche Betubung wirken, gegen die alle Willenskraft machtlos war, die mir die Augen schlo und das Bewutsein raubte. Der letzte Eindruck war der einer groen Klte in allen Gliedern und das Gefhl des vlligen Stillstands. 14 Ich wachte am anderen Morgen mit bemerkenswert freiem Kopf auf und stellte fest, da ich auf dem Bett in meiner Kabine lag. Ich konnte mich an keinen Vorfall dieser Nacht erinnern. Befand ich mich wieder in Freiheit? Die Tr meiner Kabine war unverschlossen. Ich trat auf den Gang hinaus, ging bis zur Leiter mittschiffs und stieg zur Plattform empor. Dort traf ich Ned Land und Conseil. Beide waren schon seit einiger Zeit auf und hatten mich nicht wecken wollen. Ich fragte, ob sie sich an irgend etwas erinnern knnten, das in dieser Nacht geschehen war: nichts. Im Schiffskrper war es noch ruhiger als sonst, wir trieben mit geringem Schraubenschlag an der Meeresoberflche in westlicher Richtung. Ned Land hatte mit Spherblicken bereits das Meer abgesucht: nirgends Land, aber auch keine Spur von einem Segel, einem Mast, einem Boot. Bald tauchten wir wieder, aber nicht tief, kamen wieder hoch, tauchten erneut, und jedesmal trat der Erste Offizier auf die Plattform und sprach den gewohnten unverstndlichen Satz. Bis mittags sah ich auch nichts vom Kapitn, aber als ich mich um 14 Uhr im Salon aufhielt, trat er pltzlich herein. Ich grte, aber er erwiderte kaum. Ich dachte, er werde mir vielleicht Erklrungen ber die vergangene Nacht geben, aber nichts dergleichen geschah. Da wandte ich mich wieder meinen Notizen zu und tat, als beachte ich ihn ebensowenig wie er mich. Dabei sah ich ihn mir aus den Augenwinkeln heraus an: Er ging ziellos im Salon auf und ab, sah bernchtigt und elend aus, seine Augen hatten sich sichtbar gertet, und das Gesicht, das gestern morgen von Ha verzerrt wurde, spiegelte tiefen Gram wider. Er setzte sich, stand wieder auf, trat vor die Orgel, bltterte eine 54 Partitur durch, legte sie ungerhrt wieder hin, sah nacheinander auf alle Instrumente, murmelte die Daten lautlos vor sich hin und trat dann schlielich brsk auf mich zu: Sind Sie Arzt? Ich war so verdutzt ber diese Frage, da ich eine Weile zur Antwort brauchte. Sind Sie Arzt? wiederholte er. Ich dachte nur, weil einige Ihrer Kollegen doch auch, Gratiolet, Moquin-Tandon ... Ja, antwortete ich. Ich habe tatschlich Medizin studiert und auch einige Jahre lang praktiziert, bevor ich am Museum angestellt wurde. Gut. Wrden Sie einem meiner Leute behilflich sein? Sie haben einen Verwundeten? Ich habe einen Kranken. Gut, ich bin bereit. Kommen Sie. Ich gestehe, da mein Herz jetzt klopfte, denn mir schien, da es zwischen den Vorfallen dieser Nacht und der pltzlichen Erkrankung einen Zusammenhang gab. Nemo fhrte mich den Gang entlang bis ins Heck der Nautilus und lie mich in eine kleine Kabine eintreten, die sich neben dem Mannschaftsraum befand. Darin lag auf einer niedrigen Bettstatt ein Mann von etwa 40 Jahren, krftig gebaut, brtig, ein angelschsischer Typ. Ich beugte mich ber ihn und erschrak. Dieser Mann war nicht krank, sondern tdlich verwundet. Sein Kopf, mit blutigen Leinwandstreifen umwickelt, ruhte auf einem blutverklebten Kissen. Ich nahm ihm langsam die Binde ab und sah, was ihm geschehen war: Der Schlag mit einem schweren Gegenstand hatte ihm die Schdeldecke an einer Seite zertrmmert und zu einer grlichen Wunde geffnet. Das Gehirn lag zu groen Teilen frei, gequetscht und eingerissen, in einer flieenden Masse suppend, die von geronnenen Blutklumpen starrte. Der Verletzte gab keinen Laut von sich, atmete nur noch mit leisen Sten und zeigte verkrampfte Gesichtszge: der Gehirnschaden hatte bereits zu Muskel- und Nervenlhmungen gefhrt. Als ich seinen Puls fhlte, merkte ich, da er an den ueren Gliedern schon kalt wurde. Ich legte ihm vorsichtig die Tcher wieder ber das Loch im Schdel. Dann erhob ich mich und trat zum Kapitn. Woher kommt diese Wunde? Das ist doch vllig gleichgltig. Nehmen Sie an, ein Maschinenteil hat ihn getroffen. Knnen Sie ihm helfen? Ich zgerte mit der Antwort. Reden Sie, der Mann versteht kein Franzsisch. Er wird binnen zwei Stunden sterben. Sie knnen nichts tun? fragte Nemo und beschattete seine Augen mit der Hand. Er sah mir gerade ins Gesicht. Nichts. Und dann schlo er die Hand ber den Augen, als wolle er sich besinnen; aber ich hatte die Trnen darunter gesehen. Ich wandte mich ab, beugte mich wieder zu dem Sterbenden hinunter, um vielleicht aus seinen letzten Worten eine Aufklrung ber das zu bekommen, was hier vorgefallen war. 55 Sie knnen jetzt gehen, Professor, sagte da der Kapitn scharf. Ich ging hinaus und ging langsam in mein Zimmer, und ich mu gestehen, da mich das Sterben dieses Mannes und alles, was ich dazu gesehen hatte, bis in die Trume dieser Nacht hinein verfolgte. Am anderen Morgen traf ich den Kapitn auf der Plattform. Ich habe einen Ausflug unter Wasser vor, sagte er ohne jeden Gru. Wollen Sie mitkommen? Allein? Sie knnen gern Ihre Gefhrten mitnehmen. Eine halbe Stunde spter steckten wir in den Gummianzgen und warteten in der Schleuse. Diesmal war auch der Kanadier mit dabei. Auerdem begleiteten den Kapitn zehn oder zwlf Leute seiner Mannschaft. Wir stiegen in einer Tiefe von 10m aus der Nautilus aus. Der Boden sah hier vollkommen anders aus als bei unserem ersten Unterseegang im Stillen Ozean: keine Spur von Sand, von unterseeischen Wiesen und Buschlandschaften. Wir traten auf harten Grund. Hier unten dehnte sich das Korallenreich. Die Koralle gehrt zu den Tierpflanzen, aber dieser Zuordnung war man sich in der Wissenschaft erst spt sicher geworden. Sie wurde wegen ihrer Kalkgehuse auch zu den Gesteinen, wegen ihrer Verstelungen auch zu den Pflanzen gerechnet. Der Korallenstock, die dauernde Vereinigung einer groen Zahl von Individuen zu einem Gesamtorganismus, entsteht durch die ungeschlechtliche Vermehrung auf dem Wege der Teilung oder Knospenbildung, wobei smtliche Einzelwesen durch ein System von Ernhrungskanlen miteinander in lebendiger Verbindung stehen, ein Fall von natrlichem Sozialismus. Der Zusammenhang wird am hufigsten durch ein Sttzskelett in Form einer hornigen Achse oder einer umfangreichen Verkalkung der Leibeswand vermittelt. Wir schalteten die Ruhmkorff-Lampen ein. Unser Weg fhrte an einer noch niedrigen Korallenbank entlang, die eines Tages auch aus dem Meer auftauchen wrde, um eine neue Klippe, ein Riff, eine Insel zu bilden. Unentwirrbare Gebsche sumten diesen Weg, Zweigwerk wuchs zusammen, durchdrang sich und verflocht sich von neuem, ber und ber von kleinen weistrahligen Sternblumen bedeckt. Hier wuchs alles von oben nach unten. Das einfallende Licht verstrkte das Farbenspiel in den Zweigen, und es hatte den Anschein, als zitterten diese winzigen Hlsen unter der Bewegung der Wasserflche. Ich griff mit der Hand nach den Stauden, um von diesen zauberhaften Blumen eine zu pflcken, aber sowie ich sie berhrte, ging ein Schreck durch die ganze Kolonie. Die weien Bltenkpfchen verschwanden in den Kalkgehusen, und die Blumenwand verwandelte sich mit einem Schlag in einen Block versteinter Warzen. Bald wurden die Gebsche dichter und wuchsen auch hher hinauf. Wir befanden uns jetzt auf einer Schneise zwischen versteinerten Waldstcken und schritten unter den bizarren Jochen einer phantastischen Architektur hindurch. Nemo fhrte uns in einen dunklen Gang, der bis in 100 m Tiefe sanft abfiel, und ich bemerkte, unter dem 56 Lichtspiel unserer Lampen, das ber die durchbrochenen Wnde und Deckenbgen huschte, Meliten, Iris und Bsche von grnen und roten Korallinen. Nach zwei Stunden Weg hatten wir eine Tiefe von 300 m erreicht und standen klein und verloren inmitten eines ungeheuren Waldes, schritten durch mineralischen Hochwuchs, enorme versteinerte Bume, die von Plumaria-Girlanden durchwebt waren. Wir waren so klein in diesem Riesenwuchs, da wir in den Hohlrumen frei gehen konnten, und unsere Fe traten auf einen Teppich von Tubiporen, Meandrinen und Caryophyllen. Da machte Nemo halt, und ich sah, wie seine Leute einen Halbkreis um ihn bildeten. Und ich sah jetzt auch, da zwei von ihnen einen lnglichen, in weie Tcher gehllten Gegenstand auf den Schultern getragen hatten. Wir standen im Mittelpunkt einer Lichtung, die von unseren Lampen gerade ausgeleuchtet wurde. Dahinter breitete sich wieder tiefes Dunkel. Der Boden unter unseren Fen hatte hier in gewissen Abstnden nur sehr schwach verkrustete, lngliche Erhhungen. In der Mitte der Lichtung erhob sich auf einem Sockel von Steinen ein aus den Korallen gehauenes Kreuz. Auf einen Wink von Nemo trat jetzt einer der Begleiter vor und begann, vor dem Kreuz mit einer Hacke den Boden zu ffnen und eine Grube zu graben. Ned Land, der mit Conseil neben mir stand, und ich sahen uns an, wir hatten verstanden: diese Lichtung im Korallenwald war ein Friedhof, dieses loch im Boden war ein Grab, dieser Gegenstand in den Tchern war eine Leiche-die Leiche des gestern verstorbenen Mannes, der hier auf dem Meeresgrund beigesetzt werden sollte. Als die Grube tief genug war, traten die Trger heran und lieen die weie Gestalt langsam hinab. Nemo hielt die Arme ber der Brust gekreuzt und sank jetzt, als wolle er beten, nach vorn auf die Knie. Seine Gefhrten folgten dieser Bewegung, und auch wir drei senkten ehrerbietig die Messinghelme mit unseren Kpfen. Einer der Knienden erhob sich und scharrte das Loch wieder zu, dann standen alle auf, traten dicht an das kleine lngliche Hgelehen und streckten die Hnde darber ... Der Kapitn wandte sich als erster um und gab den Rckweg an. Wir stiegen lange durch das Kalkgestrpp der Korallen wieder bergan, und endlich, gegen 13 Uhr, kamen die Positionslichter der Nautilus in Sicht. Nachdem ich mich umgekleidet hatte, stieg ich zur Plattform hinauf und traf dort den Kapitn. Der Mann ist also noch whrend der Nacht gestorben? sagte ich. Ja, Herr Aronnax. Und Sie haben ihn dort unten auf dem Korallenfriedhof neben seinen Gefhrten zur Ruhe gebettet? Ja. Von allen vergessen, nur nicht von uns. Wir graben das Grab, und die Korallen verschlieen es fr alle Ewigkeit. Ihre Toten, Kapitn, schlafen da sehr ruhig, sagte ich leise. Die Haifische knnen ihnen nichts anhaben. Und auch kein Mensch! sagte Nemo und war nicht mehr fhig, ein Schluchzen, das aus seiner Brust kam, zu unterdrcken. 57 15 Conseil sah in diesem Mann lediglich einen verkannten Gelehrten, der die Dummheit der Welt mit Verachtung strafte, ein theoretisches Genie, das sich, der aufhaltsamen Praxis mde, in diese menschenleere Wasserwelt zurckzog, wo ihn niemand hinderte, sich auszuleben. Ned Land hielt den Kapitn zweifellos fr einen Verrckten, der gefahrlich aggressiv war und deshalb keinen Anspruch auf Schonung haben konnte. Mir war er mehr. Die Ereignisse der letzten beiden Tage hatten mir gezeigt, da die Scheu dieses Mannes List war, seine Existenz Besessenheit und seine Besessenheit Methode. Die Nautilus war nicht allein das Werkzeug seiner Flucht, sondern auch eine Waffe, die er planvoll und rcksichtslos einzusetzen schien, der groe Raspel, mit dem er die Ecken und Kanten der Welt, an denen er sich verletzt hatte, abschliff. Ein Opfer, das zum Henker wurde? Sollte man ihn hassen oder bewundern? Wir hieen seine Gste, aber wir waren seine Gefangenen. Ned Land htte jede auch noch so kleine Fluchtmglichkeit ergriffen. Conseil htte sich in dieser Frage wie ich verhalten. Aber wie wrde ich mich verhalten? Es gab Augenblicke, in denen es mir vllig gleichgltig war, ob diese Fahrt mein Leben kostete, wenn ich sie nur bis zum uersten Ende miterleben konnte - Augenblicke eines Naturforschers, die auerhalb der Erfahrung eines Harpuniers oder eines Dieners liegen. Mein Genu an dieser vielleicht unmoralischen Fahrt war selbstschtig, und deshalb war mir bei all diesen Rauschzustnden des Sehens und Erkennens klar, da ich mit meinen Gefhrten die erste Gelegenheit zur Flucht benutzen mute. Es wre grausam, die beiden meiner Leidenschaft fr das Unbekannte zu opfern. Ich stieg tglich morgens zur Plattform hoch, um auf diesem beweglichen Stck Eisen mitten im Ozean spazierenzugehen, die reine Seeluft zu atmen und mich an der vollkommenen Klarheit des Indischen Ozeans zu berauschen, dessen erkennbare Tiefe mich schwindeln machte. Meistens traf ich bei diesen Gngen den Ersten Offizier, der den Horizont absuchte und Nautron respoc lorni virch rief. Ich sprach dann verschiedene Stze halblaut vor mich hin, die ihn htten rgern oder erregen mssen, wenn er Franzsisch verstand. Aber er zeigte nicht die geringste Reaktion. Wir sahen whrend des Auftauchens viele Seevgel, Alba;, trosse, Fregatten und Phadtons, die manchmal auf den Wellen von ihren weiten Flgen ausruhten; wir fingen mit unseren Netzen Seeschildkrten, deren Eier wir aen, und Knochenfische: Dromedare, Trigonen und Meerschweine; das Fleisch der dreieckigen Exemplare war von erlesenem Geschmack. Und wir liefen am 24. Januar frh mit einer Geschwindigkeit von 22 kn unter 12 5' sdl. Breite und 94 33' stl. Lnge an der Insel Keeling vorbei, von keinem bewohnt, doch von Darwin betreten, und hielten -Kurs Nordwest - auf die Sdspitze Indiens zu. Indien! rief Ned Land ber der Karte, auf der wir den Kurs verfolgten. Endlich Spuren von Zivilisation. Endlich Lnder, in denen es nicht mehr Wilde als Wildbret 58 gibt! Indien - das bedeutet Englnder, Franzosen, Europer! Das bedeutet Landstraen, Eisenbahnen, Stdte. Das bedeutet die Flucht fr uns, Herr Professor! Warum in Indien fliehen, wenn wir uns Europa nhern, fragte ich. Nein, Meister. Warten Sie, bis wir in heimatlichen Meeren kreuzen. Dann lohnt es, sich den Kopf zu zerbrechen. Am 25. Januar, einem Tag, den die Nautilus fast vollstndig an der Oberflche verbrachte, konnten wir am spten Nachmittag eine sehr merkwrdige Erscheinung beobachten. Wir begegneten einer Flotte von Mollusken, die in die Familie der Tintenfische gehren und in der Antike Nautilus oder Pompylius genannt wurden. Die moderne Wissenschaft hat allerdings einen anderen Namen fr sie gefunden: Sie heien jetzt Argonauten. Gegen 17 Uhr also begegnete die Nautilus den Argonauten, kleinen Weichtieren, die sich durchs Rckstoprinzip fortbewegen. Sechs ihrer acht Arme lagen auf dem Wasser, zwei waren zu einer Blattform zusammengerollt und standen wie leichte Segel im Winde. Jedes Tierchen sa in einer spiralfrmigen, gefltelten Muschel, einem richtiggehenden kleinen Boot, aus Kalkabsonderungen gebildet. Die Flotille begleitete uns fast eine Stunde lang, dann fuhr von irgendwoher ein pltzlicher Schreck in sie. Wie auf ein Kommando verschwanden die Segel, die Arme zogen sich ein, die Krper schrumpften zusammen, und der Schwerpunkt der Muschelschalen verlagerte sich. Im nchsten Augenblick war das ganze Geschwader versunken, ein Manver, das exakter verlief, als es jede Marine der Erde fertiggebracht htte. Am folgenden Tag, dem 26. Januar 1868, kreuzten wir unter 82 stl. Lnge zum zweitenmal den quator. Whrend dieses Tages folgten uns die Haie; wir tauchten und ffneten die Sichtfenster im Salon, da erlebten wir, wie diese Tiere mit allem Ungestm auf die dicken Glaswnde losfuhren. Die Nautilus legte pltzlich Geschwindigkeit zu und lie das Rudel hinter sich. Am anderen Morgen begegneten wir beim Auftauchen den ersten Leichen von Indern, die beim Bad im Ganges ertrunken und bis hier hinausgesplt worden waren: Die Haie, wie die Aasgeier im Bestattungsdienst ttig, waren zu ihren Frepltzen unterwegs. Als es Abend wurde, frbte sich das Meer um uns wei, als habe ein Zauberknstler das Wasser in Milch verwandelt. Der Mond? fragte Conseil. Frbt er das Wasser so? Nein, antwortete ich, der Mond steht noch unterm Horizont. Schau dir den Sternenhimmel an: er ist schwarz im Vergleich mit diesen dunkelweien Gewssern. Man nennt dies ein Milchmeer, eine weite weie Wasserflche, wie sie in diesen Breiten und an den Ksten von Amboina hufig vorkommt. Eine unendliche Menge von leuchtenden Infusionstieren, farblos, gallertig, oft ber Meilen miteinander verfilzt, belebt hier das Wasser. Es gibt Berichte von Seefahrern ber derartige Milchflchen, die bis zu 40 Quadratmeilen gro gewesen sind. Conseil war von der Erscheinung mchtig beeindruckt. Je dunkler es wurde, desto strker leuchteten die seifigen Wogen, in denen die Schraube der Nautilus Schaumwirbel aufri. 59 Unendliche Menge ist nicht ganz korrekt, sagte ich zu Conseil spter noch. Ein jedes dieser Tierchen ist 115 mm lang. Man knnte also ausrechnen, wie viele auf 40 Quadratmeilen... Ich erkannte, da dieser Gedanke etwas abseitig war, und starrte weiter ins Milchmeer. Gegen Mitternacht tauchten wir pltzlich wieder in dunkles Wasser ein und lieen das Milchmeerchen hinter uns. Am Horizont bildete sich ein Nebelstreif aus dem Widerschein der weien Wellen in der Atmosphre. Es war Zeit, zu Bett zu gehen. 137 196 160 000 000, sagte Conseil. Wie bitte? Hundertsiebenunddreiigbillionenhundertsechsundneunzigmilliardenhundertsechzig millionen wahrscheinlich, wiederholte mein Diener. Monsieur sagte doch, da eins dieser Tierchen 1/5 mm lang ... Am 28. Januar tauchten wir angesichts eines Landstriches auf, den ich auf der Karte als die Insel Ceylon identifizierte. Die Insel gilt als die fruchtbarste der Erde. Ich wollte gerade Genaueres ber sie in der Bibliothek nachlesen, als Nemo zu mir trat und sagte: Ceylon liegt vor uns, Herr Professor. Htten Sie Lust, seine Perlenfischereien zu besuchen? Aber ja. Fischer werden wir leider keine antreffen, sie beginnen ihre Arbeit erst spter im Jahr. Wir werden bis in den Golf von Mannar fahren. Ich suchte den Golf auf der Karte: Er liegt zwischen der Insel Ceylon und dem indischen Festland und reicht bis zum 9. Breitengrad in die nrdliche Hemisphre hinein. Auch im Golf von Bengalen taucht man nach Perlen, erklrte mir der Kapitn Neno, in den chinesischen und japanischen Meeren, an Sdamerikas Ksten, im Panamagolf und im Golf von Kalifornien. Hier aber haben die Perlenfischer die schnsten Erfolge. Sie: versammeln sich im Mrz und gehen etwa einen Monat lang; dem Geschft nach, in Booten, die mit jeweils 10 Ruderern und 10 Fischern besetzt sind. Die Fischer wechseln einander im Tauchen ab. Sie kommen, mit Hilfe eines schweren Steins, bis in Tiefen von 12 m. Die Naturmethode. Ja. Die Englnder haben die Lizenzen fr dieses Gewerbe 1802 im Vertrag von Amiens erworben. Vielleicht tte es den Tauchern und dem Geschft gut?, wenn die Methoden mal von der Industrie revolutioniert wrden. Zum Beispiel mit Taucheranzgen, wie Sie sie benutzen. Tja, sicher. Die Leute knnen nmlich nicht sehr lange unter Wasser bleiben. Bei dreiig Sekunden liegt die durchschnittliche Tauchzeit, und danach schiet manchen beim Auftauchen das Blut schon aus Mund und Nase. In dieser halben Minute mssen sie in aller Hast in ihr Netz raffen, was sie an Muscheln greifen knnen. Sie werden nicht alt, diese Fischer. Sie erblinden langsam, um die Rnder ihrer Augen setzen sich Geschwre, der ganze Krper reit schlielich in Wunden auf, und viele trifft auf dem Meeresgrund der Schlag. Na, wenigstens sind die armen Teufel in ihrem kurzen Leben reich gewesen. ~60 Durchaus nicht, Monsieur. Der Endverbraucher zahlt hohe Preise fr Perlen, aber diese Fischer, die nun wirklich Gesundheit und Leben an ihren Erwerb setzen, bekommen fast nichts dafr. In Panama betrgt der Wochenlohn eines solchen Tauchers zum Beispiel l Dollar. Und hier herum zahlen die Herren l Sou fr die Muschel. Natrlich nur, wenn eine Perle drin ist. Haben Sie wirklich gedacht, nur in Europa gebe es Ausbeutung? Sie haben bemerkenswert wenig Ahnung von der Welt, in der Sie leben, Monsieur. Er brach ab, hielt einen Augenblick inne und fhr dann ohne den geringsten zynischen Unterton fort: Wir werden morgen also im Golf von Mannar wandern. Haben Sie brigens Angst vor Haifischen? Tja ... was soll ich da sagen, ich habe noch keine nheren Kontakte ... Sie werden sich daran gewhnen. Wir sind bewaffnet und knnen vielleicht sogar einen Hai erlegen. Das ist eine lustige Jagd. Bis morgen also! Bren auf dem Balkan, Lwen auf den Hochebenen des Atlas, Tiger in den Niederlassungen Indiens zujagen: das ja, das ohne weiteres. Aber Haifische in den Meeren? Ich fuhr mir mit der Hand ber die Stirn, nachdem der Kapitn gegangen war, und da stand Schwei. Ich wei, da die Neger auf den Andamanen allein mit Schlinge und Dolch bewaffnet den Hai angehen, aber war ich ein Neger? brigens verloren diese Haibezwinger nicht selten Arme, Beine oder das Leben. Wider meinen Willen schlugen mir die Zhne leicht aufeinander, und ich sah sofort die beiden mchtigen Kinnladen eines Haifisches vor mir, mit den vielen Zahnreihen, die einen Menschenkrper ohne Schwierigkeiten in der Mitte durchtrennen knnen. Ein leichtes Ziehen um die Hfte brachte mich sofort dazu, da ich mich setzte und das Buch ber Ceylon wieder zur Hand nahm. Aber die Zeilen liefen unter meinen Augen entlang wie die Zahnreihen von Haifischkiefern, ich brachte es nicht fertig, auch nur den Sinn eines einzigen Satzes zu verstehen. Ich gebe zu, da mich die Furcht, eines oder mehrere Glieder zu verlieren, etwas aus der Fassung brachte. Da traten meine Gefhrten ein, lachend. Ich ertappte mich dabei, da ich sie prfend ansah, ob sie noch alle ihre Glieder besaen. Einen fabelhaften Vorschlag hat dieser Kapitn gemacht, rief Ned Land. Morgen gehen wir Perlen sammeln. Ich hab1 so eine Austernbank noch nie gesehen. Sie sind ja direkt scharf drauf, sagte ich. Offenbar hatte der Kapitn es fr richtig gehalten, den beiden nichts ber die drohenden Haifische zu erzhlen. Na, das ist doch interessant. Endlich mal ein bichen Abwechslung auf dem alten Kahn hier. Vielleicht ist es auch gefahrlich! Gefhrlich?? Na ... die Muschel, wenn die, hm, zuschnappt ... und Sie haben, hm, haben den Finger drin... Professor! Was ist denn in Sie gefahren? Ich meine ja nur. Freund Land: mein Herr versteht sich auf Muscheln, sagte Conseil, der mir aus der Verlegenheit helfen wollte. 61 Wunderbar, meinte der Kanadier. Dann erzhlen Sie mal. Wie ist das mit den Perlen? Wo kommen die her? Was kann man damit verdienen? Tja, was ist das: eine Perle, sagte ich. Fr den Dichter ist sie eine Trne des Meeres, fr den Orientalen ein fest gewordener Tropfen Tau, fr die Frauen ein lnglich-ovales Schmuckstck aus Perlmutter, von durchsichtigem Glanz, getragen am Finger, Hals oder Ohr, fr den Chemiker ist sie eine Mischung aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk, mit Bindemitteln versetzt, und fr den Naturforscher ist sie nichts weiter als eine krankhafte organische Ausscheidung einiger zweischaliger Muscheln. Familie Lamellibranchia, Ordnung Mollusca, Klasse Evertebrata, Unterreich Metazoa, sagte Conseil. Ja. Hauptschlich eine Molluske scheidet Perlen aus: die Perlenauster. Entweder sitzen diese Perlen an der Schale fest, oder sie sind ins weiche Fleisch des Tieres eingebettet. Der Kern dieser Perle ist ein harter, kleiner Krper, ein unfruchtbares Ei oder ein Sandkorn, das im Lauf der Jahre mit Perlmuttringen berzogen wird. Und in jeder Muschel steckt nur eine Perle? Aber nein, es gibt Tiere, die sind ein lebendes Schmuckkstchen. Es wird sogar von einer Auster geredet, in der 150 Haifische enthalten gewesen sein sollen. 150 Haifische? fragte der Kanadier, zwischen Ehrfurcht und Mitrauen schwankend. Hab1 ich >Haifische< gesagt? Ich meine natrlich Perlen. Ja. 150. Ich glaube das auch nicht. Wit ihr brigens, wie man die Perlen aus den Tieren bekommt? Wenn sie an der Schale angewachsen sind, reien die Fischer sie mit Zangen ab. Aber meistens lt man die Austern ausgebreitet verhungern und vertrocknen. Sie liegen 10 Tage lang auf einer Matte aus Pfrimmenkraut in der Sonne, dann sind sie zufriedenstellend verfault. Jetzt werden sie in riesige Meerwasserbottiche gebracht, geffnet und ausgewaschen. Und dann beginnt das Aussortieren. Nach der Gre? Nach der Gre, denn die bestimmt mit Form, Wasser, Farbe und Orient den Preis. Orient - so nennt man den changierenden Glanz der Perlen. Die schnsten und teuersten Stcke sind die vereinzelten Perlen im Fleische, Jungfernperlen, wei, oft undurchsichtig, doch manchmal auch durchsichtig, opalisierend, meist kugelfrmig, manchmal aber auch birnenfrmig. Sie werden vornehmlich fr Schmuckstcke verwendet. Die Perlen, die an der Schale haften, sind weniger regelmig und werden nach Gewicht verkauft. Die geringste Sorte sind die Sandperlen, die man hufig in den Stickereien auf Megewndern findet. Das Aussortieren all dieser Gren ist bestimmt eine haarstrubend zeitraubende Arbeit, meinte der Kanadier. Durchaus nicht. Man benutzt Siebe mit verschieden groen Lchern ... Klassifizieren mechanisiert! murmelte Conseil entzckt. Ja. Aber fr die ganz groen, ganz berhmten Exemplare ist das Sieb natrlich nicht notwendig. Perlen wie die, welche Csar der Servilia geschenkt hat - sie soll 120 000 62 Francs wert gewesen sein. Und dann diese andere Dame da ... , sagte Ned Land, wie hie sie doch gleich? Keine Ahnung. Na, die immer Perlen im Essig trank ... Cleopatra! Ja. Mu schauderhaft geschmeckt haben. Aber die htte ich gern geheiratet. Ned Land und ... : welch ein Paar! rief Conseil. Wieso? Traust du mir nicht zu, da ich mich verheiraten kann? fragte der Kanadier. Ich war schon mal nahe dran. Und es ist nicht meine Schuld, da aus der Sache nichts wurde. Ich hatte sogar schon ein Perlenkollier fr Kat Tender gekauft, meine Braut, die dann brigens einen ndern geheiratet hat. Na ja. Aber dieses Kollier hat mich nur 1,50 Dollar gekostet, obwohl die Perlen ganz schn gro waren, das knnen Sie mir glauben! Aber, Meister, das waren doch knstliche Perlen, Glaskugeln mit einer changierenden Essenz versetzt. Die ist brigens ganz billig, denn sie besteht nur aus einer silberweien Substanz, welche die Schuppen des Weifisches liefern. Sie wird in Salmiak aufbewahrt. Ah so, ja. Vielleicht hat Kat Tender deshalb einen anderen geheiratet, sagte der Kanadier nachdenklich. Sie htten ihr eben eine Perle schenken sollen, wie der Kapitn Nemo sie besitzt. Ich glaube nicht, da es irgendwo auf der Welt eine grere gibt. Sie ist bestimmt ihre 2 000 000 Francs wert. Warum sehen wir uns morgen nicht nach einer hnlichen um? Was ntzt uns die hier an Bord? Na, hier nicht, aber wenn wir sie mit nach Europa nehmen, dann wird man uns wenigstens die Abenteuer, die wir erlebt haben, glauben. Ist das Ganze auch nicht gefahrlich? fragte Conseil. Ach wo. Wir riskieren hchstens ein paar unfreiwillige Schluck Meerwasser. Es soll hier Haie geben, Ned Land, sagte ich. Ich bin Harpunier, entgegnete der Kanadier gelassen. Und du, Conseil? Ich bin der Diener meines Herrn, sagte Conseil. Wenn Monsieur sich nicht furchtet, warum dann ich? 16 Der Steward weckte uns bereits um 4 Uhr frh. Kapitn Nemo erwartete mich auf dem Gang und begrte mich. Sind meine Gefhrten schon fertig? Sie warten bereits an der Treppe. Warum dort? Ziehen wir nicht die Taucheranzge ber und ... 63 Nein, wir nehmen erst das Boot. Ich mchte mit der Nautilus nicht so nahe an die Austernbnke heranfahren. Wir machen uns auf dem Boot fertig, wenn wir an Ort und Stelle sind. Es war noch dunkle Nacht, als wir losfuhren. Wolkenstreifen bedeckten den Himmel und lieen nur wenige Sterne erkennen. Das Land war ein ganz feintrber Streifen im Osten, auf den wir zuhielten. Vier Matrosen ruderten im Zehn-Sekunden-Rhythmus, wie er bei allen Kriegsmarinen der Welt blich ist, einer steuerte. Nemo und wir drei standen im Heck des langsam gleitenden, leicht schaukelndes Bootes. Keiner von uns sprach, und es war so still auf dem Meer, da wir jeden einzelnen kleinen Wellenschlag an die Bootswnde, jedes Eintauchen und Hochreien der Ruderbltter genau hrten. Um 5.30 Uhr begann der Horizont im Osten sich ganz leicht aufzuhellen. Der obere Streifen der ceylonesischen Kste wurde sichtbar, sie war noch 5 sm entfernt. Die Wasserflche zwischen der Kste und unserem Boot war vllig leer, kein Fahrzeug, kein Taucher an der Stelle, wo sich die Fischer zum Perlentauchen versammelten. Wir kamen um einen Monat zu frh. Um 6 Uhr war es pltzlich hell, ohne den bergang der Morgenrte, die ja in tropischen Breiten ebenso fehlt wie die Abenddmmerung. Whrend wir die Bume der Insel Mannar beobachteten, starrte der Kapitn ins Meer. Pltzlich gab er ein Zeichen, das Boot hielt, der Anker fiel - allerdings nicht tief, denn der Meeresboden lag hier nur l m unter der Wasseroberflche. Wir sind da. Whrend wir uns in die Gummianzge helfen lieen, erklrte uns der Kapitn die Vorzge dieser Bucht fr den Perlentaucher. Die Gewsser lagen hier windgeschtzt und waren deshalb nicht so gefahrlich wie das offene Meer. Lampen gab es diesmal nicht fr uns. Wahrscheinlich tauchten wir nicht sehr tief, so da das Sonnenlicht ausreichte. Und die Gewehre? fragte ich Nemo hastig. Wo sind die Gewehre? Falls wir den Haien begegnen? Kmpfen nicht die Gebirgsbewohner mit dem Dolch gegen die Bren? Das werden Sie wohl auch noch knnen. Hier ist ein Messer, stecken Sie's ein. Und dann befand sich mein Kopf bereits in der Kupferkugel. Ich sah noch, wie Ned Land seine Harpune griff, und das beruhigte mich etwas. Ich stand kaum im Wasser und war ein paar Schritte weit gegangen, als sich alle meine ngste in dem Mae verflchtigten, in dem mein Krpergewicht abnahm. Nach zehn Minuten hatten wir eine Tiefe von 5 m erreicht, die Sonne brachte so viel Licht unter Wasser, da auch die winzigsten Einzelheiten zu erkennen waren. Wieder stoben Fischflotten unter unseren Schritten auf, auch Meerschlangen diesmal (die man mit dem Meeraal verwechseln wrde, htte dieser nicht goldfarbene Streifen an den Seiten). Der Sandboden ging allmhlich in eine regelrechte felsgepflasterte Strae ber, die von Weichtieren und Tierpflanzen bedeckt war. Unter den oft hlichen Gliederflern, die hier in den Hhlungen und Gebschen wohnten, fiel mir besonders der riesenhafte Meerkrebs auf, den Darwin schon beobachtete: die Natur hat ihn so organisiert, da er von Kokosnssen leben kann. Er 64 klettert an Land, auf die Kokospalme, wirft eine Nu hinunter, die zerschellt. Dann greift er mit seinen Scheren zu. Gegen 7 Uhr hatten wir die Austernbank erreicht und sahen auf einen Blick, da hier Millionen dieser Tiere wohnten. Sie hingen mit Muschelseide an den Felsflchen fest und konnten sich nie mehr davon lsen. Diese Austern sind rund und runzelig, sie haben zwei sehr dicke, fast gleich groe Schalen, sind in ihrer Jugend grnlich gefrbt, und schwarz, wenn sie lter werden. Die grten erreichten einen Durchmesser von 15 cm. Ned Land griff sich mit sicherer Hand die dicksten und brachte sie in einem kleinen Netz unter, das er am Grtel trug. Wir hielten uns vor den aufsteigenden Massen dieser Austernbank nicht lange auf, sondern muten dem Kapitn folgen, der energisch weiterdrngte. Auch dieser Teil des Meeresgrundes schien ihm vertraut zu sein. Wir kamen auf unserem Weg bisweilen so dicht unter die Wasseroberflche, da mein Arm aus dem Wasser herausragte, wenn ich ihn hochhob. Dann aber wurde die Bank rasch niedriger, und nur einzelne spitze Felsen ragten noch empor. Ungestalte Schalentiere nisteten in den dunklen Hhlungen dieser Felsen und fixierten uns, wie kleine Kanonen aufgeprotzt, mit starren Augen. Da ffnete sich vor uns pltzlich eine ungeheure Grotte, in die Nemo ohne Zgern eintrat. Die Beleuchtung in dieser algentapezierten unterseeischen Halle nahm langsam ab, aber unsere Augen gewhnten sich rasch an das Dmmerlicht. Das Gewlbe dieser Grotte wurde von richtig gehenden Pfeilern getragen, die auf breiter granitener Basis ruhten. Jetzt fiel der Boden vor uns steil ab, ich erkannte die ffnung eines Schachtes. Nemo lie sich als erster hinab, wir folgten. Der Schacht war nicht sehr tief. Auf seinem kreisrunden Boden, etwa 20 m im Durchmesser, lagen einige Felsblcke im Sand. Und auf einem dieser Felsblcke war eine Auster von abenteuerlicher Gre festgewachsen, ausladend wie ein prachtvolles Taufbecken, ber 2 m im Durchmesser. Die beiden Schalen waren halb geffnet. Ich schtzte das Gewicht des Tieres auf 300 kg, davon 15 kg Fleisch - eine Grenordnung, wie sie Gargantua willkommen gewesen wre. Nemo trat jetzt vorsichtig an das Tier heran und stellte dann mit einer raschen Bewegung sein Messer zwischen die Schalen, damit sie sich nicht schlieen konnte. Darauf winkte er uns heran. Er hob mit einer Hand die Fransen am Rand des Tieres hoch und lie uns hineinsehen. Und drinnen in den fleischigen Falten lag eine Perle von der Gre einer Kokosnu. Sie war kugelrund, makellos, von wunderbarer Klarheit und reinem Wasser, wenn ich das in dieser Beleuchtung richtig erkannt habe, ein Stck von unschtzbarem Wert. Ich streckte meine Hand aus, um sie zu berhren. Aber der Kapitn fiel mir in den Arm, zog sein Messer zwischen den Schalen hervor und machte eine verneinende Bewegung mit der Hand. Ich begriff, da dieses Tier mit seiner Perle den persnlichen Schutz des Kapitns geno, damit es Jahr fr Jahr weitere Ringe um den Fremdkrper in seinem Fleisch bilden konnte, bis er gro genug war, um als unberbietbare Naturmerkwrdigkeit ins Museum des Kapitns einzugehen. Denn als Schmuck war dieses Exemplar nicht mehr zu verwenden. Welche Frau wrde sich schon eine Kokosnu, wenngleich im Wert von vielleicht 10 000 000 Francs, 65 umhngen lassen? Wir begaben uns jetzt wieder auf den Rckweg, jeder fr sich, jeder nach Belieben und Neugier schauend, lernend. Nach zehn Minuten Marsch aber blieb der Kapitn Nemo pltzlich stehen und hob die Hand. Im nchsten Augenblick befahl er, sich zu verstecken. Wir benutzten die Schattenseiten verschiedener Felsvorsprnge und gingen dahinter in Deckung. Er zeigte mit dem Finger auf einen dunklen Gegenstand, der auf uns zukam. Haifische? Der Schatten wuchs, und dann sah ich, was es war: ein Mensch. Dieser dunkelhutige Inder war sicher ein armer Teufel, denn was sonst konnte ihn dazu treiben, schon vor der allgemeinen Perlenernte ein wenig auf Beute zu gehen? Er tauchte mit einem kegelfrmig zugehauenen Stein an den Fen, den er nach jedem Emporkommen an einem Strick wieder bis in sein Boot zog. Wir beobachteten ihn lange. Er blieb jedesmal nur dreiig Sekunden auf dem Meeresboden, raffte rasch alle Muscheln zusammen, die er zu fassen bekam, und stopfte sie in sein Beutesckchen, dann scho er wieder nach oben. Uns konnte er nicht sehen, und es war wohl kaum anzunehmen, da er hier unten Menschen vermutete. Eine halbe Stunde lang fhrte er diese Tauchgnge durch, deren jeder ihm vielleicht ein Dutzend Austern einbrachte. Da pltzlich sah ich ihn entsetzt vom Boden hochspringen, er lie seinen Beutel fallen und strebte an die Oberflche. ber ihm erschien der riesige Schatten eines Hais, der sich sofort mit einem krftigen Flossenschlag auf den Inder strzte. Der wich dem Bi zwar aus, erhielt aber einen Schlag mit der Schwanzflosse, der ihn zu Boden warf. Jetzt drehte der Hai und machte Anstalten, sein Opfer zu zerfetzen und herunterzuwrgen - da sprang der Kapitn vor. Ja, es ist wahr: Pltzlich stand Nemo mit dem Messer in der Hand neben dem Inder und erwartete den Angriff des Hais. Das Tier strzte sich auf den neuen Gegner, Nemo stand gespannt, aber kaltbltig da, bog sich in dem Augenblick, als der riesige Fisch heran war, zur Seite und bohrte ihm den Dolch in den Bauch. Sofort scho Blut hervor, der Hai wurde wtend, bumte sich auf und warf sich zurck auf den Kapitn; beide Kmpfer wurden vom rotgefarbten Meer verschlungen. Als ich sie fr einen Augenblick an einer lichten Stelle im Wasser sehen konnte, klammerte sich der Kapitn an einer Flosse des Tieres fest und stach ihm unablssig den Dolch in den Bauch, aber er traf das Herz nicht. Dann drckte ihn die Masse des Tieres nieder, er wehrte sich verzweifelt, und er wre wahrscheinlich unterlegen, wenn nicht pltzlich Ned Land mit seiner Harpune einen meisterhaften Stich getan htte. Der Eisenpfeil traf das Tier genau ins Herz, die Todeszuckungen setzten augenblicklich ein und nahmen ein so gewaltiges Ausma an, da Conseil und ich zu Boden geworfen wurden. Ich sah noch, wie der Kapitn sich den Taucheranzug vom Leib ri, den Helm auch - Ned Land half ihm dabei -, dann den Inder griff und sich mit ihm wuchtig zur Oberflche abstie. Ned Land winkte uns jetzt, ihm zu folgen, nahm den Gummianzug des Kapitns und brachte uns in krzester Zeit in unser Boot zurck. Wir waren kaum drin, da legten die Ruderer los, auf das Fahrzeug des Fischers zu. 66 Als wir ankamen, schlug der dunkelhutige Mensch gerade die Augen auf. Die Wiederbelebungsversuche des Kapitns hatten also Erfolg gehabt. Auf seinem Gesicht malte sich entsetzlicher Schrecken, er begann unverstndlich zu stammeln. Da merkte ich erst, da wir unsere Kupferhelme noch trugen, und ich denke, wir werden dem rmsten etwas bermenschlich vorgekommen sein. Nemo stand jetzt auf, griff in die Tasche und zog ein Sckchen Perlen heraus. Das drckte er dem Inder in die Hand, dann sprang er zu uns ins Boot herber und gab den Befehl, zur Nautilus zurckzukehren. Wir legten unsere Anzge ebenfalls ab. Schnen Dank, Meister, sagte der Kapitn zu Ned Land. Meine Pflicht und Schuldigkeit, Kapitn! Und ich sah nach diesen Worten ein kleines Lcheln auf den bleichen Lippen des Kapitns. Inzwischen waren bereits mehrere Haifische beim treibenden Leichnam des groen Tieres versammelt, und sie knackten mit ihren sechs Reihen Zhnen die Kiefer des Kollegen. Um 8.30 Uhr langten wir wieder auf der Nautilus an. Ich war einmal mehr ber das Wesen und das Handeln dieses Menschen Nemo verwundert, und ich sprach ihn schlielich auf das Abenteuer mit dem Inder an. Was die Welt Ihnen auch getan hat, Kapitn: Sie hat es nicht fertiggebracht, Ihr Herz vollkommen abzutten. Er ist ein Landsmann gewesen, sagte Nemo Das erstaunte mich dann doch. Ein Landsmann? Dieser Inder, sagte der Kapitn, lebt in einem Land der Unterdrckung. Und alle unterdrckten Menschen, wo immer sie leben mgen, sind auch Angehrige dieses Landes Indien, und deshalb werde ich als Unterdrckter bis zu meinem letzten Atemzug stolz sagen: Ich bin ein Inder! 17 Als die Nautilus am 30. Januar zum Luftholen wieder an die Oberflche kam, hatten wir kein Land mehr in Sicht. Der Karte entnahm ich, da wir Kurs auf den Golf von Oman hatten, der den Eingang zum Persischen Golf bildet und die Arabische Halbinsel vom asiatischen Festland trennt. Wohin fuhrt er uns? fragte Ned Land. Doch nicht etwa in den Persischen Golf? Da kommt er ja nicht wieder heraus. Ich glaub's auch nicht. Ich denke vielmehr, da er mit uns ums Kap der Guten Hoffnung fahren will. Und dann? Dann in den Atlantik hinein und hindurch. Und dann? 67 Na, dann wieder in den Pazifik hinein und hindurch, Meister, Sie fragen ja immer noch so, als mache Ihnen diese Reise nicht das geringste Vergngen! Im Augenblick, wo ich Zwang verspre, hrt bei mir das Vergngen auf! Vier Tage lang, bis zum 3. Februar, trieben wir in diesem Golf, immer auf der Hhe des nrdlichen Wendekreises, anscheinend ohne Ziel. Dann wendeten wir, bekamen von fern kurz Mascat zu sehen, weie Huser und Festungen vor schwarzen Felsen, ein greller Kontrast, dann tauchten wir wieder, und als wir am 5. Februar hochkamen, ffnete sich vor uns die Strae von Bab al Mandab. Am nchsten Tag sahen wir Aden. Ich glaubte, Nemo werde jetzt wieder kehrtmachen, um nicht in den Schlauch des Roten Meeres zu geraten, der ihm htte gefahrlich werden knnen, da Lesseps mit seinem Suezdurchstich noch nicht fertig war. Der einzige Fluchtweg fr die Nautilus aus diesem engen Meer war also die Strae von Bab al Mandab, die wir am 7. Februar innerhalb einer Stunde durchfhren, allerdings unter Wasser, da in dieser Gegend zu viele englische und franzsische Linienschiffe verkehrten. Gegen Mittag waren wir im Roten Meer. Dieses bibelberhmte Rote Meer erhlt eine so geringe Wasserzufuhr durch Flsse und Regen, da darin jhrlich eine Schicht Wasser von 1,5 m Dicke verdunstet. Wre dieser Golf nicht mit dem Indischen Ozean in Verbindung, lge er lngst vllig ausgetrocknet da. Dies Meer war zur Zeit der Ptolemer und der rmischen Kaiser eine der Hauptstraen des Welthandels, und wenn der Suezkanal erst wieder besteht, wird es seine alte Bedeutung wiedererlangen. Nachdem wir am B. Februar morgens Mokka passiert hatten, wechselte die Nautilus zur afrikanischen Kste des Roten Meeres hinber, wo der Grund bedeutend tiefer liegt. Der Kapitn tauchte ausgiebig mit offenen Fenstern vor diesen prachtvoll bewachsenen Ksten. In den Stunden, die ich im Salon verbrachte, folgte ich einem unbeschreiblichen Schauspiel, einem mannigfaltigen Wechsel von unterseeischen Landschaften und Wnden, und das alles wirkte wie ein Zauber auf mich. Und zum erstenmal beobachtete ich auch Schwmme, ber deren Organisation (ob Einzeltier, ob in Stmmen lebend) die Naturforscher sich noch lange nicht einig sind. Ich sah diese Arten in allem ihrem Formenreichtum, gestielt, rund, blattfrmig, gefingert, und mir fielen die phantasievollen Namen ein, die ihnen die Fischer geben: Korb, Kelch, Spindel, Elenhorn, Lwenfu, Pfauenschweif, Neptunshandschuh. Am 9. Februar passierten wir die breiteste Stelle des Roten Meeres zwischen Suakin und AI Ounfidah; ich beobachtete von der Plattform unseres Fahrzeugs aus, und gegen Mittag gesellte sich der Kapitn zu mir. Na, Herr Professor, haben Sie schn studiert? fragte er. Ja, und ich danke Ihnen, Kapitn, antwortete ich. Zum erstenmal konnte ich den Formenreichtum der noch nicht ganz aufgeklrten Gruppe der Schwmme beobachten: gestielt, rund, blattfrmig, gefingert, und mir fielen ... Und wie gefallt Ihnen dieses Rote Meer? Tja, wie soll ich sagen: gut, doch, doch. Besonders an Bord der Nautilus gefallt mir's gut in diesem Meer, denn ich glaube, da seine gefahrlichen Strme Ihrem Fahrzeug nichts anhaben knnen. 68 Da haben Sie recht. Edrisi, der arabische Historiker, berichtet von unzhligen Schiffbrchigen in diesem Meer. >Es hat nichts Gutes, weder oben noch unten<, schreibt er. Arrian, Agatharchides und Artemidorus waren der gleichen Meinung. Ich schliee mich dieser Meinung nicht an, wie Sie sich denken knnen, denn ich habe, besonders unten, viel Ntzliches gesehen. Aber Sie mssen bedenken, da die alten Historiker ber andere Schiffe sprachen, als Sie es besitzen. Und auch die neueren Beschreiber dieses Meeres wrden seine Gefahren relativieren, wenn sie es mit diesem Schiff befahren knnten. Sie sind Ihrer Zeit voraus. Da haben Sie wieder recht. Wer wei, ob es nicht noch hundert Jahre dauert, bis eine zweite Nautilus durch die Weltmeere fahrt. Vielleicht sogar mehrere Jahrhunderte! sagte ich lebhaft. Und deshalb ist es ja so schade, da dieses Geheimnis mit seinem Erfinder wieder von der Erde verschwinden soll. Der Kapitn Nemo dachte gar nicht daran, mir auf diese, zugegeben reichlich plumpe, Anspielung zu antworten. Wissen Sie brigens, warum das Rote Meer das Rote Meer heit? fragte er. Nein. Sicherlich nicht deshalb, weil es nach Pharaos Tod rot geworden ist, als Zeichen fr das von Moses bewirkte Wunder. Aber es hat schon etwas mit den Israeliten zu tun. >Edrom< ist das hebrische Wort dafr, und diesen Namen haben ihm die Alten gegeben, weil sie wohl, genau wie ich, gesehen haben, da dieses Meer an manchen Stellen rot ist wie ein See von Blut. In der Bai von Tor zum Beispiel. Dort frbt sich das Wasser mit einem schleimigen, purpurnen Stoff, der aus mikroskopisch kleinen Pflnzchen besteht - Trichodesmion -, von denen 40 000 auf l mm2 gehen. Ich sehe, da Sie sich in Ihrem Roten Meer gut auskennen. Sie sprachen vorhin vom Untergang der gypter bei der Verfolgung der Juden: sind Sie an dieser Furt mal getaucht, und haben Sie berreste gefunden? Nein, denn an dieser Stelle ist der Boden so versandet, da nicht mal mehr Kamele ihre Fe drin baden knnen. Aber wenn man da mal nachgraben wrde, etwas unterhalb von Suez, kmen sicher eine Menge gyptischer Waffen und Ausrstungen zutage. Vielleicht bringt der Durchstich, den Ihr Landsmann, der Herr Lesseps, bei Suez durchfhrt, neues Leben an diese Ksten, und auch ein paar tchtige Archologen. Da bin ich sicher. Schon die Alten, sagte der Kapitn bedchtig, wuten, wie wichtig die Handelsverbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer war. Aber sie stachen keinen Kanal, sondern benutzten den Nil, so weit es ging. Der Kanal vom Nil zum Roten Meer soll unter Sesostris begonnen worden sein. Fest steht das Datum 615 v. Chr., da begann Necho mit den Arbeiten zu einem Kanal vom Nildelta ins Rote Meer. Der war so breit, da sich zwei Dreiruderer darin ausweichen konnten. Darius hat ihn fortgefhrt, Ptolemus II. wahrscheinlich vollendet. Strabo sah ihn in Gebrauch, aber nur wenige Monate im Jahr, da sein Gefalle zu gering war. Noch unter den Antoninen war er ein Handelsweg, dann versandete er, bis ihn der Kalif Omar wieder schiffbar machen lie. 69 Kalif Almansor aber schttete ihn wieder zu, um seinem Gegner Mohammed ben Abdallah den Nachschub abzuschneiden. Napoleon fand in der Wste von Suez noch die Spuren dieses Kanals. Und nun kommt Lesseps, sagte ich mit einigem Enthusiasmus, verkrzt den Seeweg von Cadiz nach Indien um 9000 km und macht ganz Afrika mit einem Stich zur Insel. Ja, Monsieur, auf Lesseps knnen Sie stolz sein. Auf einen solchen Mann knnen sich die Franzosen mehr einbilden als auf ihre grten Feldherren. Der Suezkanal htte eine inter nationale Aufgabe sein sollen, aber es bedurfte der Energie eines einzigen Mannes, um ihn ber alle Hindernisse hinwegzubringen. Ja, er lebe hoch, sagte ich, etwas erstaunt ber die Begeisterung, mit der Nemo von diesem Manne sprach. Was verband den Kapitn mit Lesseps? Wir sind brigens bermorgen im Mittelmeer, auch ohne den Suezkanal, sagte er dann und wandte sich zum Gehen. Wie bitte? Sie machen ja ein ganz erstauntes Gesicht, Professor! Ja, entschuldigen Sie. Nein, nein, mich erstaunt schon gar nichts mehr. Aber ein wenig graust mich doch vor der Geschwindigkeit, mit der Sie ganz Afrika umrasen mssen, um bis bermorgen ins Mittelmeer zu kommen. Wer sagt denn etwas von Afrika umfahren? Ich fahre unter der Landenge von Suez durch. Ach so. Sie fahren untendrunter durch. Ja. Da ist ein Tunnel. Ja. Der geht einfach unter all dem Sand der Suezwste durch. Hren Sie, Kapitn, Sie drfen nicht versuchen, mich auf den Arm zu nehmen. Der Sand, Professor, reicht nur bis in 50 m Tiefe. Dann kommt solider Felsgrund, und in diesem Felsgrund ist eine zwar enge, aber doch passierbare Durchfahrt offen, die ich den >Arabischen Tunnel< genannt habe. Haben Sie die Durchfahrt zufallig gefunden? Eigentlich mehr durch berlegung. Ich merkte, da sich im Roten und im Mittellndischen Meer einige gleiche Fischarten finden, Streifdecken zum Beispiel, Schlangenfische, Meeradler und so weiter. Die Frage einer Verbindung zwischen beiden Meeren stellt sich also von selbst. Da das Mittelmeer tiefer liegt als das Rote, mute eine eventuelle Strmung von hier nach dort gehen. Ich beringte also eine groe Anzahl Fische vor Suez. Einige dieser Exemplare mit Ring am Schwanz fing ich dann spter vor der syrischen Kste wieder ein. Einfach, nicht wahr? Ich bin dann mit der Nautilus hinabgetaucht, habe die Passage gefunden, mich hineingewagt und bin auch durchgekommen - ebenso wie Sie durchkommen werden. Als ich Conseil und Ned Land von dem bevorstehenden Abenteuer erzhlte, schlug sich der Kanadier mit der flachen Hand an die Stirn. Ein Tunnel zwischen beiden Meeren? Wer soll denn das glauben? rief er. Nicht ich, so gern ich's mchte. 70 Am Abend schwammen wir unter 21 30' nrdl. Breite auf der Oberflche des Roten Meeres und sahen Djidda langsam vorbeigleiten. Wir tauchten zur Nacht. Am nchsten Tag, dem 10. Februar, muten wir uns wegen des regen Schiffsverkehrs bis Mittag unter Wasser halten. Dann erst konnten wir unseren Spaziergang auf der Plattform antreten. Sehen Sie mal dort drben, Professor! rief der Kanadier pltzlich und deutete nach Osten. Ich strengte meine Augen an, aber da sie nicht so gut waren wie die von Ned Land, entdeckte ich nichts. Ja, jetzt seh1 ich's! rief da Conseil. Ich bildete mit den hohlen Hnden Sehrhren um meine Augen und sphte noch einmal. Und da erkannte auch ich es: Ein lnglicher, schwarzer Krper trieb auf der Wasseroberflche. Er sah aus wie eine eine zweite Nautilus. Mu irgendein Seetier sein! sagte der Kanadier. Gibt's denn hier Wale? fragte Conseil. Selten. Wale kenn1 ich, sagte Land. Und das da ist keiner. Wir mssen warten, bis wir nher heran sind. Unsere ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich jetzt beim Nherkommen auf dieses merkwrdige Tier. Seh1 ich recht? rief Ned Land pltzlich. Es schwimmt, es taucht wie ein Wal. Aber es ist kein Wal, zum Teufel. Diese Flossen sehen aus wie verstmmelte Gliedmaen ... es liegt da auf dem Rcken ... und streckt seine Brste in die Luft ... Dann ist's eine Sirene! rief Conseil. Eine echte Sirene! Und das machte mir endlich klar, worum es sich handelte. Das Tier war eine Seejungfer, ein Dugong, wie es der Malaie nennt. Dugong! sagte ich. Gattung Seekhe, Familie Sugetiere, Ordnung Wirbeltiere, Klasse Chordatiere, sagte Conseil. Das hab' ich noch nie harpuniert! seufzte der Kanadier sehnschtig. Wollen Sie? fragte der Kapitn, der hinter uns getreten war und die letzten Worte von Ned Land gehrt haben mute. Allerdings, Kapitn! Aber seien Sie vorsichtig. Warum, ist das Tier so gefahrlich? Das Tier selbst ist vllig harmlos. Aber es zeichnet sich durch eine starke Liebe zu seinen Angehrigen aus. Und oft geschieht es, da man ein Tier harpuniert und sich damit den ganzen Schwrm auf den Hals ldt. Schmeckt es eigentlich? Vorzglich. Sein Fleisch ist tatschlich Fleisch, die Malaien jagen das Tier, um die Tafel ihrer Frsten zu bereichern. Und natrlich wegen der Zhne, die angeblich manche Krankheiten zauberhaft heilen. Wenige Augenblicke spter war das Boot startbereit. Sieben Matrosen aus der Mannschaft des Kapitns begleiteten uns. 71 Sie bleiben hier, Kapitn? Ja. Waidmannsheil, sagte er, fein differenzierend, da das zu erlegende Tier zu den Sugern gehrte. Der Dugong befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa 2 sm von der Nautilus entfernt, doch kamen wir rasch nher heran, da er an der Wasseroberflche zu schlafen schien. Je mehr wir uns dem Tier nherten, desto vorsichtiger tauchten die Ruderbltter ins Wasser. Bald erkannten wir, da der Gegner, den Ned Land sich ausgesucht hatte, fast 7 m lang war - eine gewaltige Masse Tier, die da auf dem Wasser trieb und schnarchende Atemgerusche von sich gab. Nur ein paar Meter trennten uns noch von dem schwarzen Krper, da bog sich der Kanadier mchtig zurck, holte aus und schleuderte seine Harpune. Man hrte ein Zischen, und der Dugong verschwand. Tausend Teufel! brllte Ned Land. Ich habe ihn verfehlt! Nein, sagte ich. Schauen Sie nur das Wasser an, es ist rot. Ihre Harpune ist nur nicht steckengeblieben. Die Waffe des Kanadiers besa nur eine kurze Leine, die am Ende an einer Tonne befestigt war. Diese Tonne trieb einige Ruderschlge vom Boot entfernt auf dem Wasser, und wir holten die Harpune wieder ein. Wir verfolgten das Tierjetzt mit dem Boot. Es kam fter zum Atmen an die Oberflche und schien durch die Wunde nicht im mindesten entkrftet. Ned stand wurfbereit im Bug und fluchte ununterbrochen, aber es bot sich fast eine Stunde lang keine Gelegenheit, die Harpune loszuschleudern. Ich war schon davon berzeugt, da wir aufgeben muten, da wendete der Dugong pltzlich und ging uns an. Das war sein Fehler. Aufpassen! schrie der Kanadier. Der Mann am Steuer rief einige Worte in der unverstndlichen Bordsprache. Kurz vor dem Boot tauchte der Dugong und rammte uns mit voller Kraft. Wir bekamen bis zu den Knien Wasser ins Boot, schlugen aber nicht um. Ned umklammerte mit einer Hand den Vordersteven und stach mit der Harpune auf das Tier ein. Der Dugong bekam den Bootsrand in das breite Maul und hob unser Fahrzeug fast aus dem Wasser. Wir purzelten bereinander, und ich wute nicht, wie die Sache ausgegangen wre, wenn der Kanadier nicht in diesem Augenblick der rabiaten Seejungfer das Herz durchbohrt htte. Das Tier verschwand, die Harpune mit ihm. Bald aber tauchte die kleine Tonne wieder an der Oberflche auf, gefolgt vom Leib des toten Tieres. Wir nahmen es ins Schlepptau. Am Abend gab es Steaks aus seinem Fleisch, die der Schiffskoch sehr sachkundig zubereitet hatte. Mir schmeckten sie noch besser als Kalbfleisch. Am 11. Februar gegen 17 Uhr passierten wir den Sinai. Je nher wir Suez kamen, desto geringer wurde der Salzgehalt des Roten Meeres. Man stellt sich den Berg Mosis immer von Blitzen umzuckt vor, er ist aber nichts weiter als ein hoher Berg am Ende einer Landzunge, die das Rote Meer in zwei Arme teilt. Eine Stunde spter durcheilten wir die roten Wasser der Bucht von Et-Tur. Wir tauchten jetzt fr einige Stunden, aber um 21.15 Uhr, als es dunkel war, kam die Nautilus wieder an die Oberflche. Ich stieg zur Plattform hinauf und beobachtete. Schlielich entdeckte ich ein undeutlich schimmerndes Licht l sm vor uns. 72 Ein schwimmender Leuchtturm, sagte eine Stimme hinter mir im Dunkeln. Wir sind gleich an der Mndung des Tunnels. Die Durchfahrt ist nicht ganz einfach, deshalb bernehme ich selbst das Steuer. Wollen Sie ins Steuerhaus mitkommen? Aber mit dem grten Vergngen. Dann kommen Sie. Von dort aus knnen Sie alles sehen, was es bei dieser zugleich unterirdischen und unterseeischen Fahrt zu sehen gibt. Wir stiegen die Mitteltreppe nur halb hinab. Er ffnete eine Tr zur Seite und hie mich eintreten. Es ging durch den oberen Gang bis in die kleine Kabine des Steuermanns, die vor dem Scheinwerfergehuse lag. Sie war 2 x 2 m gro und besa vier Luken mit Linsenglsern, welche eine Rundumsicht ermglichten. In der Mitte befand sich das groe Steuerrad. An diesem Steuerrad stand ein krftiger Mann, der in der nchsten Stunde jeden Wink des Kapitns in Kurskorrekturen umsetzte. Durch elektrische Signale verkehrte Nemo von hier aus mit dem Maschinenraum. Er lie jetzt die Geschwindigkeit drosseln und fuhr sehr langsam nur wenige Meter von einer Felswand entfernt, nach Kompa und nach Gefhl. Um 22.15 Uhr trat der Kapitn selbst ans Steuer, und ich hrte ein zunehmendes Brausen von auen. Vor uns lag jetzt die ffnung einer schmalen, dunklen Galerie. Nemo lie seine Maschine mit voller Kraft rckwrts laufen, um nicht vom Sog in diesem Tunnel berwltigt und an die Wnde geschleudert zu werden. Trotz dieser Anstrengungen war die Nautilus schneller als je zuvor, und ich sah nur noch gerade Linien, schimmernde Striche und Feuerstreifen, wenn ich hinausblickte. Mein Herz klopfte so stark, da ich mir an die Brust griff. Um 22.35 Uhr trat der Kapitn vom Steuer zurck und sah mich an: Das Mittelmeer, sagte er, etwas mde. 18 Am 12. Februar, mit Tagesanbruch, tauchten wir auf. 3 sm sdlich im Dunst die afrikanische Kste. Gegen 7 Uhr erschienen auch Ned Land und Conseil auf der Plattform. Der Kanadier brauchte lange, bis er davon berzeugt war, da wir uns im Mittelmeer befanden. Dann aber hatte er nur noch einen Gedanken: Flucht. Ich brauchte eine gute Stunde fr die Diskussion mit ihm, und sie endete damit, da Ned Land darauf bestand, bei der nchsten Gelegenheit schwimmend oder mit dem Boot an Land zu entfliehen. Ich konnte ihn nicht ernstlich daran hindern, denn es war nur natrlich, da er an dieser Fahrt nicht das gleiche Vergngen fand wie ich. Aber ich frchtete, da der Kapitn uns einen Fluchtversuch, den er vereiteln konnte, sehr belnehmen wrde. Deshalb brauchten wir gleich beim erstenmal vollen Erfolg. Deshalb mute die Gelegenheit besonders gnstig sein. Und deshalb sollten wir ruhig noch ein bichen warten... 73 War Nemo mitrauisch geworden? Er fuhr die nchsten Tage fast nur unter Wasser, und er hielt sich weitab von den Ksten. Am 14. Februar nherten wir uns der Insel Kreta, und aus irgendeinem Grund blieben die Fenster im Salon zunchst geschlossen. Als wir uns auf der Abraham Lincoln eingeschifft hatten, war der Aufstand gegen die Trkenherrschaft auf dieser Insel gerade losgebrochen. Ich hatte mit dem Kapitn nie ber diese Erhebung gesprochen, da ich ihn von allen Nachrichten der Oberwelt abgeschnitten whnte. Gegen Abend kam er herunter in den Salon, ging schweigend auf und ab und lie sorgfaltig die Wnde von den Fenstern zurckgleiten. Sorgfaltig sphte er zuerst durchs eine, dann durchs andere. Ich benutzte die Zeit der ffnung, um mir wieder einige Notizen ber die Fische zu machen, die ich hier antraf. Pltzlich fuhr ich erschrocken vom Fenster zurck. Vor der Scheibe zeigte sich die Gestalt eines Mannes, aber das war keine Wasserleiche, sondern ein lebendiger Krper, ein Taucher mit einem Gurt um die Hften. Er ruderte krftig mit den Armen, verschwand bisweilen nach oben und kehrte dann wieder zurck. Ich drehte mich zum Kapitn um und merkte, da er dicht hinter mir stand. Da! Ein Mann! Ein Schiffbrchiger - den mssen wir retten! Nemo gab mir keine Antwort, sondern trat ans Fenster. Der Mann kam jetzt auch von auen ganz nahe. Nemo gab ihm ein Zeichen mit der Hand. Der Taucher antwortete mit dem gleichen Zeichen, begab sich nach oben und kehrte nicht mehr wieder. Nur keine unntze Aufregung, sagte der Kapitn jetzt zu mir. Dieser Mann ist auf den Kykladen berall bekannt und berhmt als der Taucher Nikolas. Er ist etwas amphibisch veranlagt, mchte ich sagen, denn er lebt fast mehr im Wasser als auf dem Land. Sie kennen ihn? Vielleicht. Der Kapitn ging jetzt zu einem Schrank neben dem linken Fenster des Salons. Neben diesem Schrank stand ein eisenbeschlagener Koffer, dessen Deckel eine Kupferplatte mit dem Motto Mobilis in mobile trug. Ohne sich weiter um mich zu kmmern, ffnete Nemo den Schrank, und ich sah, da er mit Goldbarren gefllt war. Woher kam dieses Vermgen? Was geschah damit? Er legte einen Goldbarren nach dem anderen in den Koffer neben dem Schrank, bis der voll war - meiner Schtzung nach mit 1000 kg Gold. Jetzt schrieb er in neugriechischer Schrift eine Adresse auf den Deckel und drckte anschlieend einen Klingelknopf. Acht Mnner erschienen und trugen den Koffer mit sichtlicher Mhe hinaus. Drauen hievten sie das schwere Stck mit Tauen die Leiter hinauf. In diesem Augenblick wandte sich der Kapitn mir zu: Was sagten Sie gerade? Ich habe nichts gesagt. Dann gute Nacht, mein Herr. Ich ging hchst unruhig in mein Zimmer, kleidete mich aus und versuchte vergeblich zu schlafen. An dem leichten Schwanken unseres Fahrzeugs merkte ich bald, da die Nautilus an der Oberflche schwamm. Jetzt tnten Schritte ber die Plattform, ich hrte, wie das Boot losgemacht wurde, gegen die Schiffswand schlug und dann verschwand. 74 Zwei Stunden spter war es wieder da, wurde verschraubt, die Schritte drhnten wieder ber das Eisen, dann tauchte die Nautilus unter. Offenbar hatte das Gold seinen Empfanger erreicht. Woher nimmt er die Millionen? fragte Ned Land am anderen Morgen, als ich meinen Gefhrten die Geschichte erzhlt hatte. Wir fanden keine Antwort auf diese Frage. Ich arbeitete bis 17 Uhr im Salon, ohne da der Kapitn sich hatte blicken lassen. Aus irgendwelchen seltsamen Grnden war es nach und nach so hei geworden, da ich meine Jacke ausgezogen und das Hemd geffnet hatte. Ich begann, unruhig zu werden. Wir waren doch nicht in tropischen Breiten, auerdem fuhren wir, wie ich am Manometer ablesen konnte, 18m tief. Ein Brand an Bord? Gerade als ich hinausstrzen wollte, trat der Kapitn ein. 42! sagteer. Das kann man wohl sagen, antwortete ich. Und wenn es noch heier wird, halte ich es nicht mehr aus. Die Hitze steigt nur, wenn wir wollen. Sie knnen sie ndern? Nein, aber ich kann mich von der Hitzequelle entfernen. Wir fahren nmlich in siedendem Wasser. Wie bitte? Sehen Sie selbst! Er lie die Fensterwnde zurckgleiten, und ich sah, da das Wasser um die Nautilus herum ganz wei schumte. Durch die Wasserschichten wirbelten Schwefeldnste. Ich geriet mit einer Hand ans Fenster und verbrannte sie mir sofort. Wo sind wir denn? In der Nhe der Insel Santorin. Ich wollte Ihnen mal zeigen, wie es aussieht, wenn ein Vulkan unter dem Wasser ttig ist. Aber ich denke, die vulkanische Inselbildung ist lngst abgeschlossen!? In vulkanischen Gebieten ist niemals etwas abgeschlossen, antwortete der Kapitn, und die unterirdischen Feuer sind hier noch am Werk. Bereits 19 n. Chr. zeigte sich hier eine neue Insel, Theia, die dann spter wieder versank. Im Jahr 69 war sie wieder da, versank dann wieder. Die vulkanische Ttigkeit schien erloschen. Bis zum 3. Februar 1866. Vor fast genau zwei Jahren also tauchte hier eine neue Insel auf, die Georgsinsel. Sie vereinigte sich drei Tage spter mit Santorin. Sieben Tage spter erschien das Inselchen Aphroessa, rund, schwarz, 30 m im Durchmesser, ganz aus glasartiger Lava bestehend, in die sich Felsspat mischte. Am 10. Mrz tauchte dann Reka auf und ltete die Inselchen zu einer einzigen zusammen. Die ist auf meiner Karte auch eingezeichnet, denn ich lag whrend dieser Naturvorgnge hier und beobachtete sie. Ich trat wieder dicht ans Fenster. Das Wei des Meeres vermischte sich mit rtlichen Stoffen - wahrscheinlich einem Eisensalz. Obwohl unser Salon hermetisch abgeschlossen war, entwickelte sich ein penetranter Schwefelgeruch, und ich 75 entdeckte drauen auch scharlachrote Flammen. Die Hitze wurde unertrglich, ich war ber und ber in Schwei gebadet und glaubte, ich msse ersticken. Ich glaube, man kann es in diesem siedenden Wasser nicht lange aushalten, sagte ich schwach. Nein, sicher nicht, sagte er phlegmatisch und lie die Nautilus abdrehen. Am nchsten Tag, dem 16. Februar, setzten wir unsere Reise westwrts fort. Bereits am 18. bei Sonnenaufgang waren wir aus der Strae von Gibraltar heraus. Warum so eilig? Und warum so klammheimlich? Hatte der Kapitn Angst, er knne gesehen werden, oder frchtete er, wir wrden einen Fluchtversuch unternehmen? Er durchraste dieses Meer jedenfalls, ohne sich aufzuhalten, in 48 Stunden, tauchte dabei nur einmal auf, und das nachts. Ich sah von diesen mir halbwegs vertrauten Gestaden weniger als der Passagier eines Eilzugs, der die Landschaft durchbraust, und von den Fischen konnte ich auch nur die schnelleren beobachten, die krftig genug waren, ein Stck mit der Nautilus mitzuhalten. Am Abend des 16. berstiegen wir die seltsame Erhebung des Meeresbodens zwischen Sizilien und Tunis, auf deren Kamm das Meer nur 17m tief ist. In der Nacht zum 17. Februar drangen wir in das zweite, das westliche Becken des Mittelmeeres ein, in dem Tiefen bis zu 3000 m herrschen; da hinab tauchte die Nautilus, und in Ermangelung groer Naturschauspiele lie uns dieses Meer in seinen Bauch sehen: Schiffe lagen da am Grund, Wracks, furchterregende Trmmer lngst vergessener Schiffskatastrophen: Masten, Kanonen, Anker, Kugeln, Eisengert, Maschinenteile, Zylinderbruch und Kesselstcke, Schiffsrmpfe unter Korallen und Rost. Es wurden immer mehr Trmmer, je nher wir der Meerenge von Gibraltar kamen, aber die Nautilus fuhr gleichgltig darber hinweg, stieg mit dem Meeresboden an und gelangte mit der Unterstrmung aus dem Mittelmeer durch die Strae von Gibraltar in den Atlantischen Ozean. 19 O Meer, o Atlantik, du 25 000 000 Quadratmeilen weites Wasser, unbekannt dem Griechen, kaum bekannt dem Rmer, noch ungeheuer dem Karthager (dieser Vorform des Hollnders), du langes Meer (9000 sm) und du 2700 sm mittelbreiter Ozean, heut schmckten dich Schiffsverkehr von aller Welt und Flaggen der Nationen, es mnden unbeirrt in deine ungeheure Umfangslinie Strme wie der Senegal, der Lorenz auch, der fernhintragende Mississippi und der Niger, La Plata, Orinoco, Elbe, Rhein und die Loire und netzen deine prachtvollen Wasser mit den Gewssern der zivilisierten Lnder der Erde und ihrer wildesten Gegenden, du Wasserscho, der jetzt die Nautilus aufnimmt: wohin mit uns, und was sollen wir erleben? Unsere Reise war schon lang an Entfernungen: mehr als 40 000 km unterwegs, das ist der Erdumfang; und mehr als 100 Tage, das ist lang an Zeit. Der Kurs war jetzt nrdlich, auf das Cap de San Vicente zu, quer durch den Golf von 76 Cadiz. Am Vormittag des 18. Februar trat oben auf der Plattform Ned Land zu mir heran und sagte scharf: Ich mu Sie sprechen, Professor. In Ihrem Zimmer! Ich wute genau, was er sagen wollte, aber um kein Aufsehen zu erregen, ging ich hinab, er folgte einige Minuten spter. Wir setzten uns in meinem Zimmer gegenber und sahen uns schweigend an. Meister, sagte ich, glauben Sie mir, ich verstehe ... So kam ich nicht weiter. Also gut, sagte ich, auch ich habe mir Gedanken ber unsere Flucht gemacht. Mich hat es ebenso gergert wie Sie, da wir im Mittelmeer fast nur unter Wasser und fern von allen Ksten gereist sind. Aber haben wir uns denn von den zivilisierten Lndern entfernt? Sie wissen doch, da wir im Augenblick die spanische Kste entlangfahren, bald sind wir in Reichweite von Portugal, dann Frankreich, England... Er reagierte berhaupt nicht, sondern starrte mich weiter mit zusammengekniffenen Lippen an. Schlielich machte er den Mund auf und sagte: Heute abend! Das war doch stark. Ich nahm mich zusammen und versuchte, mein Erschrecken vor soviel Entschlossenheit zu verbergen. Ich wollte etwas sagen, aber es fiel mir einfach nichts mehr ein. Abgemacht war eine gnstige Gelegenheit, sagte der Kanadier, indem er aufstand und ganz dicht vor mich trat. Und die ist jetzt da. Heute abend sind wir der spanischen Kste bis auf wenige Meilen nahe. Die Nacht wird dunkel sein. Der Wind wird gnstig sein. Und Sie werden dabeisein, Herr Aronnax. Ich wute immer noch nicht, was ich antworten sollte. Wir fliehen um 21 Uhr. Dann ist der Kapitn in seiner Kabine, schlft wahrscheinlich schon. Von der Mannschaft wird uns niemand entdecken. Sie warten in der Bibliothek, bis Sie ein Zeichen von mir bekommen. Das Boot ist bereits vorbereitet. Ich habe auch einige Lebensmittel hineingeschafft. Den Schraubenschlssel zum Loslegen besitze ich seit einigen Tagen. Also heute am Abend. Da sagte ich rasch: Das Meer ist aber nicht gnstig. Da haben Sie recht, antwortete er ungerhrt. Aber Freiheit hat ihren Preis. Entweder sind wir um 23 Uhr an Land oder nicht mehr unter den Lebenden. Adieu, mein Herr. Er lie mich allein, und ich wute immer noch nicht, wie ich der Angst Herr werden sollte, die in mir war, wenn ich mir vorstellte, wie Nemo auf die Entdeckung unserer Flucht reagieren wrde: Er mute von neuem um seine Existenz frchten, solange wir lebten, er wrde gekrnkt sein, ja, das sogar bestimmt, denn er hatte uns aufrichtige Gastfreundschaft gewhrt, und er wre wieder allein. Aber Ned Land hatte recht, er hatte hundertmal recht. Was mich an Bord hielt, waren sehr private Neigungen, mit denen ich es nicht verantworten konnte, von meinen Gefhrten ebenfalls die Gefangenschaft zu verlangen. Der Gedanke, diese Reise in der Mitte abbrechen zu mssen, schmerzte mich fast krperlich, und ich brachte einen elenden Tag zu, peilend zwischen Aufruhr und Unterwerfung. Ihn sollte ich verlassen, meinen Atlantik, wie ich ihn zrtlich nannte, ohne seine letzten Nischen ausgeforscht zu haben, ohne ihm die Geheimnisse entrissen zu haben, die sich mir bereits im Indischen und Pazifischen Ozean enthllten? Meinen Roman nach dem 77 ersten Band fallenlassen, im schnsten Augenblick alles unterbrechen? Ach, wie sehr habe ich in den unertrglichen Stunden dieses Tages gewnscht, da irgend etwas Neds Plan vereiteln wrde! Seit drei Tagen hatte ich den Kapitn nicht mehr gesehen, aber es war fast keine Stunde vergangen, in denen Nemo mich nicht tief beschftigt hatte. Nach der Begegnung mit Nikolas glaubte ich ihm nicht mehr, da er alle Verbindung mit dem Land aufgegeben hatte. Das Boot hatte die Kste von Kreta bestimmt erreicht. Blieb Nemo immer an Bord? Wenn er sich manchmal lange Tage nicht sehen lie, wo war er dann? Hielt er sich wirklich in seiner Kabine auf? Betrog er mich nicht und war vielleicht statt dessen weit von uns entfernt, irgend etwas ausfhrend, das ich beim besten Willen nicht nher ergrnden konnte? Wrde ich ihn vor unserer Flucht noch einmal sehen? Ich frchtete diese letzte Begegnung, und ich sehnte mich danach. Wie oft an diesem Tag, den ich fast ganz in meinem Zimmer verbrachte, erstarrte ich auf dem Bett sitzend, und meine Ohren ffneten sich, und meine Augen schlossen sich, und ich lauschte mit aller Intensitt, ob ich nicht einen leisen Schritt oder irgendein Rhren aus dem Zimmer nebenan vernahm - seinem Zimmer. Nichts: nicht das Geringste, und ich war nach diesen vergeblichen Versuchen so wtend, da ich in den Salon eilte, um Kompa, Log und Karte unseren Stand zu entnehmen. Wir blieben weiter in der Nhe der spanischen Kste. Ich erhielt mein Abendessen zur gewohnten Stunde, aber es schmeckte mir nicht. Es war 19 Uhr, als ich ungeduldig die Teller und Bestecke von mir schob und aufstand. Noch 120 Minuten, dann Ned, dann das Boot, das Wasser, vielleicht das Land, oder Tod. Ich versuchte meinen Krper zu beschftigen, indem ich im Zimmer auf und ab ging, ich hoffte, die Bewegung wrde mich von dem Aufruhr in meinem Kopf ablenken. Nicht der Gedanke an die Mglichkeit des Ertrinkens regte mich auf, sondern die Vorstellung, wir wrden entdeckt, bevor wir fort wren, und ich mte ihm ins Angesicht sehen. Ein letztes Mal in den Salon. All die lieben Stcke noch einmal sehen, Abschied nehmen von den Meisterwerken der Kunst und der Metechnik, als hiee es in ein ewiges Exil aufbrechen. Als ich an der Tr zum Zimmer des Kapitns vorberging, merkte ich, da sie offenstand. Nemo nicht in seinem Zimmer? Dann lief er also frei herum und konnte mich von irgendwoher beobachten? Ich sprte pltzlich das starke Klopfen des Pulses in meinen Handgelenken, whrend ich durch den Trspalt ins Zimmer lauschte. Leer! Ich stie die Tr weit auf und trat ein. Die mnchische Zelle, wie ich sie kannte. Aber an den Wnden einige Bilder, die ich damals bersehen hatte, die mir jedenfalls nicht mehr in Erinnerung standen. Es waren die groen Helden der Geschichte, deren ganzes Leben an einer groen menschlichen Idee hing, die Kpfe von Kosciuszko, dem Polen, Botzaris, dem Griechen, O'Connel, dem Iren, Washington, dem Amerikaner, Manin, dem Italiener, Lincoln, dem Amerikaner, und John Brown's body, der vom Galgen runterhngt. Was verband ihn mit diesen Mnnern: gehrte er dazu? Enthllten diese Bilder sein Geheimnis? Ein Rcher der Unterdrckten, ein Sklavenbefreier? 78 Hatte er in den politischen und sozialen Umwlzungen dieses Jahrhunderts eine Rolle gespielt? Ein Held des schrecklichen amerikanischen Brgerkriegs vielleicht, des unrhmlichen? Da schlug es 20 Uhr, ich erschrak, ich fhlte, da ich zu weit in das Geheimnis dieses Mannes eingedrungen war, drehte mich um und strzte verwirrt aus seinem Zimmer. Ich kleidete mich hastig um: Seestiefel, Otterfellmtze, den aus Robbe gefutterten Mantel aus Muschelseide. Das Warten bis kurz vor 21 Uhr war unertrglich aufreibend. Viel zu frh ging ich aus meinem Zimmer und huschte, so leise es ging, in die Bibliothek. Sie lag im Halbdunkel und war leer, merkwrdig unpassend mit Fellmtze und Stiefeln, ich wartete auf Ned Lands Zeichen. Und pltzlich setzte das beruhigende Gerusch der Schraube aus. Ein schwacher Sto: Wir lagen auf Grund. Waren wir entdeckt? Warum kam Land nicht? Hatte man ihn bereits berwltigt? Auf jeden Fall war es unmglich, unseren Fluchtversuch wie vorgesehen durchzufhren. Ich mute mit dem Kanadier reden ... In diesem Augenblick wurde es hell in der Bibliothek, die Tr ffnete sich, und der Kapitn Nemo trat herein. Ohne im geringsten auf meine seltsame Kleidung einzugehen, sagte er: Ah, Professor, da sind Sie ja. Kennen Sie sich in der spanischen Geschichte aus? Ich htte ihm in diesem Augenblick nicht mal sagen knnen, wann Karl Martell die Araber besiegte. Na? Mig... Dann setzen Sie sich hin. Ich erzhle Ihnen jetzt eine merkwrdige Episode aus der spanischen Geschichte. Aber ich bitte Sie, Kapitn, bemhen Sie sich ni... Nehmen Sie Platz. Sie bekommen jetzt Antwort auf eine der Fragen, die Sie qulen. 1702 machte Louis XIV. seinen Enkel, den Herzog von Anjou, unter dem Namen Philipp V. zum Knig der Spanier, aber wenigen gefiel das. Tatschlich hatten Holland, sterreich und England im Jahr davor ein Abkommen getroffen, die spanische Krone an sich zu reien und sie einem Erzherzog auf den Kopf zu drcken, den sie voreilig schon Karl III. nannten. Spanien leistete den Absichten dieser Koalition Widerstand. Aber es besa kaum Soldaten und Seeleute, dafr jedoch Gold. Allerdings in Amerika, wie Sie wissen. Davon sollte gegen Ende des Jahres 1702 eine grere Sendung eintreffen, und zwar im Hafen von Cadiz, gedeckt von einer kleinen franzsischen Flotte unter Admiral Chteau-Renaud - der Schutz war notwendig, denn damals kreuzten die Alliierten schon im Atlantik. Als Chteau-Renaud hrte, da Cadiz von der englischen Flotte unsicher gemacht wurde, wollte er die Sendung in einen franzsischen Hafen bringen. Aber die spanischen Fhrer des Transports protestierten. Das Gold sollte in Spanien ankommen, nicht in Frankreich. Wenn nicht Cadiz, dann Vigo. Chteau-Renaud gab nach, und die Galeonen liefen in die Bai von Vigo ein. Sie wissen, da Vigo eine offene Reede hat, die nicht verteidigt werden kann. Es war also dumm, hier zu ankern. 79 Aber es kam noch dmmer. Die Gilde der Kaufleute in Cadiz geno das Privileg, da alle Waren und Werte aus Amerika durch ihren Hafen laufen muten. Die Goldbarren konnten in Vigo also gar nicht gelscht werden. Auf die Beschwerde der Gildebosse war Philipp V. damit einverstanden, da die Goldschtze in Vigo eingefroren liegen blieben, bis die feindliche Flotte abgezogen war. Die zog aber nicht ab, sondern in die Bai von Vigo, ChteauRenaud kmpfte tapfer, unterlag und setzte seine Schiffe in Brand, damit die Schtze dem Feind nicht in die Hnde fielen. Ich sah Nemo an. Ich konnte mit dieser Geschichte aus der spanischen Geschichte nichts anfangen. Und jetzt, Monsieur, kommen Sie mal mit ans Fenster. Er lie die Wnde zurckgleiten, und ich sphte angestrengt hinaus. Im Umkreis eines Kilometers war das Meerwasser elektrisch erhellt. Ich sah einen Teil unserer Mannschaft in Taucheranzgen ber den Meeresboden ziehen, halbverfaulte Fsser aufbrechen und Kisten entleeren. Aus allen Behltern am Grund des Meeres quoll Gold und Silber und Edelstein. Neben mir stand lachend Nemo, der Alleinerbe des Inkagoldes. Das ist die Bai von Vigo, sagte er. Schauen Sie gut hin. Wuten Sie, da das Meer derartige Schtze enthlt? Ja. Und ich wei auch von diesem hier. Sie sind mit der Hebung einer gewissen Gesellschaft zuvorgekommen, die von der spanischen Regierung die Erlaubnis erhielt, die bewuten Galeonen zu suchen und zu erleichtern. Die Aktionre der Gesellschaft haben sich eine Ausbeute von 500 000 000 Francs erhofft. 500 000 000 Francs! sagte der Kapitn. Die waren hier mal. Diese Gesellschaft da sollte sich mal lieber nicht in Unkosten strzen. Der Rcher der Unterdrckten hat den Schatz bereits gehoben. 20 Ich war am nchsten Morgen kaum aufgestanden, als auch schon Ned Land an meine Tr klopfte und hereintrat. Er sah mrrisch aus. Also?! sagte er. Tja, Meister, da haben wir Pech gehabt. Der Zufall wollte, da wir ... Der verdammte Kapitn hielt genau um 21 Uhr an, als wir abhauen wollten. Er besuchte seinen Bankier. Was? Oder besser: er ging zur Bank, um etwas Geld abzuheben. Gold vielmehr. Und ich erzhlte dem Kanadier, was ich gestern abend gesehen hatte. Allein, die Nennung der Namen Kosciuszko, Botzaris, O'Connell, Washington, Manin, Lincoln und John Brown rhrte ihn berhaupt nicht. Er rgerte sich, da er nicht auch einen kleinen Streifzug durch die Bai von Vigo hatte machen knnen. Und er war noch ebenso entschlossen wie zuvor, sich so rasch wie mglich abzusetzen. ~80 Und zwar heute abend! Aber Sie wissen doch gar nicht, wo wir inzwischen sind! Wir muten bis zum Mittag warten, um das zu erfahren, als der Erste Offizier die Hhe aufnahm. Von der Plattform aus sah man ringsum nur Meer, das unruhig geworden war. Kein Schiff, keine Kste. Auf der Karte im Salon stellte ich spter fest, da wir uns unter 33 22' nrdl. Breite und 16 17' westl. Lnge befanden, nicht weit von der Insel Madeira entfernt, aber weit genug von allem Festland. Der Gedanke an Flucht konnte aufgegeben werden, und ich fhlte mich erleichtert, als er mich verlie. Jetzt konnte ich, unbeschwert durch Vorstellungen des Verantwortungsgefhls, meinen wissenschaftlichen Beschftigungen wieder nachgehen. Um 23 Uhr erhielt ich unerwartet den Besuch des Kapitns. Sind Sie von gestern noch sehr mde? Nein. Ich wollte Ihnen nmlich einen ziemlich merkwrdigen Ausflug vorschlagen. Aber gern, bitte sehr. Ich mchte mit Ihnen eine Nachtwanderung ber den Meeresgrund machen, und zwar zu einem bestimmten Ziel. Allerdings sage ich Ihnen gleich, da der Spaziergang diesmal anstrengend sein wird. Wir haben weit zu gehen, und die Wege sind oft verschlammt. Sie machen mich nur neugieriger. Dann kommen Sie. Wir zogen unsere Taucheranzge ber und setzten die Kupferhelme auf. Ich kam nicht mehr dazu, ihn zu fragen, warum wir ganz allein gingen. Das Wasser lief bereits in die Schleuse. Diesmal hatte ich einen eisernen Stock als einzige Ausrstung mitbekommen, keine Lampe. Wir sanken aus dem Schiffsleib und standen in 300 m Tiefe auf dem Grund des Atlantik. Es war fast Mitternacht, die Wassermassen um uns tiefdunkel. Nemo hielt mich am Arm, damit wir uns nicht verlren, und er drehte mich so, da ich in der Ferne einen breitschimmernden rtlichen Punkt im Wasser erkannte, 2 sm von der Nautilus entfernt. Auf dieses unterseeische Feuer schritten wir zu, und ich merkte bald, da von dieser Lichtquelle eine Unterwasserdmmerung ausging, an die sich die Augen gewhnten. Die Ruhmkorffschen Apparate wren also ganz berflssig gewesen, sie htten den Zauber dieser Beleuchtung nur zerstrt. Der Boden stieg kaum merklich an, aber wir kamen trotzdem nicht sehr rasch voran, da unsere Fe in einem Schlamm aus Algengewirr steckenblieben. Dies Ausschreiten geschah fast lautlos, aber ich bekam schon nach kurzer Zeit die Empfindung eines Gerusches. Ich hrte ein feines Rieseln im Wasser, das meinen Kupferhelm umschlo, ein Gerusch, das immer strker wurde und mich unruhig machte, denn ich wute nicht, woher es kam und ob es Gefahren ankndigte. Aber dann war mir pltzlich die Ursache klar, und ich mute lachen: auf der Meeresoberflche regnete es, und was ich hrte, war das Prasseln der Regenstrme, die auf das Wasser auftrafen. Augenblicklich ver drngte eine andere Empfindung das seltene Hrerlebnis: Ich fhlte mich durchnt vom Wasser im Wasser, ich mute mir den Gummianzug zu Bewutsein bringen, indem ich mich berhrte. 81 Nach dreiig Minuten Marsch wurde der Boden steinig, der Weg aber nicht leichter. Ich trat oft fehl und wre ohne den Halt des eisernen Stocks sicher ausgeglitten und gefallen. Ich bemerkte trotz des Dmmerlichtes an diesen Steinschichtungen und rangberwachsenen Felsblcken etwas Verblffendes: sie besaen eine gewisse Regelmigkeit, soweit ich die Lagen in das Dunkel hinein verfolgen konnte. Rundungen, Winkel, Treppenbildungen und Umbauten schien die Natur hier im architektonischen Spiel geschaffen zu haben. Und noch etwas war merkwrdig beim Gang ber diese Ebene: Wenn meine Fe auftraten, zerbrachen Dinge, die ich aber nicht nher bestimmen konnte, ich hrte das Gerusch nicht, aber ich hatte die Vorstellung, als knisterten die morschen Knochen eines Gebeinfeldes unter dem schweren Tritt meiner Bleistiefel. Wo waren wir? Der rtliche Flammenschein am Horizont war stndig grer geworden. Ich konnte mir nicht vorstellen, um was fr ein Naturphnomen es sich dabei handeln sollte -wenn die Erscheinung berhaupt der Natur entstammte. Vielleicht hatte menschliches Genie dieses Schauspiel erzeugt? Freunde des Kapitns, denen er einen Besuch abstattete? Lag dort hinten vielleicht eine ganze Kolonie von Landesflchtigen, die hier am Grund des Ozeans ihre Unabhngigkeit suchten? Eine unterseeische Stadt der Verfolgten und Verfemten unserer Erde? Mein Kopf war durch all die Erlebnisse berspannt, an denen Nemo mich schon hatte teilnehmen lassen, und je heller die Landschaft mit ihren regelmigen Gesteinslagen unter der Lichtstrahlung wurde, desto riesiger und abenteuerlicher wurden die Ideen, die ich mir vom Ziel unserer Reise entwarf: In Gesellschaft dieses Menschen Nemo, der schon fast kein Mensch mehr war, sollte mich nichts mehr wundern. Ich sah bald, da die Lichtquelle hinter dem Gipfel eines 250 m hohen Berges lag, der in einiger Entfernung vor uns aufstieg. Was die Ebene, die wir durchschritten, erleuchtete, war nur der Widerschein des Lichtspiels in den Wasserschichten. Nemo ging vllig sicher durch die Gnge, welche die Steinschichten am Boden vorschrieben, er kannte diese dunklen Pfade, er fhrte mich durch diese Unterwelt; ich folgte ihm und bewunderte ihn, wie er vor mir herschritt: die schwarze Gestalt vom hellen Untergrund scharf abgehoben, ein Genius des Meeres. Als ich um l Uhr nachts zu des Hgels Fu gekommen war, der als ein Abschlu aus dem Boden trat, schaute ich empor und sah des Berges Grat bereits im Strahlenkleid der unbekannten Lichtquelle glhen. Um dort hinaufzukommen, muten wir uns durch das Dickicht eines unwegsamen Gehlzes schlagen - ja: Gehlz, denn die Bume, die hier am Hange standen, waren Bume der Oberwelt, vom Wasser mineralisiert, blatt- und saftlos geworden, und einzelne riesenhafte Fichten berragten sie. Es war ein Kohlevorrat, um es so zu sagen, der mit den Wurzeln noch im Boden steckte, ein versunkener Wald. Die Pfade waren kaum mehr aufzufinden, so dicht wucherten Tang und Meergras ber ihnen, und in dem Grn wimmelte es von Krebsen und Langusten. Wir muten bald regelrecht zu klettern beginnen, und ich klomm die Felsen hinan, setzte ber umgesunkene Baumstmme hinweg, zerri die dicken Algentaue, die sich zwischen den Bumen spannten, und scheuchte Schwrme von Fischen auf. Je nher 82 wir dem geheimnisvollen Gipfel kamen, desto strker wurde meine Neugier, die mich vorantrieb, desto geringer meine Ermdung. Wie kann ich jemals das Bild beschreiben, das sich uns bot? Der versteinerte Wald war vom roten Widerschein des Lichtes durchglht, und an den Spitzen der einzeln aufragenden Bume spielte fahles, hell in den Wasserschichten reflektiertes Licht. Der Boden, ber den wir bergan stiegen, war von Schluchten zerrissen, ber denen bengstigende Schlagschatten lagen. Fortwhrend lsten sich Gesteinsblcke unter unseren Tritten und rutschten mit dumpfem Getse in die unergrndlichen Schchte seitlich unseres Weges. Htte ich Zeit gehabt, mich zu besinnen, dann htte mich Schaudern vor diesem Aufstieg zurckgehalten, aber jetzt folgte ich mit den Armen rudernd, hpfend, gleitend, halb schwimmend meinem Fhrer, der ber alle Abgrnde sicher hinwegsetzte. Zwei Stunden nach unserem Aufbruch von der Nautilus hatten wir die Baumgrenze berschritten. Jetzt trennten uns nur noch 30 m von der Spitze des Berges. Die Felsmasse, ber die wir aufwrts kletterten, war von Grotten, Hhlen und Lchern formlich durchsiebt, und aus jedem dieser dunklen Lcher starrten Augen von grlichen Schalentieren, tausend leuchtende Punkte glnzten in dem Schwarz, kolossale Hummer reckten die Fhlhrner, Krabben lagen wie Kanonen auf der Lafette, und Polypen streckten uns ihre verknulten Fangarme in den Weg. Nemo achtete auf all dieses Leben unter Wasser nicht, er setzte unbeirrt seinen Weg fort. Wir hatten jetzt eine Hochflche erreicht, die sich ein weites Stck in der Richtung erstreckte, die wir verfolgten. Die wahre Spitze des Berges rckte damit wieder an den Horizont. Diese Hochflche war mit unverkennbaren Ruinen bedeckt! Diese Steintrmmer, bei deren Anblick ich vor Erstaunen stehenblieb, waren von Menschenhand geordnet gewesen, zusammengebrochene Tempel und Schlsser konnte ich aus den Resten erkennen, all das berdeckt von einem dicken blhenden Algen- und Zoophytenteppich. Was hatte das zu bedeuten? Wer waren die Bewohner dieser toten Stadt? War hier eine ganze Insel, vielleicht ein ganzer Erdteil versunken? Ich stolperte fassungslos in die Anlagen der Ruinenstadt unter Wasser hinein, ich wollte schauen, wollte mich bcken, berhren, um zu begreifen, wohin der Kapitn Nemo mich gefhrt hatte. Er aber nahm mich am Arm, stie mich weiter. Noch weiter! Noch mehr!? Er strebte dem Bergesgipfel zu, ich folgte ihm, aber schon erschpft vom bisherigen Aufstieg, nicht mehr bei Sinnen durch den Anblick, der sich mir hier bot. Eine gute Weile spter hatten wir diese letzte Spitze ber dem Hochplateau erklommen und sahen nun, was fr ein Licht uns leuchtete: hinter ihr fiel der Berg steil ab bis in die dunkelsten Tiefen des Atlantischen Ozeans. Und knapp 20 m unter dem Kamm, auf dem wir standen, ffnete sich der Schlund eines unterseeischen Kraters. Dieser Berg war ein Vulkan, der immer noch glhende Lavamassen aus seinem Innern schleuderte und das Meer meilenweit ringsum erleuchtete. Mit der Lava, die nicht brannte, weil dazu der Sauerstoff fehlte, die aber glhend das Wasser um den Krater zum Brodeln und Zischen brachte, traten Gesteins- und Schlackenmassen aus dem Leib des Berges aus und flssen an dieser Unterwasserfackel langsam hinab bis auf den Meeresgrund. Und auf den Hngen dieses Vulkans, auf den flacher fallenden Terrassen breiteten sich unter meinen 83 Augen die Trmmer der Hauptteile dieser versunkenen Stadt, deren Rnder wir bereits vorhin berschritten hatten: eingestrzte Dcher, verfallene Tempel, aufgebrochene Gewlbe, umgestrzte Sulen von toskanischem Schnitt, Aquduktruinen, Parthenonspuren, Reste von Kaimauern eines Hafens, zerfallene Wlle, verdete Straen, ein ganzes versunkenes Pompeji. Wohin hatte Nemo mich gefhrt? Er bckte sich, nahm einen Stein auf und schrieb kaum leserlich an eine dunkle Basaltwand: ATLANTIS. Und mir fuhr's wie ein Blitzstrahl durch den Kopf: Das also war der Kontinent des Poseidon, von dem die Alten erzhlten und an dessen Existenz keiner der neueren Gelehrten glauben will. Alles war so, wie es Kritias erzhlt: An der Seekste, gegen die Mitte der ganzen Insel, lag eine Ebene, die schner und fruchtbarer als irgendeine gewesen sein soll... in der Nhe dieser Ebene aber, wiederum nach der Mitte zu, befand sich ein allwrts niedriger Berg; auf diesem wohnte ein Mann namens Euenor ... Das Volk, dessen Knochen ich bei unserem Anmarsch zertreten hatte, war einer der ersten Kriegsgegner des alten Griechenland gewesen, als die Atlantiden ihre bis gypten reichende Herrschaft auch auf Griechenland ausdehnen wollten. Sie muten vor dem Widerstand der Hellenen weichen. Dann kamen fr das Reich die Jahre des Verfalls, ber die es in Platons Erzhlung heit: Viele Menschenalter hindurch, solange noch die gttliche Abkunft bei ihnen vorhielt, waren sie den Gesetzen gehorsam und freundlich gegen das verwandte Gttliche gesinnt; denn ihre Gedanken waren wahr und durchaus groherzig, indem sie bei allen sie betreffenden Begegnissen sowie gegeneinander Weisheit gepaart mit Milde bewiesen. So setzten sie auf jeden Besitz, den der Tugend ausgenommen, geringen Wert und ertrugen leicht, jedoch als eine Brde die Flle des Goldes und des anderen Besitztums. ppigkeit berauschte sie nicht, noch entzog ihnen ihr Reichtum die Herrschaft ber sich selbst oder verleitete sie zu Fehltritten; vielmehr erkannten sie nchtern und scharfen Blicks, da selbst diese Gter insgesamt nur durch gegenseitige mit Tugend verbundene Liebe gedeihen, da aber auch das eifrige Streben nach ihnen und ihre Wertschtzung diese selbst sowie jene mit ihnen zugrunde gehen. Als aber der vom Gotte herrhrende Bestandteil ihres Wesens, hufig mit hufigen sterblichen Gebrechen versetzt, verkmmerte und das menschliche Geprge die Oberhand gewann: Da vermochten sie bereits nicht mehr, ihr Glck zu ertragen, sondern entarteten und erschienen, indem sie des schnsten unter allem Wertvollen sich entuerten, dem, der dies zu durchschauen vermochte, in schmachvoller Gestalt... Die berschwemmung dann, das Erdbeben, das in einer Nacht ihren Kontinent aufri und versinken lie, bis nur seine hchste Spitze, Madeira, die Azoren, die Kanarischen und die Kapverdischen Inseln noch hervorragten ... Whrend mir all diese Gedanken und Erinnerungen durch den Kopf gingen, stand auch Nemo unbeweglich an den Berg gelehnt und betrachtete die stummen Zeugen der Vergangenheit. Ich glaubte, wir verharrten eine volle Stunde so, dann drang von oben der Schein des Mondes durchs Wasser, und wir kehrten um. Als der Morgen gerade rtlich anbrach, waren wir an Bord zurck und gingen schweigend in unsere Kabinen, um zu schlafen. 84 21 Den ganzen nchsten Tag berfhren wir die ausgedehnten Flchen des Atlantis- Kontinents, und erst gegen 16 Uhr wurde der Boden, den wir unter uns beobachten konnten, steiniger und unebener. Statt Schlamm und des mineralisierten Gebschs bedeckten ihn jetzt Basalte und Lavalagen. Ich wute, da jetzt Gebirgsland kommen mute, und in der Tat wurde uns der Weg bald durch eine Wand versperrt, die wahrscheinlich bis ber den Meeresspiegel hinausragte. Die Kanarischen Inseln? Oder die Kapverdischen? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo wir uns befanden. Die Nautilus streifte, unschlssig, wie mir schien, an dieser Wand entlang, und ich wollte mich gerade auf nhere Beobachtungen einrichten, als die Lden vor den Fenstern im Salon geschlossen wurden. Da das Manver angesichts dieses Hindernisses nicht meine Sache war, rumte ich meine Notizen zusammen und ging zu Bett. Am anderen Morgen stand ich um 8 Uhr auf. Im Salon las ich die Instrumente ab und sah am Manometer, da wir uns an der Meeresoberflche befinden muten. Ich hrte auch Schritte auf der Plattform. Aber ich vermite das leise Schaukeln der Wellen, das bis jetzt noch jedes Auftauchen begleitet hatte. Ich begab mich sofort zur Lukenffhung und stieg auf die Plattform hinaus. Es war dunkel! Ich hatte hellen Tag erwartet, und hier drauen empfing mich Nacht! Was war vorgefallen? Hatte ich den ganzen Tag verschlafen? Die Nacht war berdies stockfinster: kein Stern am Himmel. Da rief mich eine Stimme an: Ah, Sie sind's, Professor? Kapitn! Wo sind wir? Unter der Erde. Da schwimmt die Nautilus auch? Da schwimmt die Nautilus auch. Warten Sie noch ein bichen, dann werden die Lampen eingeschaltet, und Sie knnen sich orientieren. Ich blieb im Dunkel stehen und fhlte mich unsicher. Es war tatschlich so finster, da ich nicht einmal den Kapitn sehen konnte, der doch in meiner Nhe stehen mute. Doch dann, als ich gen Himmel blickte, gewahrte ich einen sehr schwachen Lichtschimmer, der durch ein rundes Loch drang. In diesem Augenblick flammte der Scheinwerfer auf und lie den Lichtschein von oben verblassen. Ich mute zuerst geblendet die Augen schlieen. Dann konnte ich unsere Umgebung genauer wahrnehmen: die Nautilus lag auf einem stillen schwarzen Wasser neben einer steil aufsteigenden Kste. Der See, in dem wir uns befanden, wurde von Felswnden in einem Kreis von 2 sm Durchmesser eingeschlossen. Sein Wasserspiegel hatte Meereshhe, denn es mute eine Verbindung zwischen drauen und hier drinnen bestehen. Die Felswnde wlbten sich aufsteigend immer strker dem Mittelpunkt des Kreises zu und bildeten so einen 600 m hohen hohlen Kegel, an dessen Spitze sich eine winzig wirkende ffnung befand. Wir schwimmen im Zentrum eines erloschenen Vulkans, erklrte der Kapitn neben mir. Das Meer ist in sein Inneres gedrungen, denn der Berg ri an einer Seite 85 unter dem Wasserspiegel ein. Whrend Sie schliefen, Herr Professor, lief die Nautilus durch einen schmalen Kanal in diesen See ein - ihren Haupthafen. Wenn wir hier liegen, sind wir gegen alles geschtzt: gegen Orkane und Menschen. Der Vulkan speit seit langem nicht mehr. Aber seine Kraterffnung ist noch vorhanden: sie lt die frische Luft fr uns herein. Fragen Sie mich nicht, wo dieser Vulkan liegt. Fr die christliche Seefahrt ist der Berg nur eine der tausend Klippen, die aus dem Atlantik aufragen: nachts gefahrlich, aber sonst uninteressant. Frchten Sie nicht, da eines Tages ein neugieriger Mensch von oben durch die ffnung herabgestiegen kommt? Nein, denn das kann er nicht, ebensowenig wie ich hinaufknnte. Die Innenwnde sind bis in 30 m Hhe ber dem Wasserspiegel zu besteigen, dann hngen sie ber. Ich sehe, Kapitn, da die Natur Ihnen auch hier zu Diensten ist. Aber ich frage mich doch: Wozu braucht die Nautilus einen derartigen Zufluchtsort? Sind Sie auf dem Meeresgrund nicht sicher genug? Doch. Aber dort finde ich nicht berall Elektrizitt. Um mich zu bewegen, brauche ich Elektrizitt, und um die zu erzeugen, brauche ich Kochsalz, und um Kochsalz zu gewinnen, brauche ich Kohle. Der Zufall will, da ich gerade hier ausgedehnte unterseeische Kohlenflze habe, die Reste von Wldern der Urzeit, die hier versanken. Dann arbeiten Ihre Matrosen jetzt als Bergleute? Ja. Die Minen laufen unterseeisch wie zum Beispiel die Flze von Newcastle. Meine Leute arbeiten mit Hacke und Schaufel vor Ort und bringen mir die Steinkohle herauf. brigens hat die Salzgewinnung hier noch einen Vorteil: durch die Kraterffnung zieht der dabei entstehende Dampf ab und gibt dieser Klippe das Aussehen eines noch ttigen Vulkans. Damit halte ich mir unerwnschte Gste vom Hals. Ich stieg hinab, um nach Conseil und Ned Land zu suchen, traf sie in der Kabine des Kanadiers und schlug ihnen einen Erkundungsgang durch die Hhlung des Vulkans vor. Wir hatten nicht viel Zeit, aber es gab auch nicht viel zu erkunden. Wir waren bald in die Hhe gelangt, in der die Wnde berzuhngen begannen, und muten uns zu einem Rundgang auf eine Art Galerie ber dem Seeufer bequemen. Ned fand etwas Merkwrdiges: einen Bienenstock, von dem er sich Honig mitnahm, um damit seine Brotfrchte zu veredeln. Dicht am Seeufer entdeckten wir schlielich eine von Farnkrutern und Meerfenchel verdeckte Grotte, deren Boden aus feinstem Sand bestand. Wir lieen uns in dieser prachtvollen Hhle nieder, und so von der Nautilus abgeschirmt, kamen wir bald wieder auf die ewigen Fluchtplne zu reden. Das Thema interessierte mich nicht mehr. Ich gab zerstreute Antworten und schwieg schlielich vllig, denn ich fhlte eine se Mdigkeit ber mich kommen. Auch Conseil nickte ein, und der Kanadier sprach langsamer . . . ich trumte (die Trume knnen wir uns nicht aussuchen), mein Dasein habe sich auf das Vegetieren einer Molluske reduziert und diese Grotte seien die zwei Schalen meiner Muschel. .. 86 Da weckten mich Conseil und ein Kltegefhl am ganzen Krper. Die Flut kam und prete Meerwasser in den See, also auch in unsere Grotte. Wir machten uns rasch auf den Rckweg zur Nautilus und wechselten dort die Kleidung. Obwohl die Energieversorgung lngst abgeschlossen war, rhrte sich das Fahrzeug nicht von der Stelle. Wir blieben die ganze Nacht hier liegen, und erst am nchsten Morgen gab Nemo den Befehl zur Fortsetzung unserer Reise. Es ging jetzt strikt nach Sden. Nemo durchquerte den Atlantik mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, so da ich nicht selten das Gefhl hatte, er werde gejagt. Er entfernte sich, ganz wie Ned Land es vorausgesehen hatte, immer weiter von Europa, und die Chancen einer Flucht wurden immer geringer. Ich sah den Kapitn selten; ich wute, da er arbeitete. Mehrmals fand ich auf den Lesepulten der Bibliothek aufgeschlagene Bcher, darunter auch mein Lehrbuch, mit unzhligen Anmerkungen von seiner Hand an den Seitenrndern. Und manchmal in der Nacht hrte ich die Tne der Orgel. So verflossen die Tage eintnig - bis zum 13. Mrz. Da stand ein neues Abenteuer auf Nemos Programm: Tiefenmessung. Wir hatten bis zu diesem Tag bereits mehr als 30 000 sm zurckgelegt und befanden uns unter 45 37' sdl. Breite und 37 53' westl. Lnge. Keine Sonde hatte in dieser Gegend bisher Grund gefunden, und Nemo wollte mit der Unsicherheit endlich Schlu machen. Selbstverstndlich gengte fr dieses Untertauchen nicht, da die Behlter mit Wasser gefllt wurden. Deshalb entschlo sich Nemo, den Meeresgrund in einer hinreichend langen Diagonalfahrt aufzusuchen. Die Hhenruder seitlich des Schiffsrumpfs wurden auf 45 Neigung zur Horizontalen eingestellt, die Fenster im Salon zur Sicht freigegeben, und dann schlug die Schraube mit hchster Umdrehungszahl in die Wassermassen. Der eiserne Rumpf der Nautilus begann zu drhnen wie die tiefste Saite eines Basses und trat seine Tauchfahrt an. Die Zeiger des Manometers drehten sich reiend schnell, Nemo und ich verfolgten sie mit grter Aufmerksamkeit. Bald lag die von den meisten Fischen bewohnte Zone ber uns, und wir trafen nur noch sehr wenige Tiefenbewohner an. Die leeren Gewsser in 4000 m und 5000 m Tiefe waren erstaunlich durchsichtig und wurden in weitem Umkreis vom Scheinwerfer der Nautilus ausgeleuchtet: Nirgends aber kam Grund in Sicht. Nach Stunden schlielich nherten wir uns der 6000-m-Grenze, und da endlich tauchten die Spitzen schwarzer Berge vom Grund empor. Aber das konnten immer noch Himalaja-Riesen von 8000 m Hhe sein, deshalb drang die Nautilus tief in sie hinein, und wir sprten jetzt auch den Druck, den die Wassermassen auf den Stahlkrper ausbten. Man hrte formlich, wie die Panzerplatten an den Nieten und Bolzen rissen und unter dem Druck der 6000 at auf jedem cm2 der Oberflche sthnten. Welch ein Bild! rief ich. All das zu sehen, was noch nie ein Mensch gesehen hat: diese prachtvollen Felsen, sie stehen schwarz und schweigend hier am tiefsten Grund des Ozeans, und schauen Sie die unbewohnten Grotten ... man mte das zeichnen, um es nie wieder zu vergessen ... Wollen Sie ein kleines Erinnerungsfoto? fragte Nemo lchelnd. Was soll das heien? Na, schauen Sie mal zu. 87 Auf seinen Befehl erschien jetzt einer seiner Gefhrten mit einer Kamera, die er vor einem der Salonfenster aufbaute. Die elektrische Lampe beleuchtete den Grund des Meeres mit diffusem Licht, so da keine harten Schlagschatten entstanden. Die Umdrehung der Schraube wurde so reguliert, da die Nautilus einige Minuten lang unbeweglich in dieser Tiefe stehenblieb. Dann hatten wir ein vorzgliches Negativ. Auf dem Positiv sind urweltliche Felsen zu sehen, die niemals das Licht der Sonne bestrahlt hat, hchste Zhne des Granitkerns der Erde, von absolut lebensleeren Grotten durchzogen. Und im Hintergrund die Wellenlinie eines unterseeischen Gebirges, all das aus glattem, schwarzglnzendem Felsen, fleckenlos, ohne den Anflug eines Pflanzenwuchses, in seltsam klar profilierten Formen. Das Bild war kaum fotografiert, da sagte der Kapitn: Wir wollen es nicht bertreiben, Monsieur Aronnax. Die Nautilus darf einem derartigen Druck nicht allzulange ausgesetzt werden. Halten Sie sich fest! Noch bevor ich begriff, was dieser letzte Ruf sollte, wurde ich zu Boden geschleudert. Die Schraube des Fahrzeugs hatte aufgehrt zu arbeiten, die Hhenruder standen vertikal, und die Nautilus scho wie ein prall gefllter Ballon in die Hhe, durchschnitt mit wahnsinniger Geschwindigkeit die Wassermassen ber ihr und sprang wie ein fliegender Fisch ber die Wasseroberflche hinaus. Dann fiel sie auf die Wogen zurck, was mchtig spritzte. 22 Ich hatte gedacht, sptestens auf der Hhe von Kap Hoorn werde Nemo von seinem strikten Sdkurs abgehen, um in die Gewsser des Stillen Ozeans zurckzukehren. Aber nichts dergleichen geschah, wir fuhren stets nach Sden. Am 14. Mrz kamen Conseil und Ned Land in mein Zimmer; ich konnte mir denken, worum es bei diesem Gesprch gehen sollte. Der Kanadier hatte lange Zeit nicht mehr von Flucht geredet, aber bei dem Gedanken, da wir mit der Nautilus geradewegs auf den Sdpol zuhielten, kamen auch mir Zweifel an der unbedingten Vertrauenswrdigkeit des Kapitns. Eine einfache Frage, Monsieur, sagte Ned Land. Ja, bitte? Wieviel Mann Besatzung befinden sich an Bord der Nautilus? Ich wei es nicht. Die Manver, die bis jetzt ausgefhrt wurden, kann man mit sehr wenigen Leuten fertigbringen. Das stimmt, dafr gengen wahrscheinlich zehn Mann. Und weshalb sollen mehr an Bord sein? Diese Frage war allzu durchsichtig, und die Folgen, die sie mit sich bringen konnte, waren mir unbehaglich. Ich sah dem Kanadier fest ins Gesicht und antwortete: Weil die Nautilus, wenn mich nicht alles tuscht, eben mehr als nur ein Schiff ist: sie ist 88 ein Asyl fr Menschen, die wie Nemo die Verbindung zur Erde und zur Welt der Menschen abgebrochen haben. Das kann schon sein, meinte Conseil, aber schlielich ist das Fassungsvermgen dieses Dampfers begrenzt. Monsieur kann sicher ausrechnen, wieviel Menschen hchstens an Bord sein knnen!? Dieser Ton bei meinem Diener war mir vllig neu, und ich fragte verblfft: Wieso, mein Guter? Wie stellst du dir das vor? Monsieur kennt doch das Volumen der Nautilus, und Monsieur wei auch, wieviel Luft ein Mensch zum Atmen braucht. Auerdem ist ihm bekannt, da wir alle vierundzwanzig Stunden zum Luftholen auftauchen. Das ist doch eine einfache Textaufgabe. Aber die Lsung kann nie auf den Mann genau sein, denn der Grad der Verbrauchtheit unserer Luft steht nie fest, wenn wir sie erneuern. Gleichviel, sagte der Kanadier, und er sagte es dringlich. Also schn: Ein Mensch verbraucht in vierundzwanzig Stunden den Sauerstoff von 2400 l Luft. Wieviel mal sind 2400 l Luft im Volumen der Nautilus enthalten? Das ist zu rechnen. Wir kennen das Volumen: 1500 000 1. Das ist die Luft, die 625 Menschen in vierundzwanzig Stunden verbrauchen. 625! Ich glaube allerdings nicht, da mehr als 60 Leute an Bord sind, sagte ich beschwichtigend. Auch noch zuviel, brummte der Kanadier, fuhr sich mit der Hand ber die Stirn, wollte etwas sagen, schwieg dann aber und zog sich zurck. Ich frchte, er wird gemtskrank, sagte Conseil, als wir beide allein waren. Sein Kopf ist voll von Dingen, die er nicht haben kann; er lebt von den Bildern seiner Erinnerung, er sehnt sich nach dem Unerreichbaren, er kann nicht, wie er will; er ist kein Gelehrter, sondern voller Tatendurst, die Fische des Meeres lassen sein Blut kalt, er gbe jetzt alles fr Schenkel und Schnken. Selten war hier an Bord Gelegenheit, sich leidenschaftlich zu erhitzen, das stimmte. Und mir wre seine Gemtsverfassung auch bedenklicher geworden, wenn nicht ebendieser 14. Mrz ein Ereignis gebracht htte, das ihn erfllte. Wir gerieten nmlich gegen 11 Uhr unter einen Schwrm Walfische. Der Wal hat in der Geschichte der Erdaufklrung eine groe Rolle gespielt. Die Fischer, die ihn verfolgten, achteten die Gefahren fremder Meere gering, und sie drangen, whrend sie ihn jagten, von einer neuen Kste zur anderen. Ein groer Teil der Entdeckungen in den nrdlichen und sdlichen Meeren der Erdkugel geht auf die Wale als Leitbilder zurck. Wir saen auf der Plattform und genossen die Fahrt, denn der Mrz, der Oktober jener Breiten, hat oft sehr schne herbstliche Tage. Pltzlich machte Ned Land den schwarzen Rcken eines Wales in 5 sm Entfernung am stlichen Horizont aus. Ach, wre das eine Lust, rief er, indem er erregt aufstand, wenn ich an Bord eines Walfangers wre! So ein stattliches Tier! So ein glnzender Leib! Tausend Teufel! Warum bin ich an dieses Stck Eisen geschmiedet? Immer noch Harpuniergedanken? sagte ich. 89 Herr, was ein echter Harpunier ist, der denkt immer ans Harpunieren. Kennen Sie eine Jagd, welche Empfindungen strker aufwhlt? Sie haben hier unten noch nie harpuniert? Nein, nur dort oben, in der Beringstrae und den umliegenden Gewssern. Die Beute hier wre also vllig neu fr Sie!? Wieso neu? Ich kenne doch Wale! Ja, aber die Tiere aus dem Nordmeer kommen nicht bis hier herunter. Das knnen Sie mir nicht erzhlen, Professor. Ich hab1 im vorigen Jahr bei Grnland einen Wal erlegt, in dem steckte eine Harpune mit dem Stempel eines Walfangers aus der Beringstrae. Wie soll der aus einem Meer im Westen Amerikas in ein Meer stlich von Amerika gekommen sein, wenn nicht ums Kap Hoorn oder das Kap der Guten Hoffnung? Die Wale sind in bestimmten Meeren heimisch, Meister, sagte ich. Und diese Meere verlassen sie nicht. Wenn der Fall stimmt, von dem Sie erzhlen, dann bedeutet das nur, da Sie den Beweis fr eine Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik im hohen Norden gefunden haben. Sehen Sie sich das an! schrie der Kanadier. Der kommt direkt auf mich zu! Er verhhnt mich! Er wei, da ich unfhig bin, ihm was zu tun, machtlos ... Die Tiere dieser Breiten sind brigens kleiner als die aus dem Nordmeer. Glaub1 ich gern, denn da oben hab1 ich Tiere von 45 oder 50 m Lnge gesehen. Das ist vielleicht ein bichen bertrieben. Am Wal ist nichts bertriebenes. Lassen Sie sich die Erlebnisse von Waljgern erzhlen, von Leuten, die mit diesen Tieren ihr Leben lang umgehen. Wale sind nicht nur riesenhaft, sondern auch mchtig gescheit. Manchmal bedecken sie sich mit Algen und Seegras, so da man sie fr eine Insel hlt... man lt sich arglos darauf nieder... ... zndet sein Feuerchen an, ergnzte ich. ... baut sein Huschen drauf... , warf Conseil ein. ... und dann taucht das Tier unter, Mann und Maus mit in die Tiefe reiend! Auf flucht1 gern Grunde ha-ha-habt ihr gebaut. Ich kannte diese Ausgelassenheit an meinem Diener gar nicht. Offensichtlich hatten die Wale auch sein Blut in Wallung gebracht. Das sind ja mindestens 20! Wie sie schwimmen! Wie die abhauen! Andere wieder erzhlen, der Wal knne in vierzehn Tagen um die Erde reisen. Er tut's aber nicht. Und wieder andere, sie htten schon Wale von 100 m Lnge gesehen. Starkes Stck, finden Sie nicht? Ja, ich glaub's auch nicht. So gro wie 100 Elefanten vielleicht. 1820 soll die Essex nach einem Zusammensto mit einem Wal gesunken sein. Sie wurde durch den Wal auf 4 m/sec beschleunigt, fate Wasser und sank sofort. Mein Boot hat auch mal einen Schwanzflossenschlag bekommen. Da flog ich sechs Meter hoch in die Luft. Und wie alt knnen Wale werden? 1000 Jahre. Nimmt man an. 90 Worauf beruht die Annahme? Darauf, da die Wale vor 400 Jahren grer waren. Die geringe Gre der jetzigen fuhrt Buffon darauf zurck, da sie noch nicht ausgewachsen sind ... Aber Ned hrte nicht mehr. Der Kanadier war auer sich geraten; er stampfte vor Lust mit den Fen auf und machte Bewegungen mit dem rechten Arm, als htte er seine Harpune schon in der Hand. Warum fragen Sie eigentlich nicht beim Kapitn, ob Sie eine Jagd machen drfen? Kaum hatte Ned das gehrt, da verschwand er schon in der Luke. Nach kurzer Zeit erschien er mit dem Kapitn auf der Plattform. Nemo sah sich das schwarzblaue Getmmel in den Wassern um die Nautilus schweigend an. Dann sagte er: Nein. Was soll das heien: Nein? fragte Ned Land. Auf diese Tiere wird keine Jagd veranstaltet. Ich hr1 wohl nicht recht. Nur jagen, um zu vernichten? Kommt nicht in Frage. Wir brauchen nichts an Bord, was die Wale uns liefern knnten. Weshalb haben Sie mir denn im Roten Meer die Jagd auf den Dugong erlaubt? Weil ich Frischfleisch fr meine Mannschaft brauchte. Hier hiee die Jagd: tten um des Ttens willen. Ich wei, da der Mensch das Vorrecht dazu in Anspruch nimmt. Aber bei mir gibt's das nicht. Sie und Ihresgleichen haben bereits die ganze Baffinsbai verdet. Diese Tiere sind harmlos, ja: ntzlich, und ich lasse nicht zu, da man sie hier unten ebenso ausrottet wie im Norden. Sie haben mit ihren natrlichen Feinden schon genug rger. Es war offensichtlich, da der Jger Ned Land und der Kapitn Nemo sich nicht verstndigen konnten. Der Kanadier pfiff, die Hnde in den Taschen, und der Kapitn wandte sich an mich: Ich sorge mich nicht grundlos um diese Tiere, Monsieur. Sie werden gleich in schwere Bedrngnis kommen. Knnen Sie 8 sm unterm Wind die schwrzlichen Punkte erkennen? Ja. Das sind Pottwale, und sie haben dieser Herde hier voraus, da sie Zhne besitzen. Ein grausames, schdliches Gezcht, sage ich Ihnen! Manchmal 200 und 300 Tiere in einer Herde. Die auszurotten ist gerechtfertigt. Und das werden wir auch tun. Der Kanadier drehte sich ruckartig zu ihm herum. Aber haben wir denn gengend... Keine Notwendigkeit, da wir uns hier oben der Gefahr aussetzen. Ich brauche fr diesen Kampf keine Harpune, Meister, der Schiffsschnabel der Nautilus tut mir die gleichen Dienste. Kommen Sie mit unter Deck, meine Herren. Ned Land zog verchtlich die Achseln hoch und trollte sich hinunter. Der Vorschlag imponierte ihm offenbar nicht sehr. Sie werden jetzt eine Jagd erleben, von der Sie sich kaum eine Vorstellung machen knnen, sagte Nemo, als wir zusammen hinunterstiegen. Unbarmherzig! Mitleidlos! Wild! Immer drauf auf diese Bestien aus Maul und Zhnen! Maul und Zhne, da hatte er recht. Der Kopf des Pottwals mit 1/3 der Gesamtlnge (bis 25 m), und whrend dem Wal im Oberkiefer nur Barten hngen, besitzt der 91 Pottwal 25 starke, 20 cm hohe, walzenfrmige, zugespitzte, l kg schwere Zhne. In den Hhlungen des Oberkopfes befindet sich zentnerweise Walrat, eine sehr gesuchte, vielseitig verwendbare lige Flssigkeit. Das ganze Tier ist ausnehmend hlich anzusehen und auf dem linken Auge fast blind. Der Trupp war jetzt den Walen gefahrlich nahe gekommen. Man konnte sich, da die Pottwale es lnger unter Wasser aushielten, den Sieg leicht ausrechnen, und wenn wir den Walen zu Hilfe kommen wollten, mute es rasch geschehen. Die Nautilus tauchte. Meine Gefhrten und ich nahmen vor den Fenstern des Salons Platz. Nemo verschwand im Steuergehuse. Die Maschinen drehten auf, die Schraube schlug schneller, und der Schiffsrumpf begann wieder zu drhnen. Der Kampf der Tiere hatte schon begonnen, als wir dazwischenfuhren. Zunchst nahmen die Pottwale berhaupt keine Notiz von uns. Aber schon bald muten sie den Sten derNautilus ausweichen. Ned Land sprang vor den Fenstern auf und ab und klatschte in die Hnde. Welch ein Kampf! Das Schiff wurde zu einer ungeheuerlichen Harpune, die der Kapitn Nemo gegen diese Tiere schleuderte. Er warf sich gegen die Fleischmassen und schnitt sie entzwei, da hinter ihm zwei halbe Tiere trieben. Die sonst frchterlichen Schwanzschlge hatten keine Wirkung auf die sthlerne Nautilus, und wenn ein Tier erledigt war, drang Nemo auf das nchste ein, und auf den nchsten, drehte auf der Stelle, um Fliehende zu verfolgen, scho vorwrts, zog sich zurck, verfolgte bis in die Tiefen und tauchte mit den gehetzten Tieren an die Oberflche, traf gerade oder schrg in die Leiber, zerschnitt und zerfleischte, zerfetzte und durchbohrte die Pottwale mit seinem frchterlichen Sporn: ein Gemetzel, ein Getse, ein Pfeifen der Tiere in ihrem Entsetzen, ein Schauspiel, dessen Grausamkeit uns lahmte. Eine Stunde dauerte das Blutbad von homerischen Ausmaen unter den Grokopfeten. Mehrere Male versuchten zehn oder zwlf Tiere, sich gemeinsam auf uns zu werfen und uns zu vernichten, uns zu zerdrcken wie ein Ungeziefer, und dann fuhren wir von den Fenstern zurck vor den aufgerissenen migestalteten Mulern, die an die Scheiben stieen, vor den frchterlichen Zahnreihen und den schrecklich toten Augen, und das ri Ned Land aus der Ruhe, er geriet auer sich, schrie und hhnte, warf sich von innen gegen die Scheiben und trommelte mit den Fusten gegen die Tiere an, die sich festzubeien versuchten wie Hunde an einem Keiler - aber nichts erreichten sie, die Schraubenkraft der Nautilus war ihnen berlegen, zog sie, schlug sie, trieb sie und schleuderte sie fort, ohne den geringsten Schaden zu nehmen. Endlich lichtete sich die Schar der Gegner, was fliehen konnte, floh, die Wasser wurden wieder ruhiger. Die Nautilus tauchte auf, und wir strzten an die Luke. Das Meer ringsum war mit verstmmelten Leichnamen vollgepfropft. Unsere Fe standen in der klebrigen Blutmasse, welche die Plattform berzog, und die halben Riesenleiber, schwarzbluliche Rcken, oder weie Buche, trieben in blutigen Fluten. Eine Explosion htte nicht mehr zerreien, zerschneiden, zerfetzen knnen als die Harpune des Kapitns. Nemo trat jetzt zu uns, er schien etwas abgekmpft. Na, Meister? fragte er Ned Land. 92 Abscheulich, erwiderte der Kanadier, der sich wieder gefat hatte. Ich bin Jger, kein Metzger. Das war eine Jagd, und keine Metzelei, erwiderte der Kapitn rasch und scharf. Das war die Vernichtung schdlicher Tiere! Die Nautilus ist kein Metzgermesser! Ned Land htte sich wahrscheinlich noch zu rgeren Angriffen hinreien lassen, wenn nicht in diesem Augenblick eine Walleiche in unser Blickfeld gekommen wre, an der ein Pottwal gewtet hatte. Das Tier schwamm auf dem Rcken, und der Bauch war von Bissen zerfetzt. Am Zipfel einer Flosse hing ein Junges, das die Walmutter nicht mehr hatte retten knnen. Das Wasser ging durch das offene Maul und pltscherte in den Barten. Kapitn Nemo gab den Befehl, neben dem Leichnam beizudrehen. Zwei Matrosen sprangen von der Plattform auf den Leib des Tieres, und ich sah reichlich verblfft, wie sie aus den Eutern alle Milch herausmolken: fast 3 t! Nemo bot mir eine Tasse dieser warmen Milch an, und ich schttelte mich vor Ekel. Aber die Milch ist vortrefflich, sagte er mit langsamer, ruhiger Stimme. Sie ist von Kuhmilch fast nicht zu unterscheiden. Trinken Sie, Professor Aronnax. Ich nahm einen Schluck und fand, da er recht hatte. Sehr schn, denn ein solcher Vorrat von Milch, und auch Butter und Kse, bedeutete eine angenehme Abwechslung in unserer tglichen Kost. 23 Am 14. Mrz erblickte ich, unterm 55. Breitengrad, die ersten treibenden Eisblcke, nur 6 bis 7 m hoch. Wie Klippen ragten sie aus dem Wasser. Conseil und ich sahen dergleichen zum erstenmal. Am sdlichen Horizont entdeckten wir einen blendendweien Streifen, den der atmosphrische Dunst noch zerflieen lie: eine Eisbank. Es war kein Zweifel mehr, da Nemo sich den Pol in den Kopf gesetzt hatte, jenen Punkt der Erde, zu dem noch nie ein Mensch vorgedrungen war. Bald zeigten sich grere Blcke, einige fhrten grne Adern, als liefen Streifen von Kupfersulfat hindurch, andere strahlten wie enorme Amethyste; und je weiter sdlich wir kamen, desto hufiger waren diese Inselchen von Polarvgeln bewohnt. Nemo beobachtete neben uns, aber sprach kein Wort. Manchmal nur entdeckte ich, da sein Blick lebhafter wurde, dann verschwand er meist und bernahm das Steuer, um durch das Eis zu manvrieren. Am 60. Breitengrad hrte das normale Fahrwasser auf, wir waren von Eisbrocken umgeben. Nemo aber steuerte weiter sdlich, kleinste Lcken geschickt ausnutzend und unbesorgt darber, da sich hinter ihm das Treibeis wieder schlo. Am 15. Mrz, 8 Uhr, passierten wir die Breite der Sdorkney- und Sdshetlandinseln, auf denen nach den wtenden Jagden englischer und amerikanischer Walfanger Todesstille anstelle des munteren Robbenlebens frherer Zeiten herrschte. Vierundzwanzig Stunden spter lag der Polarkreis hinter uns, geschnitten unter 55 westl. Lnge. Wir saen im Eis, und Nemo hielt auf den Sdpol zu. 93 Ich mu gestehen, da mir dieser Kurs nicht gegen den Strich ging, ich schaute die ganzen Tage lang, und ich geno, was ich sah, und in mir stieg die Erwartung eines Menschen, der Land betrat, das unbekannt war, der vielleicht als erster der Erde ihren Sdpol berhren wrde. Ich sah prachtvolle Moscheen in diesen Eistrmen, und niedergebrochene Stdte, Erdbebenveduten oder Riesenspielzeug, und all das wechselnd von stechender Klarheit in der Sonnenbestrahlung bis zur Schemenhaftigkeit in den graumachenden Schneestrmen. Diese Landschaft lebte, strzte ein, verschob sich und gruppierte sich neu, immer wieder die schnsten Seiten zeigend wie ein Diorama. Die Fahrt ging noch zwei Tage fort, schiebend, stoend, sich drngelnd fand die Nautilus ihren Weg. Am 18. Mrz aber kamen wir an die Grenze, wo Blcke und Felder zu einer unzerteilbaren Eisdecke zusammengewachsen waren: eine unendliche Ebene, auf der sich durcheinandergewrfelte Blcke erhoben, einige schlanke Berggipfel auch, graue Massen oder blitzende Spiegel, je nach ihrem Stand zur Sonne. Rings um uns alles gefroren, kein Lebenslaut mehr, auch die Tne also vereist. Unsere Fahrt war zu Ende. Und jetzt? fragte der Kanadier mimutig. Was wird Ihr Herr Kapitn jetzt anstellen, Monsieur? Weiterfahren wahrscheinlich. Das wre ein Meisterstck. ber die Eisdecke kommt niemand hinaus. Ich mchte aber doch gern wissen, was dahinter ist. Eine Mauer ist ein Ding, das die Neugier erhht. Aber hren Sie! Was hinter dem Eis ist, wei doch jeder. Was? Eis. Und Eis. Und wieder Eis. So einfach hatte ich mir den Pol keineswegs gedacht. Ned Land hatte in gewisser Weise recht, die Nautilus konnte anscheinend nicht weiter, weder vorwrts noch zurck. Sie war im Begriff, rundum einzufrieren. Ich machte mir darber Sorgen und war deshalb froh, als der Kapitn an Deck kam, um nach dem Stand der Dinge zu sehen. Na, was meinen Sie, Professor? fragte er leutselig. Ich rgerte mich ber seine ruhige und heitere Art. Und ich sagte ihm offen meine Meinung: Wir stecken fest. Sie meinen damit, es geht weder vorwrts noch zurck? Sie meinen damit, wir sind aufgeschmissen? Etwa, sagte ich knapp. Immer der alte, lachte er. Immer der alte, gute Professor. Aus Ihnen wird nie ein Entdecker, Monsieur. Ich habe vor, weiterzufahren, und ich werde weiterfahren. Ich will nmlich zum Pol, mein Herr, an jenen unbekannten Punkt, an dem alle Meridiane zusammenlaufen. Zum Pol! Natrlich. Sie wissen doch, was die Nautilus kann. Ja, allerdings, das wute ich. Diese Stimme gab mir alles Selbstvertrauen wieder zurck. Dieser Mann konnte, was noch kein Seefahrer vor ihm fertiggebracht hatte. Kennen Sie den Pol schon? fragte ich. 94 Nein. Wir werden ihn gemeinsam entdecken. Einverstanden? Jawohl! Vollkommen, Kapitn. Vorwrts, sprengen Sie die lcherliche Eisdecke. Schieen wir darber hinweg. Drber? Untendrunter durch natrlich. Er war bermenschlich. Er benutzte die natrlichen Eigenschaften der Nautilus fr sein Abenteuer, und er konnte so vollbringen, was fr jeden anderen unausfuhrlich bleiben mute. War der Pol von Festland umgeben, wrde er davor haltmachen, lag er im Wasser, konnten wir darberschwimmen. Da die Eisdecke nicht hher als 100 m ber den Meeresspiegel ragt, reichen die Blcke unter Wasser nicht tiefer als 600 m hinab. Und darunter ist freies Meer. Wir haben dort unten sogar wrmeres Wasser als hier oben. Die einzige Schwierigkeit knnte darin bestehen, da wir lngere Zeit ohne Lufterneuerung auskommen mten. Wenn das alles ist, sagte ich. Da brauchen wir ja nur die Reservetanks der Nautilus mit Luft zu fllen. Ah so. Gut, Professor. Ich sehe, Sie leben sich in die Materie ein, antwortete Nemo ironisch. Ich wollte Ihnen nur im voraus sagen, welche Gefahren uns erwarten, damit Sie mich nicht unberlegt heien, wenn wir bereits getaucht sind. Es gibt da nmlich noch einen Punkt... Immer heraus damit! Nehmen Sie mal an, der Sdpol liegt im Meer. Das wre dann gefroren, und wir knnten nicht wieder an die Oberflche. Was? Knnen Sie mit Ihrem Rammsporn denn diese lcherliche Eisdecke nicht zertrmmern, wenn Sie schrg aufwrts fahren? Ihre Darlegungen berzeugen mich, Professor. Wir knnen die Fahrt wagen. Er spottete zu Recht, denn mich hatte der Entdeckereifer strker gepackt als je zuvor. Ich glhte, und whrend er dem Ersten Offizier in ihrer unverstndlichen Sprache seine Befehle gab, suchte ich Conseil und den Kanadier auf, um sie ber die bevorstehende Grotat zu informieren. Conseil, wir fahren zum Sdpol! Wie es Monsieur beliebt, antwortete mein Diener lahm. Offensichtlich hatte die Klte sein Phlegma noch um ein gutes Stck verstrkt. Monsieur, Sie tun mir leid, sagte der Kanadier langsam. Samt Ihrem Kapitn. Vielleicht kommen Sie zum Pol. Aber zurckkehren werden Sie nicht. Ich glaube, ich zieh1 mich lieber in meine Kabine zurck, bevor es an Bord ein Unglck gibt. Das khlte mich etwas ab, und ich sah am Nachmittag nachdenklich den 10 Leuten zu, die um die Nautilus herum das Eis mit Beilen und Pickeln aufbrachen. Das Wetter war hell und klar, die Atmosphre besa eine reine Klte von 12 unter Null, was aber bei der herrschenden Windstille nicht unangenehm war. Um 16 Uhr mute ich hinabsteigen, die Luke wurde geschlossen, die Tauchbehlter fllten sich, die Nautilus sank. Wir blieben unter Wasser auf dem 52. Meridian und nahmen Kurs direkt auf den Pol, von dem wir in diesem Augenblick 2000 km entfernt waren. Mit unserer Geschwindigkeit von 26 kn konnten wir ihn in knapp 48 Stunden erreichen. 95 Am 19. Mrz begann die Nautilus vorsichtig zu steigen, um zu prfen, wann die Eisdecke zu Ende war. Conseil und ich saen vor den Fenstern des Salons, aber das vom Scheinwerfer erhellte Meer war leer. Wir sprten fortwhrend die kleinen Ste, mit der die Plattform an den Eismassen ber uns kratzte. Bis zum Abend fanden wir immer noch 400 m zu unsern Huptern, und in dieser Nacht schlief ich unruhig, denn die Luft wurde langsam schlecht. Wir muten sie erneuern oder unsere Vorrte aus den Behltern anbrechen. Ich wachte mehrere Male auf und bekam bei einem nervsen Rundgang gegen 3 Uhr nachts mit, da wir nur noch 50 m Eis ber uns hatten. Da blieb ich am Manometer und erlebte mit, wie die Eisdecke von Meile zu Meile dnner wurde; und gegen 6 Uhr morgens trat Nemo in den Salon. Das offene Meer, Monsieur! sagte er. Ich strzte sofort zur Plattform hoch: ja da! Auf der weiten Meeresflche trieben kaum noch Eisblcke, Tausende von Vgeln kreuzten ber die wechselnd tiefblauen und olivgrnen Gewsser, hier wimmelte es von Fischen, und das Thermometer zeigte einen Frhling von 3 ber Null. Sind wir am Pol? fragte ich Nemo. Wei ich nicht. Ich mu erst unseren Standort aufnehmen. Die Sonne werden Sie durch diesen Nebelvorhang kaum zu sehen bekommen. Der geringste Deut langt mir zur Aufnahme des Stundenwinkels. 10 sm sdlich ragte eine Insel etwa 200 m hoch aus dem Meer auf, auf sie hielten wir zu, allerdings sehr langsam, da wir nicht wuten, ob das Meer von Klippen durchzogen war. Zwei Stunden spter wuten wir, da ihr Umfang etwa 5 sm betrug. Ein Kanal von geringer Breite trennte sie von einer weiteren Landmasse - vielleicht dem Festland der Antarktis? Wir hielten und lieen das Boot ins Wasser. Zwei Matrosen luden Instrumente ein, Nemo winkte Conseil und mir, dann setzten wir zu funft zur Kste ber. Ned Land blieb in seiner Kabine. Um 10 Uhr legten wir an. Conseil wollte hinausspringen, aber ich hielt ihn zurck. Kapitn, Ihnen gebhrt die Ehre, dieses Land als erster zu betreten. Ja. Und ich setze meinen Fu auf den Boden dieses Sdpolarlandes mit dem vollen Bewutsein, es als erster zu tun. Er sprang hinaus, stieg auf die Spitze einer prachtvollen Felsengruppe am Ufer, kreuzte die Arme auf der Brust und stand lange dort, glhend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt, und nahm von diesem Land Besitz. Nach fnf Minuten lste er sich aus der Erhebung, drehte sich uns zu und sagte mit einer Handbewegung: Wenn Sie jetzt kommen wollen, meine Herren ... Der Boden bestand aus rtlichem Tuff; Schlacken und Lavarinnen verrieten den vulkanischen Ursprung. An manchen Stellen zeugten schwache Schwefeldnste noch von der fortwirkenden unterirdischen Ttigkeit. Die Vegetation sprlich: einige Flechten, einige Diatomeen, einiger Seetang. Am Ufer Mollusken hingest, Muscheln aller Art, Korallen auch, Seesterne. Die Luft war mit Vgeln aller Gattungen erfllt, Pinguine watschelten, Strandlufer liefen, Albatrosse und Sturmvgel flogen. Die Atmosphre war von nebligem Dunst durchdrungen, der jede Beobachtung der Sonne unmglich machte. 96 Ohne Stundenwinkelmessung konnten wir aber nicht feststellen, ob wir wirklich am Pol waren. Nemo stand unbeweglich an einen Felsen gelehnt und wartete auf die Sonne. Es stimmte ihn mimutig, da er ihr nicht befehlen konnte. Gegen Mittag setzte Schneegestber ein, wir fuhren zur Nautilus zurck. Auf morgen! sagte Nemo grimmig, bevor er in seiner Kabine verschwand. Am Morgen des 20. hatte zwar der Schneefall aufgehrt, aber das Thermometer zeigte jetzt -2. Der Nebel befand sich in steigender Bewegung. Wir konnten darauf hoffen, heute zu messen. Gegen 11 Uhr lie Nemo wieder das Boot ablegen, wir brachten die Instrumente an Land und bauten sie auf, diesmal allerdings 10 sm weiter sdlich als am Tag zuvor. Geduldig warteten wir die Stunde bis zum Mittag, aber die Sonne zeigte sich wieder nicht. Das war allerdings rgerlich. Am 21. Mrz hatten wir das quinoktium, und dann wrde die Sonne sechs Monate lang aus unserem Gesichtskreis verschwinden. Morgen oder nie, sagte ich zum Kapitn. Genau, antwortete er. Und morgen sogar besonders leicht. Denn wenn morgen um 12 Uhr die Sonne vom nrdlichen Horizont genau in zwei Hlften geteilt wird, befinde ich mich am Sdpol. Ich brauche also nur meine Uhr zur Messung. Aber das Ergebnis ist nicht exakt, da das quinoktium nicht unbedingt auf 12 Uhr mittags fallt. Allerdings. Aber die Abweichung betrgt kaum 100 m, und diese Exaktheit gengt. Auf morgen! Ich fand noch ein Pinguinei im Wert von mindestens 1000 Francs an dieser Kste, steckte es vorsichtig ein und nahm es mit an Bord. Am anderen Morgen, dem 21. Mrz, stieg ich bereits um 5 Uhr zur Plattform hoch und fand dort den Kapitn. Es klart auf. Nach dem Frhstck gehen wir an Land und suchen uns eine gute Stelle fr die Beobachtung aus. Ich war einverstanden und ging Ned Land wecken, um ihn zu bewegen, wenigstens heute mitzukommen, um den groen Augenblick nicht zu versumen. Aber er blieb starrkpfig, wurde nur wtender, wenn ich in ihn drang. Um 9 Uhr landeten wir an der Kste, und der Kapitn erklrte, da er seine Beobachtungsstation mit Fernglas, Uhr und Barometer auf der Spitze eines kleinen, allerdings schroffen Berges aufschlagen wollte. Der Aufstieg ber die schwefeldnstende Erde war nicht einfach und kostete uns zwei Stunden. Von der Spitze aus berblickten wir ein weites Meer, das vom Horizont begrenzt wurde, und zu unseren Fen ein unermeliches Land voll blendender Schneefelder. Fern im Wasser lag die Nautilus wie ein schlafender Wal. 11.45 brach die Sonne durch, als Nemo gerade mit dem Barometer seine Hhe aufgenommen hatte. Die goldene Scheibe, die ihre letzten Strahlen ber den verlassenen Kontinent warf, war nur durch die Brechung der Lichtstrahlen sichtbar. Nemo beobachtete sie mit einem Fernglas, das mit einem Spiegel die Brechung korrigierte, und er folgte ihrer sehr langen Diagonale, die sie unter den Horizont fhrte. Ich hielt mit zitternden Hnden die Uhr. Wenn die Hlfte der Scheibe Schlag 12 Uhr verschwunden war, so standen wir am Pol! 12 Uhr! rief ich. 97 Der Sdpol, sagte Kapitn Nemo gelassen und lie mich durchs Glas sehen: es zeigte, wie das Tagesgestim vom Horizont in zwei Teile geschnitten wurde. Von unten zogen langsam Schatten zur Spitze des Berges hinauf, wo wir standen. Nemo trat zu mir, legte mir die Hand auf die Schulter und sprach: Monsieur, 1600 erreichte der Hollnder Gherritz, durch Strme verschlagen, den 64. Breitengrad und entdeckte die Sdshetlandinseln. Am 17. Januar 1773 kam der berhmte Cook unter 38 stl. Lnge bis 67 30' an den Pol heran, und am 30. Januar 1774 bis auf 71 15', und zwar unter 109 westl. Lnge. 1819 befand sich der Russe Bellinghausen auf dem 69. Breitenkreis, und 1820 entdeckte der Amerikaner Morrel, dessen Angaben zweifelhaft sind, unter 42 westl. Lnge und 70 14' das freie Meer. Im gleichen Jahr mute der Englnder Brunsfield am 65. Breitengrad haltmachen. 1825 konnte der Englnder Powell nicht mal den 62. Breitengrad berschreiten. Im gleichen Jahr arbeitete sich ein einfacher Robbenjger, der Englnder Weddell, unter 35 westl. Lnge bis 72 14', unter 36 westl. Lnge bis auf 74 15' vor. 1829 nahm der Englnder Foster als Kommandant der Chanticleer unter 66 26' westl. Lnge und 63 26' sdl. Breite Besitz vom antarktischen Kontinent. Am 1. Februar 1831 entdeckte der Englnder Biscoe Enderbyland auf 68 50' Breite, am 5. Februar 1832 Adelaideland auf 67 Breite und am 21. Februar Grahamsland auf 64 45' Breite. 1838 wurde der Franzose Dumont d'Urville bei 62 57' von der Eisdecke gestoppt, nahm jedoch das Louis-Philippe-Land auf; zwei Jahre spter gab er am 21. Januar dem Adelieland auf 66 30' Breite und eine Woche spter der Clariekste auf 64 40' Breite ihren Namen. 1838 nherte sich der Englnder Wilkes bis auf 69. Dann entdeckte der Englnder Balleny ein Jahr spter Sabrinaland auf dem Polarkreis. 1842 endlich fand der Englnder James Ross, am 12. Januar die Vulkane Erebus und Terror unter 171 7' stl. Lnge und 76 56' Breite besteigend, Viktorialand. Am 28. Januar war er auf 77 32' und am 2. Februar auf 78 10' - niemand ist nher an den Pol herangekommen. Und jetzt habe ich, Kapitn Nemo, am 21. Mrz 1868 den Sdpol am 90. Breitengrad erreicht und ergreife von diesem Erdteil Besitz. In wessen Namen? In meinem eigenen, Monsieur. Bei diesen Worten entfaltete er eine schwarze Flagge, die mit einem goldenen N verziert war, und stie sie in den Boden. Die letzten Strahlen der Sonne huschten ber den Meeresspiegel auf das Tagesgestirn zurck. Lebe wohl, sagte Nemo. Mein neues Reich beginnt mit sechs Monaten Finsternis. 24 Bereits um 6 Uhr frh trafen wir am folgenden Tag, 22. Mrz, die Vorbereitungen zur Abfahrt. Der letzte Widerschein der Dmmerung lste sich in das Dunkel der Polarnacht auf. Es war sehr kalt geworden, und die Sterne zeigten sich in berraschend klaren Bildern. Am Zenit stand das glnzende Kreuz des Sdens. 98 Wenn jetzt Wind ging, empfand die Haut einen stechenden Schmerz, bei -12 begann das Meer ringsum zu gefrieren, Eisbrei verdichtete sich zu Treibeis, und es wurde offenkundig, da dieses freie Becken am Sdpol whrend der sechs Wintermonate zugefroren war. Die Nautilus tauchte gemchlich bis auf 300 m Tiefe, dann begann sich die Schraube zu drehen, und wir stieen mit 15 kn nordwrts. Gegen Abend ging es bereits unter der unermelichen Eisdecke her. Die Fenster im Salon blieben zu, aus Sicherheitsgrnden. Ich brachte deshalb den Tag damit zu, meine Notizen zu ordnen. Mein Kopf steckte voller Polgedanken: mhelos, ohne grere Gefahren waren wir bis zu diesem unerreichbarsten Punkt der Erde vorgedrungen, bequem eigentlich, als seien wir mit der Bahn gefahren. Auch das war eine der berraschungen der Reise. Wrden noch mehr folgen? Ich war davon berzeugt, denn die Wunder des Meeres sind ohne Zahl. Wir waren bereits fnf Monate unterwegs, hatten 62 300 km zurckgelegt, mehr als 33 000 sm also, mehr als der quator mit, wir hatten in den unterseeischen Wldern von Crespo gejagt, waren in der Torresstrae gestrandet, hatten Riesenperlen gesehen und einen Korallenfriedhof, hatten gegen Haie gekmpft und Gold geborgen, waren unterm arabischen Festland hindurch und bis zum Sdpol hinabgefahren, und ich kannte Atlantis ... Mein Hirn war in diesen Tagen von Trumen bewegt, die mir all diese Erlebnisse wiederbrachten, und es kam nicht zur Ruhe. Um 3 Uhr frh sprte mein Krper einen heftigen Sto, ich sprang auf und horchte ins Dunkel. Ein zweiter Sto folgte und schleuderte mich zu Boden. An der Schrge der Kabine merkte ich, da sich die Nautilus leicht zur Seite geneigt hatte. Ich tastete mich an den Wnden entlang bis vor in den Salon, in dem Licht brannte. Die Mbelstcke waren umgefallen oder an die eine Wand gerutscht, nur die fest montierten Schauksten hatten ihren Platz behalten. Die Gemlde der rechten Wand lagen fest an der Tapete an, die der linken pendelten mit dem unteren Rand frei. Die Nautilus lag also auf der rechten Seite. Ich hrte aus dem ganzen Schiffskrper Stimmen und Futritte, die mir erregt schienen. Ich wartete auf den Kapitn, aber der kam nicht. Statt dessen traten Ned Land und Conseil in den Salon. Was ist los? fragte ich. Das wollten wir gerade von Monsieur hren! antwortete Conseil. Was wird sein, rief der Kanadier rgerlich, wir sitzen fest, und zwar diesmal besser als in der Torresstrae. Sind wir denn oben? Ich trat an das Manometer und erschrak. Wir befanden uns in 360 m Tiefe. Ah, das ist nicht gut. Wir mssen sofort mit Nemo reden. Die beiden folgten mir, als ich aus dem Salon ging. Wir durchsuchten die Gnge und die Zimmer, die uns offenstanden, fanden aber niemanden. Ich vermutete, da sich Nemo im Steuerhaus aufhielt. Wir gingen wieder in den Salon zurck, lehnten uns an die Wnde, warteten, und Ned Land unterhielt uns zwanzig Minuten lang mit seinen Flchen. 99 Als Nemo eintrat, schien er uns gar nicht zu bemerken. Auf seinem sonst so sicheren Gesicht entdeckte ich Unruhe. Er trat schweigend ans Manometer, an den Kompa, an die Karte, und nach einer Weile wandte er sich zu mir und sah mich an. Ein Zwischenfall, Kapitn? fragte ich. Nein. Diesmal ist es ein Unfall. Was Ernstes? Vielleicht. Unmittelbare Gefahr? Nein. Was ist passiert? Ein ungeheurer Eisblock, ein ganzer Berg, hat sich gedreht. Wrmere Wasserstrme und Ste schleifen die Eisblcke an ihrer Basis ab, ihr Schwerpunkt verlagert sich, die Massen drehen sich, strzen um, und von einem solchen Sturz hat die Nautilus etwas abbekommen, das Eis hat sich unter das Fahrzeug geschoben und es in die Hhe gehoben. Knnen wir nicht etwas steigen und dadurch wieder in die Horizontale kommen? Das lasse ich schon versuchen, aber vorlufig ist auch der Eisblock noch im Steigen begriffen. Schauen Sie auf das Manometer. Erst wenn er aufgehalten wird, hat es Sinn, da wir uns aufwrts bewegen. Mir kam sofort der Gedanke, da der Auftrieb des Eises erst durch die Eisdecke an der Oberflche gebremst werden knnte, wobei unser Fahrzeug zwischen den beiden Massen zermalmt wrde. Ich wagte nicht, davon zu sprechen. Wir schwiegen, whrend Nemo unablssig den Zeiger des Manometers verfolgte. Nachdem wir knapp 50 m gestiegen waren, ging ein leichtes Zittern durch den Schiffsrumpf, und wir merkten, da sich der Boden wieder begradigte. Die hngenden Gegenstnde schmiegten sich wieder normal an die Wnde. Der Kapitn verlie das Manometer. Werden wir wieder flott? fragte ich. Sicher. Wir knnen immer noch die Tauchtanks entleeren, um hher zu steigen. Er ging aus dem Salon. Da sind wir noch mal gut davongekommen, sagte Conseil und lchelte erleichtert. Wenn wir das schon sind, brummte Ned Land. Ich brauchte mich auf den Pessimismus des Kanadiers nicht weiter einzulassen, denn in diesem Augenblick ffneten sich die Fensterwnde, und wir konnten nach drauen schauen. Was wir sahen, war nicht sehr muteinflend. Zwar schwammen wir im freien Wasser, aber doch in einem regelrechten Eistunnel, dessen Wnde nur 10m von der Auenwand der Nautilus entfernt waren. Das Dach ber uns war die untere Seite der mchtigen Eisdecke, die seitlichen Wnde gehrten zu einer Rille, welche die Vorsehung fr uns in den Eisblock gegraben haben mute. Der Scheinwerferstrahl der Nautilus wurde von den Eiswnden tausendfach reflektiert und erleuchtete den Salon, und der Blick hinaus war wie der Blick in eine Edelsteinmine von blauem Saphir und grnem Smaragd. Das ist wunderbar, staunte Conseil und prete seine Nase ans Fensterglas. ~100 Der schnste Sarg, den ich je gesehen habe, ergnzte der Kanadier beiend hhnisch. Nein, im Ernst: Ich habe das Gefhl, wir shen hier Dinge, die Gott nicht fr Menschenaugen gemacht hat. Und das wird uns teuer zu stehen kommen. Ich konnte ihn verstehen, es war zu schn. Pltzlich schrie Conseil. Was ist los? fragte ich. Nicht hinsehen, nicht hinaussehen! Er bedeckte seine Augen mit der Hand. Was hast du denn? Ich bin blind. Ich sah unwillkrlich zum Fenster, mute aber sofort den Kopf abwenden. Der Lichttunnel dort drauen war in Bewegung geraten, und die Strahlungen und Spiegelungen hatten sich in ein gleiendes Feuer verwandelt, in ein Bombardement von Blitzen, die kein Auge aushalten konnte. In diesem Augenblick schlossen sich auch die Lden, das Licht im Salon ging wieder an. Kein Mensch auf der Erde wird uns glauben, was wir gesehen haben, sagte Conseil. Und alle Wunder der Erde werden uns schmchtig vorkommen. Wir sind zu erfahren fr sie. Die bewohnte Welt ist unserer nicht mehr wrdig. Das waren erstaunliche Worte aus dem Mund des phlegmatischen Flamen, aber sie zeigten, bis zu welchen Hhepunkten unsere Sinnesreizungen gestiegen waren. Keine Angst, mein Freund, sagte der Kanadier kalt. Die bewohnte Welt wirst du kaum wieder betreten mssen. Wie zur Bekrftigung dieser Worte erfolgte ein Sto. Es war 5 Uhr frh, die Nautilus war mit ihrem Vorderteil auf Widerstand gestoen. Ein Block, der den Tunnel versperrte? Das Manver in der schmalen Rinne war nicht leicht. Und dann merkten wir gleich, da es rckwrts ging. Wir fahren rckwrts, sagte ich tonlos. Tja, Herr Naturforscher! rief Ned Land. Sieht fast so aus, als sei euer famoser Tunnel an einer Seite ohne Ausgang!? Und wenn! fuhr ich ihn an. Dann fahren wir eben am sdlichen Eingang hinaus. Wenn Sie rauskommen. Ich konnte diese Reden nicht lnger ertragen, da mir selbst hnliche Gedanken im Kopf herumgingen. Ich trat in die Bibliothek, nahm ein Buch zur Hand und schlug es auf. Meine Augen liefen mechanisch ber die Zeilen. Nach einer Viertelstunde hrte ich Conseil kommen. Er trat neben mich, sah mir eine Weile zu und sagte dann: Ein gutes Buch? Ach ja, doch, sehr interessant. Hab1 ich mir bald gedacht. Es ist das Werk von Monsieur. Mein Buch? Ich schlug die Titelseite auf und las meinen Namen, meinen Buchtitel. Verwirrt klappte ich das Werk zu und stellte es wieder auf das Lesepult, von dem ich es heruntergenommen hatte. Ich ging auf und ab, die Hnde auf dem Rcken, verkrampft. Ned Land und Conseil wollten sich zurckziehen. Ich bat sie zu bleiben. 101 Das Warten dauerte Stunden. Wir waren uns peinlich. Wir redeten kein Wort miteinander. Um 8.25 Uhr lste sich die Starre des Wartens. Ein Sto brachte uns auf die Beine, diesmal kam er von rckwrts. Ich bekam die Hand meines Dieners zu fassen. Ich war bleich geworden. Wir sahen uns an. Der Kapitn kam herein. Auch der Sdeingang zu? fragte ich. Ja, Monsieur. Alle Wege sind abgeschnitten. Aus? Aus. 25 Der Kanadier schlug frchterlich mit der Faust auf den Tisch. Conseil schwieg. Ich sah Nemo an. Der Kapitn redete khl: Meine Herren, es gibt in der augenblicklichen Situation zwei Arten des Todes. 1. Wir werden langsam erdrckt. 2. Wir werden langsam ersticken. Den Hungertod halte ich fr ausgeschlossen, denn unsere Lebensmittel reichten wahrscheinlich lnger als unser Leben. Wieso Ersticken? rief ich unbeherrscht. Unsere Behlter sind doch mit Luft gefllt. Die reicht hchstens noch zwei Tage. Wir sind bereits 36 Stunden unter Wasser, mssen also in sptestens 48 Stunden die Luft erneuern. Das bedeutet: in 48 Stunden mssen wir uns freigearbeitet haben? Wir knnen es wenigstens versuchen. Die Nautilus wird gleich aufsetzen; dann steigen meine Leute in Taucheranzgen hinaus und sondieren. An der dnnsten Stelle hauen wir das Eis durch. Wir setzten in 350 m Tiefe auf dem Eisgrund auf. Die Fenster des Salons ffneten sich. Ich sagte: Freunde, die Lage war noch nie so ernst. Ich hoffe, da wir gemeinsam unseren Mut und un ... Was sollen die langen Reden, unterbrach mich der Kanadier. Ich bin bereit, mein Bestes fr das Allgemeinwohl zu tun. Mir liegt eine Hacke ebenso gut in der Hand wie eine Harpune. Ich stehe zur Verfgung. Ich drckte ihm die Hand und brachte ihn zur Schleusenkammer, wo er seinen Taucheranzug verpat bekam. Anschlieend postierte ich mich mit Conseil vor dem Fenster im Salon. Wir sahen eine Gruppe von 12 schwarzgekleideten Mnnern auftreten, darunter Ned, darunter den Kapitn. Die Mnner sondierten an mehreren Stellen und fanden heraus, da der Boden unter uns 10m dick war. Es galt also, ein Stck Eis von 6500 m3 aus dem Boden herauszuhauen, durch dieses Loch konnte die Nautilus in Wassertiefen hinabsinken, die fr sie wieder schiffbar waren. Die Arbeit wurde unverzglich in Angriff genommen und mit unermdlicher Ausdauer durchgefhrt. Statt um die Nautilus herum zu graben, lie Nemo 8 m weiter seitlich eine Grube abstecken und ausheben, das vereinfachte die Arbeit. Da 102 die losgemeielten Eisblcke leichter waren als die gleiche Masse Wasser, stiegen sie behbig zur Decke empor, und was der Boden an Dicke verlor, nahm die Decke ZU. Nach zwei Stunden Arbeit kam Ned Land zurck, er war erschpft. Jetzt kam der zweite Arbeitstrupp an die Reihe, Conseil und ich darunter. Der Erste Offizier fhrte uns an. Mir kam das Wasser besonders kalt vor. Dann wrmten mich die Schlge mit Hacke und Pickel, und die Empfindung verschwand. Von den 30 at Druck war nichts zu spren, ich bewegte mich vollkommen frei. Als ich nach zwei Stunden zurckkehrte, um zu essen und mich auszuruhen, sprte ich bereits den deutlichen Unterschied zwischen der reinen Luft aus dem Atemgert und der stark kohlensurehaltigen Luft im Innern der Nautilus. Sie war seit 48 Stunden nicht erneuert worden und hatte ihre belebende Wirkung fast eingebt. Nach 12 Stunden hatten wir gerade l m Boden von der vorgezeichneten Flche abgehoben, also 600 m3 Eis bewegt. Wenn wir das Tempo beibehielten, wrden wir noch fnf Nchte und vier Tage brauchen, bis wir durch waren! Und die Luft reicht nicht mal mehr ganz zwei Tage! Dabei haben Sie noch gar nicht bercksichtigt, da wir anschlieend ja noch lange unter der Eisdecke fahren mssen. Das war richtig. Niemand konnte voraussehen, wann wir wieder an die Oberflche kommen wrden. Muten wir nicht vorher ersticken? Muten wir vielleicht alle hier in dieser Gruft aus Eis zugrunde gehen? Unsere Lage schien schrekkenerregend ernst. Sie war jetzt allen voll bewut. Und alle stellten sich der Gefahr und taten, was ihre Pflicht war. Whrend der Nacht wurde ein weiterer Meter Boden gelst. Als ich dann am Morgen in meinen Taucheranzug stieg und mich ins -7 kalte Wasser begab, entdeckte ich, da sich die Seitenwnde des Tunnels Stck um Stck der Nautilus nherten. Die Wasserschichten, die entfernt von unserem Arbeitsplatz lagen und nicht bewegt wurden, zeigten eine Tendenz zur Verfestigung. Was war jetzt mit unserer Rettung, angesichts so drohender Gefahr? Wie sollte man die Verfestigung der flssigen Massen aufhalten, unter deren Druck die Wnde der Nautilus wie Glas zerspringen muten? Ich verriet meinen Gefhrten mit keinem Wort, was ich entdeckt hatte, ich durfte ihren Arbeitseifer, mit dem sie fr unsere Rettung schufteten, nicht lahmen. Aber kaum waren wir zurck an Bord, suchte ich den Kapitn auf und erzhlte ihm von dem neuen Hindernis. Ich wei߫, antwortete er mit seiner ruhigen Stimme, die sich auch unter den schrecklichsten Umstnden nicht wandelte. Eine Gefahr mehr, ich sehe aber nicht, wie wir ihr begegnen sollen. Die einzige Chance wre, da wir schneller sind, als die Verfestigung fortschreitet. Wir mssen ihr zuvorkommen, das ist alles. Zuvorkommen! Wre ich an diese Sprache des Unmglichen nicht schon gewhnt, ich htte zugeschlagen. So griff ich zum Eispickel und arbeitete an diesem Tag wie ein Besessener, um mich aufrecht zu halten. Das war nicht allein eine moralische 103 Manahme, sondern auch erfrischender als der Aufenthalt in der dumpfen Luft an Bord. Ein weiterer Meter am Abend, und bei der Rckkehr bereits das Empfinden des Erstickens. Ich dachte wehmtig an die Chemie und ihre Mglichkeiten der Lufterzeugung. An Sauerstoff htte es uns nicht gefehlt, das umgebende Wasser enthielt genug. Aber die Innenrume der Nautilus waren zum Bersten mit giftiger Kohlensure gefllt, und die konnten wir nicht entfernen, dazu htte man einen Behlter mit kaustischer Pottasche dauernd rtteln mssen! An diesem Abend ffnete Nemo zum erstenmal die Hhne seiner Reservebehlter und lie frische Luft zu. Ohne diese Manahme wren wir am anderen Morgen wohl nicht mehr aufgewacht. Am 26. Mrz stieg die fnfte 1-m-Lage nach und nach zur Decke. Es war offensichtlich geworden, da die Wnde des Tunnels zusammenwachsen wrden, bevor die Nautilus freigehauen war. Die Verzweiflung machte eine Weile meine Hnde schlapp, und ich konnte meinen Pickel nicht mehr ordentlich halten. Wozu das Hacken und Graben, wenn ich doch zerquetscht werden sollte, von diesem kalten Wasser, das zu Stein wurde, in einer Todesmarter, wie noch kein Wilder sie ersonnen hatte? In diesen Augenblicken der Mutlosigkeit kam der Kapitn bei mir vorbei. Ich wies mit der Hand auf die Wnde, die kaum noch 4 m von der Nautilus entfernt waren. Er verstand und winkte mir zu folgen. An Bord zogen wir die Taucheranzge aus und gingen in den Salon. Wir mssen uns etwas einfallen lassen, Monsieur. Allerdings. Aber was? Wenn die Nautilus stark genug wre, den Druck auszuhalten, knnte das die Rettung sein. Wahrscheinlich wrde sie dann das Eisfeld von oben bis unten spalten, so wie sonst das gefrierende Wasser die hrtesten Felsen sprengt. Aber sie hlt den Druck nicht aus. Nein. Sie wrde platt werden wie ein Blech. Das wei ich selbst. Das brauchen Sie mir nicht erst noch zu erklren. Wir mssen uns selbst helfen, dann hilft uns die Natur. Die Vereisung geht auf allen Seiten voran, wir massen uns nach allen Seiten wehren. Wie lange knnen wir mit der Luft aus den Reservetanks noch atmen? Bis bermorgen. Und dann stand der Mann unbeweglich da, schweigsam, er dachte nach. Auf seinem Gesicht sah man den Widerschein einer Revue von Ideen, die aber alle zurckgewiesen wurden. Pltzlich sprach er ein paar Worte und richtete sich auf. Kochendes Wasser, sagte er. Wie bitte? Kochendes Wasser. Wir sind in einem ziemlich engen Raum eingeschlossen. Wenn ich mit den Pumpen stndig kochendes Wasser hinausschleudern wrde, mte das die Temperatur erhhen. Und die Vereisung aufhalten. Man knnte es versuchen ... Fangen wir an! 104 Er fhrte mich in die Kche, wo riesige Destilliergerte Trinkwasser aus Meerwasser erzeugten. Die Rohrschlangen wurden mit Wasser gefllt und elektrisch beheizt. In wenigen Minuten kochte das Wasser und wurde mit den Pumpen hinausgepret; neues Wasser kam herein. Drei Stunden spter war das Thermometer bereits auf -6 gestiegen, zwei Stunden spter lasen wir -4 ab. Whrend der Nacht stieg die Temperatur bis auf -1 (das Wasser konnte erst bei -2 gefrieren), und es blieb nur noch das Ersticken zu frchten. Am 27. Mrz hie die Rechnung: 6 m Eisdecke beseitigt, Rest 4 m = 48 Stunden. Die Luft an Bord war kaum noch zu atmen. Die Glieder wurden immer schwerer, eine physische und psychische Beklemmung griff in unseren Krpern Platz. Die Kinnladen waren durch Ghnen verrenkt, die Lungen arbeiteten unter Keuchgeruschen, da die eingeatmete Luft sie fllte, aber wertlos war. Ich lag fast kraftlos auf dem Bett, in einem Dmmerzustand des Bewutseins, und als ich Conseil sagen hrte: Wie gern gbe ich meine Luft fr Monsieur!, kamen mir die Trnen. Ich drngte mich wieder zur Arbeit vor Ort, meine Sehnsucht nach dem frischen Luftstrom aus den Atemgerten trieb mich, und da es allen gleich ging, machte die Arbeit gewaltige Fortschritte. Dennoch blieb niemand lnger als die festgesetzte Zeit drauen, auch der Kapitn nicht. Widerspruchslos traten wir der keuchenden Ablsung unsere Ranzen mit dem Lebenselixier ab. Am Abend trennten uns noch 2 sm vom freien Meer. Aber die Behlter waren fast leer, und es gab keine Luftemeuerung mehr, der Rest wurde fr die Arbeiter aufgehoben. Am anderen Morgen brauchte ich lange Zeit, bis ich wach wurde, ich war vor Angst schweigebadet und fhlte mich elend betrunken. An diesem sechsten Tag unserer Gefangenschaft beschlo Nemo, die Arbeiten mit Pickel und Hacke einzustellen und die noch brige Schicht mit dem Gewicht der Nautilus zu zerdrcken. Der Kapitn war physisch ebenso geschwcht wie wir. Aber er stand durch seine moralische Festigkeit alle Anfechtungen durch, dachte und handelte. Er lie die Nautilus, nachdem alle Mann an Bord waren, etwas steigen und ffnete dann die Ausgleichstanks, so da 100 m3 Wasser hereinstrzten und das Fahrzeug zu Boden drckten. Wir standen und lauschten. Wrde der Sto den Meter Eis unter uns zerbrechen? Pltzlich trat zu dem bedrohlichen lauten Summen in meinem Kopf ein tiefes Drhnen und Bersten, das von auen kam, das Eis krachte und zersprang, wir sanken durch das Loch und fielen pltzlich wie eine Eisenkugel im Wasser. Sofort traten die Pumpen in Aktion und schleuderten das Wasser wieder hinaus, bis die Fallbewegung aufhrte. Das Rotieren der Schraube war zu hren, und bald scho die Nautilus gewaltig angetrieben nach Norden. Ich erlebte diese Bewegung auf einem Sofa in der Bibliothek liegend. Mein Gesicht war violett angelaufen, meine Lippen tiefblau, ich brachte nur schwer einzelne Gedanken zusammen, der Zeitbegriff hatte sich aufgelst, ich sah kaum noch etwas und war zu irgendwelchen Bewegungen unfhig. Ich begann langsam zu begreifen, da dies der beginnende Todeskampf war. 105 Pltzlich kam ich zu mir, merkte, wie ich gierig Luft schlrfte. Hatten wir es geschafft? Waren wir an der Oberflche? Ach nein, was mich trnkte, das waren meine beiden Freunde, Ned Land und Conseil, die ein Atemgert mit einem letzten Restchen Luft aufgetrieben hatten. Ich erkannte, da sie selbst am Ersticken waren, und wollte den Apparat von meinem Mund wegschieben, aber sie flten mir mit vereinten Krften das Leben ein. Ich sah auf die Uhr: 11 Uhr am 28. Mrz. Ich sprang auf. Die Instrumente zeigten, da die Nautilus mit der furchterregenden Geschwindigkeit von 40 sm/h unter Wasser dahinscho - in 6 m Tiefe! Von der Oberflche trennte uns nur noch eine dnne Eisdecke. Zertrmmern! Das war mein erster Gedanke. Und da merkte ich auch schon, wie die Nautilus zu dem Manver ansetzte. Wie ein Rammbock fuhr sie gegen die Decke, erfolglos das erste Mal, dann kam ein Bruch in die Massen, der eiserne Schiffskrper stie nach, zog sich zurck, stie wieder vor und sprengte mit dem letzten Anlauf das Eisfeld zu unseren Huptern, scho aus dem Wasser heraus und brach krachend in die Eisoberflche des Meeres ein. Im nchsten Augenblick drang reine Luft in alle Rume der Nautilus. 26 Seltsamerweise waren wir drei die einzigen, die an Deck strmten, um sich mit frischer Luft frmlich vollzusaufen; Nemo und die Mannschaft blieben unsichtbar. Die Nautilus begann eine reiende Fahrt zu machen, und wieder einmal war unklar, wohin der Kapitn jetzt wollte. Am 31. Mrz, 19 Uhr, befanden wir uns bereits dem Kap Hoorn gegenber, der Sdspitze Sdamerikas. An diesem Abend entschied sich, da wir im Atlantik blieben. Am nchsten Tag lag westlich die Kste von Feuerland; wir tauchten wieder und fanden reichbewachsenen Meeresboden, in dem sich Weichtiere und Schaltiere idyllisch lagerten wie auf fetten Almen. Am anderen Tag lagen die Falklandinseln in Sichtweite, als wir Luft holen kamen, und Dutzende von Gnsen und Enten lieen sich auf der Plattform nieder und wanderten von dort aus in die Kche. Ich beobachtete Trichterfische, ich beobachtete Quallen, aber der Kapitn Nemo lie sich nicht sehen. In den nchsten Tagen im Westen die patagonischen Ksten, dann, 50 sm entfernt, am 4. April die Mndung des Rio de la Plata und Uruguay. Der Kapitn schien die brasilianischen Gewsser nicht zu mgen, denn er strmte nach Norden (immer den Buchtungen der sdamerikanischen Kste folgend), so da wir bereits am 9. April das Kap San Roque passierten, die stliche Spitze des Kontinents. Zwei Tage lang tauchten wir fast unentwegt und sahen am 11. April die Mndung des Amazonas, dessen gewaltige Wasser auf einige Meilen hinaus das Meer versen. Franzsisch-Guayana brachte das Blut in Wallung, aber die Fluchtmglichkeiten waren gering angesichts der rauben See. Den ganzen Tag ber, und auch den 12. 106 April noch, blieben wir an der Oberflche und zogen Netze voller Pflanzentiere, Fische und Reptilien ein. Ein sehr flacher Rochen, wie eine kreisrunde Scheibe geformt und 20 kg schwer, brachte Conseil in Bedrngnis. Das Tier zappelte auf der Plattform und versuchte, wieder ins Meer zu entkommen, da erwischte ihn Conseil mit beiden Hnden. Sofort strzte er zu Boden und brllte: Hilfe, ach, Herr, Monsieur, helft, oh! Ned Land und ich sttzten ihn und massierten ihn krftig, bis er wieder bei vollem Bewutsein war und das Tier klassifizierte, obwohl ihm niemand seinen Namen verraten hatte. Ein Zitterrochen war's. Ich werde mich rchen! Und wie? Das Biest kommt mir heute abend auf den Tisch! Was auch geschah, jedoch war die Rache nicht s, nicht angenehm, sondern zh wie Leder. Die Mannschaft der Nautilus fing Seeschildkrten, und unser Fahrzeug nahm zusehends Abstand von der amerikanischen Kste. Am 16. April durften wir Guadeloupe und Martinique aus der Ferne betrachten. Der Fischreichtum dieser Gewsser hielt mich ganze Tage vor dem Fenster, nur mit Notizbuch und Bleistift bewaffnet. Am 20. April fuhren wir in durchschnittlich 500 m Tiefe, und die Pflanzen, die wir an den steil aufsteigenden Felsen sahen, schienen einer riesenhaft vergrerten Welt anzugehren. Unser Gesprch kam auf kolossale Meerestiere, und um 11 Uhr vormittags machte mich Ned Land darauf aufmerksam, da die Tangmassen, die wir vom Fenster des Salons aus beobachten konnten, in heftige Bewegung gerieten. Diese Tangwaldungen sind wahre Polypenhhlen, erklrte ich. Und es wrde mich nicht wundern, wenn wir eins von diesen Tieren zu sehen bekmen. Simple Kopffler... Nein, riesenhafte Meerpolypen ... Ach, Professor, die Mrchen kenne ich auch. So ein Ding mchte ich erst mal anfassen, bevor ich daran glaube. Aber es ist schon vorgekommen, da Kraken Schiffe in den Abgrund gerissen haben, belehrte ihn Conseil. Wer hat dir denn das erzhlt? Die ersoffenen Seeleute? Aber Ned, sagte ich, es gibt auch eine ganze Reihe von Gelehrten, die von der Existenz der Riesenkraken berzeugt sind. Eben, Gelehrte, sagte er. Aber Fischer niemals. Was soll denn der Streit? fragte Conseil ungeduldig. Was brauchen wir Vermutungen. Ich selbst bin Zeuge. Ich habe mit diesen meinen eigenen Augen gesehen, wie ein groes Schiff von den Armen einer Riesenkrake umschlungen und in den Abgrund gezogen wurde. Was? Das hast du gesehen? Allerdings. Selbst? Persnlich? Mit eigenen Augen? Du sagst es. 107 Und wo, bitte schn? In Saint Malo. Ah, ja dann! In Saint Malo. In dem entzckenden kleinen Hafen von Saint Malo! Nein, durchaus nicht. In der Kirche von Saint Malo. In einer Kirche!!!??? Jawohl, mein Freund. Ein Gemlde darin stellt den fraglichen Polypen dar. Oh, ja schn, gut, ich glaube es dir, weil es so absurd ist, rief der Kanadier rgerlich. Eine Legende, Meister, beruhigte ich ihn. Sie wissen ja, was wir Naturwissenschaftler von Legenden zu halten haben. Aber wir knnen uns auch an dem Bericht meines Freundes Paul Bs, Kapitn in Le Havre, orientieren. Bs hat im Indischen Ozean eine Krake von ungeheurer Gre gesehen. Oder an dem Vorfall auf der Alecton, die sichtete 1861 nordstlich von Teneriffa, etwa auf gleicher Breite wie wir jetzt, eine Riesenkrake. Der Kommandant nherte sich dem Tier, lie es mit Harpune und Gewehr angreifen, ohne etwas auszurichten, denn der Stahl und das Blei drangen durch das gallertartige Fleisch hindurch. Aber seinen Leuten gelang es, eine Schlinge um den Krper des Tieres zu werfen, und die verfing sich in den Schwanzflossen. Man versuchte, das Tier herauszuziehen, aber es war so schwer, da ihm die Flosse abri. Es verschwand dann ohne diese ntzliche Zierde. Na, brummte der Kanadier, das hrt sich doch schon eher nach Beweis und Tatsache an. Wie gro war denn das Biest? Etwa 6 m im Durchmesser? schlug Conseil vor, der sich dem Fenster wieder zugewandt hatte. Ja, so etwa. Und hatte es nicht am Kopf acht Fangarme sitzen, die wie eine Brut Schlangen durchs Wasser whlen? Allerdings. Und hervorquellende Augen, ganz schn gro!? Ja, das stimmt. Und glich sein Maul nicht einem Papageienschnabel, und zwar einem ungeheuerlichen? In der Tat, mein Lieber! Er ist's! Entweder er ist es selber, oder sein Bruder! brllte Conseil. Wir strzten sofort zu ihm ans Fenster. Tatschlich, da ist das Vieh! rief der Kanadier. Ich sah genau hin und konnte mich eines Ekelgefhls nicht erwehren. Vor dem Fenster bewegte sich ein schreckliches Monster, das seinen Platz in den Schauermrchen wohl verdiente, eine Krake von kolossalen Ausmaen, die auf die Nautilus zukam. In den riesenhaften graugrnen Augen sa ein starrer Blick. Der Kopf-Leib, an dem die Fangarme saen, ma 8 m in der Lnge, und die Glieder waren doppelt so lang, ein jeder Arm mit 200 schrpfkopfartigen Saugnpfen bedeckt. Die ersten klebten bereits von auen an der Fensterscheibe fest. Der hrnerne Schnabel ffnete und schlo sich wie eine Blechschere - eine Molluske mit Vogelschnabel, das war schon ein phantastisches Tier. Die Fleischmasse des 108 Leibes war bestimmt 20 000 kg schwer, ein gedunsener Leib, dessen Farbe fortwhrend wechselte, von einem schwarzblulichen Grau bis zu braunroten Tnen. Wahrscheinlich war das Tier gereizt, wahrscheinlich pate ihm die Nautilus nicht. Ich war trotz des Ekels glcklich ber den Zufall, der mir Gelegenheit gab, eines dieser selten beobachteten Tiere zu studieren. Vielleicht ist es die Krake von der Alecton! sagte Ned Land. Dann mte ihr ein Arm fehlen, meinte Conseil. Nicht unbedingt, klrte ich ihn auf. So was wchst nach. Bei den Mnnchen ist sowieso einer der acht Arme zum Begattungsorgan ausgebildet, ist hohl und mit Samenpatronen gefllt (denn der Polyp zieht seinen Samen auf Hlsen). Manchmal findet nicht einmal eine direkte Begattung statt, sondern der achte Arm reit sich bei der heftigen Umarmung los, bewegt sich selbstndig weiter bis in die Mantelhhle des Weibchens, wo sich die Telegenese dann vollzieht. Und anstelle des abgerissenen Hektokotylus bildet sich ein neuer. Also ist Invaliditt in diesem Fall kein unvernderliches Kennzeichen. Aber da sehe ich sechs oder sieben andere Tiere, und das macht es schon viel unwahrscheinlicher, da wir der bekannten Krake begegnet sind. Man hrte jetzt zwischen den Schraubengeruschen das Kratzen der Schnbel an der Schiffswand; die Erfolglosigkeit der Bemhungen mute die Kampflust der Tiere noch steigern, und wir wrden lange Begleitung haben. Ich setzte mich vor dem Fenster nieder, um in Ruhe vor dem Objekt meine Aufzeichnungen zu machen. Da wurde die Nautilus langsamer und stand pltzlich mit einem Ruck still. Das Schraubengerusch setzte aus. Sind wir gestrandet? Jedenfalls sitzen wir nirgends auf. Ich begann mich ber den Vorfall zu wundem, als die Salontr aufging und der Kapitn in Begleitung des Ersten Offiziers hereintrat. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Sein Gesicht war dster. Er trat vor das geffnete Fenster und betrachtete die Tiere. Dann sprach er einige Worte zu seinem Gefhrten, der wieder verschwand. Kurz darauf schlossen sich die Lden, das Licht im Salon ging an. Eine merkwrdige Polypensammlung da drauen, sagte ich zum Kapitn im unbefangenen Ton eines Aquariumbeschauers. Sie irren sich tatschlich nicht, Herr Naturforscher, antwortete er. Und Sie knnen auch gleich nhere Bekanntschaft mit den Tieren machen. Wir werden ihnen mit der Axt in der Hand auf den Leib rcken. Ich dachte zuerst, ich htte den Kapitn nicht richtig verstanden. Mit der Axt... ? fragte ich. ... in der Hand, antwortete er. Haben Sie nicht gehrt, wie die Schraube steckenblieb? Einer dieser Gelbschnbel mu dazwischengekommen sein. Und was wollen Sie dagegen tun? Wir tauchen auf und vernichten gleich die ganze Brut. Und wie stellen Sie sich das vor? Schwierig. Aber meine elektrischen Kugeln richten bei diesen Tieren nichts aus, ihr Fleisch ist zu weich. Die Axt ist die einzige brauchbare Waffe. 109 Und die Harpune, wenn sie richtig trifft, sagte Ned Land. Falls Sie meine Hilfe annehmen. Aber gern. Wir kommen auch mit. Auf der mittleren Treppe standen bereits zehn Mann mit Enterbeilen bewaffnet. Auch Conseil und ich bekamen xte, Ned wog seine Harpune in der Hand. Die Nautilus lag bereits an der Oberflche, und zwei Matrosen schraubten die Bolzen der Luke auf. Sie waren kaum damit fertig, als der eiserne Deckel von einem Polypenarm hochgerissen wurde, und gleich darauf kam der Arm voller Saugnpfe die Treppe herab. Nemo fhrte den ersten Axthieb und trennte das Glied vom Leib der Krake. Es rutschte zuckend und sich krmmend zu Boden. Aber als wir hochstrzten, um auf die Plattform zu gelangen, reichten bereits zwei weitere Arme herein und griffen sich den ersten Matrosen, der vor dem Kapitn die Stufen hochsprang. Er wurde aus dem Schiffsleib emporgerissen und von dem mchtigen Arm in der Hhe ber uns geschwenkt. Mit einem Schrei war der Kapitn an Deck, wir hinterher. Der eingerollte Arm mit den saugenden Schrpfkpfen brachte den Unglcklichen fast zum Ersticken, und in seiner Todesangst schrie er um Hilfe - und das auf franzsisch. Ich war ber diese Entdeckung erschttert. Dieser Augenblick der Lebensgefahr offenbarte mir, da ich einen Landsmann an Bord besa, vielleicht mehrere ... Ich werde diese Worte mein Lebtag nicht vergessen. Er schien mir verloren, denn wer sollte ihn der erdrckenden Umschlingung entreien? Der Kapitn hatte sich auf das Untier gestrzt und ihm ein zweites Glied abgehauen, dann fielen weitere. Die Mannschaft kmpfte gegen ein anderes Tier, das von rckwrts angriff, wir hieben in die Fleischmassen ein und sprten, wie ein starker Moschusgeruch die Atmosphre durchdrang, sprten aber kaum etwas von nachlassender Kraft, Verletzung, Schmerz, Todeskampf bei dem Tier. Einen Augenblick lang hatte ich Hoffnung mit dem Unglcklichen und glaubte, er werde dem Schicksal des Ausgesaugtwerdens entgehen. Sieben der acht Arme waren bereits gefallen, nur die Fangschlange mit dem Opfer wiegte noch durch die Luft. In dem Augenblick aber, als sich Nemo und der Erste Offizier auf das Tier strzten, traf uns alle die Ladung tintenschwarzer Flssigkeit, die es verspritzte, wir wurden blind und sahen nicht mehr, was geschah. Dann waren wir durch die Wolke hindurch und entdeckten, da die Krake mit meinem Landsmann verschwunden war. Jetzt fielen wir mit loderndem Zorn und gesteigerten Krften ber die anderen Tiere her und wteten mit den xten in ihrem Fleisch. Zehn oder zwlf Angreifer hatten wir gegen uns, die Plattform war zu schmal fr den Kampf, zu glatt von Blut und Tinte und zu voll mit abgetrennten Gliedern. Unter den fast 100 rkelnden und schlagenden Armen wirkte es, als wchse jedes abgeschlagene Glied wie bei einer Hydra gleich wieder nach. Ned Land traf nur die Augen mit seiner Harpune und bohrte sie aus. Da packte mich eisiger Schrecken: Ein Arm streckte meinen Gefhrten mit einem Schlag zu Boden, hielt ihn dort fest, und schon ffnete sich der grliche Schnabel 110 ber dem Kanadier - da strzte der Kapitn heran, placierte seine Axt mit einem gewaltigen Rundschlag zwischen den Kiefern der Krake, Ned benutzte den Augenblick, um aufzuspringen und aus nchster Nhe dem Tier seine Harpune ins Herz zu jagen. Ich war Ihnen eine Revanche schuldig, bemerkte der Kapitn. Ned Land verbeugte sich kurz, gab aber keine Antwort. Der ganze Kampf hatte fnfzehn Minuten gedauert, dann ergriffen die briggebliebenen Tiere die Flucht, verstmmelt, schon zu Tode getroffen, berwltigt. Wir stiegen alle hinunter, und da ich als letzter ging, sah ich den Kapitn Nemo blutbeschmiert und zerrissen, hoch aufgerichtet auf der Plattform stehen und ins Meer starren. 27 Zehn Tage lang blieb der Kapitn nach diesem 20. April unsichtbar. Man sprte am Kurs der Nautilus, da ihn der Verlust seines Gefhrten getroffen hatte: unser Fahrzeug segelte ziellos an der Meeresoberflche, dem Spiel der Wellen wie ein Leichnam berlassen. Dieser Franzose (wrde sich das Rtsel seiner Herkunft noch lsen lassen?) erlebte den Korallenfriedhof nicht mehr. Strker als zuvor qulte mich das Geheimnis der Mannschaft. Am 1. Mai kam pltzlich Nordrichtung in den Kurs unseres Fahrzeugs. Wir folgten von den Bahamas aus dem Golfstrom, einem der wichtigsten und merkwrdigsten Strme in den Weltmeeren. Er tritt als selbstndiger Flu von durchschnittlich 60 sm Breite aus dem Golf von Mexiko heraus und folgt der Ostkste Nordamerikas, nimmt unter Neufundland Ostrichtung ein, umgeht die kalten Wasser des Grnlandstroms und zieht sich dann nordstlich zwischen Island und Schottland hindurch. Sein Wasser strmt mit einer Geschwindigkeit bis zu 9 km/h dahin, es ist wrmer, salzhaltiger und tiefblauer als das des umgebenden Ozeans. Der Strom zieht eine ganze Welt von Lebewesen mit sich; da wimmelte es von Argonauten, Rochen und kleinen Haifischen. Am B. Mai hatte er uns vors Kap Hatteras gebracht. Auf der Nautilus bewegte sich niemand frei auer uns dreien, und in solcher Landnhe kam Ned natrlich wieder auf die Flucht zu sprechen. Es wre wohl gegangen, denn das Meer wimmelte von kleinen Schiffen, die im Kstenverkehr fuhren, die Kste selbst lag nur 30 sm entfernt. Aber die Witterung war sehr ungnstig. Man hat den Golfstrom auch den Vater der Strme, die Heimat der Windhosen genannt, und die Orkane sind in diesen Breiten so hufig wie nirgendwo sonst. Da es gefahrlich war, diesen Strom mit dem kleinen Boot bestehen zu wollen, sah auch Ned Land ein. Aber er war mit seiner Geduld fast am Ende. Monsieur, sagte er zu mir, es mu endlich Schlu sein! Ich will endlich davon loskommen! Ihr Herr Nemo entfernt sich schon wieder von der Kste und steuert in den hohen Norden. Ich sage Ihnen, ich hab1 schon vom Sdpol die Schnauze voll und werde ihm nicht auch noch zum Nordpol folgen! 111 Was tun, Meister? Im Augenblick knnen wir nicht fliehen. Ich sage, was ich schon immer gesagt habe. Sie mssen mit dem Kapitn reden. Als wir durch die Meere fuhren, an denen Ihre Heimat liegt, haben Sie nichts gesagt. Jetzt fahren wir durch meine Meere, und wenn Sie nicht den Mund aufmachen, rede ich. Wenn ich daran denke, da wir in ein paar Tagen die Kste von Neuschottland, Neufundland passieren, zwischen denen ein Flu mndet, der St.-Lorenz-Strom heit, an dem meine Heimatstadt liegt, mein Flu, meine Stadt Quebec, Monsieur, dann struben sich mir die Haare vor Wut, dann strz1 ich mich lieber kopfber ins Meer, als da ich noch einen Augenblick lnger hierbleibe. Seine vitale Natur konnte die Gefangenschaft offensichtlich nicht mehr lange ertragen. Sein Gesicht verfiel von Tag zu Tag mehr, sein Gemt wurde dster, umschattet, und ich fhlte, wie er litt, da auch mir das Heimweh zu schaffen machte. Wir waren sieben Monate ohne Nachricht von der Erde. Kapitn Nemo lie sich immer seltener sehen, seine Stimmungswechsel, besonders sein Schweigen seit dem Kampf mit den Kraken, wirkten bedrckend. Ich begann pltzlich, unsere Fahrt mit anderen Augen zu sehen. Die Begeisterung des Beginns war erloschen. Man mute schon so flmisch-phlegmatisch sein wie Conseil, um diese Umstnde mit Gleichmut zu ertragen. Conseil htte sich, mit ein paar ordentlichen Kiemen versehen, widerspruchslos in das Reich der Fische eingegliedert. Also? fragte Ned Land. Also was? antwortete ich. Sie wollen, da ich Nemo frage, was er mit uns vorhat? Ja. Aber er weicht mir aus. Ich sehe ihn selten. Ein Grund mehr, ihn endlich zu stellen. Also gut. Ich werde ihn fragen. Wann? Wenn ich ihn ... Monsieur, wollen Sie, da ich selbst hingehe!? Nein, schon gut, ich werde ihn morgen ... Heute. Bitte. Heute. Wie Sie wollen. Aber er war schon verschwunden. Ich beschlo, sofort den Kapitn aufzusuchen, weil mir erledigte Sachen immer lieber sind als unerledigte. Ich ging in mein Zimmer und trat an die Verbindungstr. Nebenan hrte ich Nemo auf und ab gehen. Ich klopfte. Er antwortete nicht. Ich klopfte wieder und drckte die Klinke. Die Tr ging auf. Er sa jetzt am Tisch, arbeitete wieder. Offenbar hatte er mein Klopfen nicht gehrt. Ich wollte diesmal eine Antwort haben, und ich trat auf ihn zu. Er hob den Kopf, sah mich, runzelte die Stirn. Was wollen Sie? Mit Ihnen reden. Ich bin beschftigt, mein Herr, ich arbeite, falls Sie das nicht sehen. Warum gnnen Sie mir das Alleinsein nicht? Ich lasse Ihnen doch auch diese Freiheit. 112 Ich habe Ihnen wichtige Dinge mitzuteilen, sagte ich khl. Ah, haben Sie Entdeckungen gemacht, die ich noch nicht kenne? fragte er ironisch. Hat Ihnen das Meer neue Geheimnisse offenbart? Hier, Monsieur Aronnax, Sie sollen mal dieses Manuskript lesen. Es ist in mehreren Sprachen geschrieben, darunter in der Ihren. Es enthlt die Summe meiner unterseeischen Forschungen, und es enthlt auch eine kurze Biographie. Wenn es Gott gefallt, werden die Menschen all das kennenlernen, denn wer von uns auf der Nautilus berlebt, wird es in einem wasserdichten Kstchen dort dem Meer bergeben, wo wir uns gerade befinden. Und es wird landen, wo es landen wird. Sein Name? Seine Geschichte? Sein Geheimnis enthllt? Eines Tages ... Kapitn, sagte ich, ich finde Ihre Idee nicht gut. Ihre Erkenntnisse drfen nicht verlorengehen, und das werden sie bei der primitiven bermittlungsmethode. Wissen Sie, in welche Hnde das Manuskript fallt? Sollten nicht lieber Sie oder einer Ihrer Gefhrten ... Niemals! Aber ich und meine Freunde sind bereit, dies Manuskript zu bewahren, wenn Sie uns die Freiheit geben. Die Freiheit!!!??? Ja. Darber wollte ich mit Ihnen reden. Wir leben jetzt sieben Monate an Bord der Nautilus, und ich frage Sie, ob Sie uns ewig hierbehalten wollen. Monsieur Aronnax, die Antwort darauf ist heute die gleiche wie am ersten Tag: Wer die Nautilus betritt, verlt sie nur tot. Also Sklaverei? Nennen Sie's, wie Sie wollen. Gut. Aber ich sage Ihnen eines: berall auf der Welt hat ein Sklave das Recht, um seine Freiheit zu kmpfen, und zwar mit allen Mitteln, die ihm dazu geeignet erscheinen. Na und? Wer nimmt Ihnen denn dieses Recht? Hab1 ich Sie jemals zu Treueschwren aufgefordert? Er sah mich mit verschrnkten Armen an. Monsieur, sagte ich, das ist das erste und das einzige Mal, da wir ber dieses Thema sprechen. Ich will Ihnen alles sagen. Es handelt sich hierbei nicht nur um mich. Fr mich ist das Studium ein Halt, eine wirksame Ablenkung, eine Neigung, eine Leidenschaft, bei der ich alles andere vergessen kann. Mir macht es ebenso wenig aus wie Ihnen, wenn ich unbekannt bin, im Dunklen lebe, in der schwachen Hoffnung, da eines fernen Tages die Zukunft von den Ereignissen meiner Arbeit Kenntnis erhlt. Mit anderen Worten: ich kann Sie bewundern - in gewissen Dingen, die Sie tun und die ich verstehe. Aber es gibt noch mehr Seiten Ihres Lebens, und dort herrschen Verwirrungen und Geheimnisse, die meinen Gefhrten und auch mir vllig fremd sind, mit denen wir niemals etwas zu schaffen haben knnen. Selbst wenn unser Herz fr Sie schlug, wenn Ihre Leiden oder Ihre Tapferkeit uns bewegt haben, muten wir unsere Sympathie im Zaum halten, um erst zu prfen, was vom Freund, und was vom Feinde kam. Alles was Sie angeht, ist uns fremd, und das macht unsere Lage reichlich untragbar, auch fr mich, unmglich aber vor allem fr 113 Ned Land. Haben Sie sich schon mal berlegt, welche Rachegedanken die Freiheitsliebe in diesem Mann entznden mu? Das ist mir vllig gleichgltig. Ich habe ihn nicht zu mir eingeladen. Ich halte ihn hier nicht fest, weil es mir etwa Vergngen macht. Sie, Professor, knnen alles verstehen, selbst das Schweigen. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Und wenn Sie wieder mit diesem Thema anfangen, werde ich Ihnen gar nicht erst zuhren. Als ich meinen Gefhrten den Inhalt der Unterhaltung mitteilte, stand der Entschlu des Kanadiers fest: so rasch von Bord wie mglich. Long Island! hie die hoffungsvolle Parole. Aber am 13. Mai kam der Orkan zum Ausbruch, der sich die Tage zuvor durch turmartige Anhufungen der Wolken, milchige Atmosphre und starkes Absinken des Luftdrucks angekndigt hatte. Wir waren nur wenige Meilen von New York entfernt, als das Unwetter losbrach. Nemo htte tauchen knnen, aber aus irgendwelchen Grnden blieb er an der Oberflche, ja: er stieg auf die Plattform hinauf. Ich folgte ihm, halb aus Bewunderung, halb aus Trotz. Gegen 15 Uhr ging der Wind bereits im Sturmschritt, mit 25 m/sec. Nemo band sich mit einer Leine, die er wie einen Grtel um die Hfte schlang, fest, ich tat desgleichen. Wolkenfetzen fegten ber das entfesselte Meer und tauchten in die Fluten ein. Ich sah nur noch langgezogene rufarbige Wogen, die so dicht standen, da sich ihre Spitzen nicht brachen; sie wurden immer hher, trmten sich gegenseitig hoch und warfen die Nautilus von einer Seite auf die andere, lieen das Fahrzeug stampfen und schwanken und wie einen Mast sich aufbumen. Gegen 17 Uhr begann wie ein reiender Gebirgsbach Regen herabzustrzen, der Orkan brach mit 45 m/sec Geschwindigkeit los; so rasend legt er Huser um an Land, schleudert Dachziegel fort, drckt eiserne Gatter ein und wirft 24-Pfunder-Kanonen um. Der Nautilus, der starken sthlernen Spindel, konnte er nichts anhaben. Die Wogen stiegen bis 15 m hoch, mehr als 150 m lang, und der Orkan wurde zur Nacht noch strker, das Barometer sank bis auf 710 mm. Im letzten Dmmerlicht erkannte ich undeutlich ein groes Schiff am Horizont und erkannte auch dessen Kampf mit dem Meer. Um 22 Uhr war der dunkle Himmel voller Feuerregen, Blitze zuckten herab, deren Glanz ich nicht ertrug, entsetzliche Donnergetse fllten die Luft, die mir die Trommelfelle zu sprengen drohten, und darunter mischten sich das Heulen des Windes und das Tosen der See. Die Gischt unter dem stndig berspringenden Wind verwandelte sich in glitzernde, zuckende Feuertropfen, und mich durchfuhr der Gedanke, da Nemo hier drauen einen ausgefallenen Tod suche. Mit letzter Kraft kroch ich zur Luke und ins Innere zurck. Um Mitternacht kam der Kapitn nach. Ich hrte, wie sich die Wasserbehlter fllten; wir sanken. Noch in 20 m Tiefe wurde unser Schiff von den gewaltig bewegten Massen hin und her geworfen. Dann aber hatten wir 50 m Tiefe erreicht, und dort: welche Ruhe, welche tiefe, absolute Stille, welch ein Frieden. Wer htte dort unten den Orkan auf der Oberflche geglaubt? 114 28 Der Sturm hatte uns weit nach Osten geworfen. Ned Land lie sich jetzt ebenso wenig sehen wie der Kapitn. Nur Conseil und ich konnten noch miteinander reden. Der Kurs war jetzt wieder unsicher, grob nordostwrts, meist an der Oberflche unter dichten Nebeln, manchmal in ziemlicher Tiefe. Diese Nebel sind fr die Seefahrt furchtbar, unzhlige Schiffe sind deswegen in diesen Breiten bereits gesunken. Der Grund des Meeres bot den Anblick eines ausgedehnten Trmmerplatzes, auf dem die ausrangierten Opfer des Wassers und der Strme sich huften, Mann und Maus, Schiff und Gert, hauptschlich Auswanderer, die angesichts Kap Race baden gingen, Solway, Isis, Paramatta, Canadian, Hungarian, Anglo-Saxon, Humboldt, United States, ach, ihr stolzen Schiffe, alle gescheitert, Arctic, Lyonnais, President, Pacific, City of Glasgow, nach Zusammensto gesunken oder unerkannt entschwunden in die Tiefen, in den Totengrund! Am 15. Mai lieen wir die Neufundlandbank hinter uns. Am 17. Mai waren wir bereits 500 sm von Heart's Content entfernt und beobachteten in einer Tiefe von 2800 m das Transatlantikkabel. Das erste dieser Kabel wurde 1857/58 gelegt und lebte 400 Telegramme lang. 1863 sollte ein neues Legen angehen, aber der Versuch scheiterte. Warum, sahen wir am 25. Mai, 636 sm von der irischen Kste entfernt, in einer Tiefe von 3836 m: dort war das Kabel gerissen. Man fischte damals das Ende wieder heraus, spleite es mit dem nchsten Ende zusammen und legte von neuem, aber dann ri das Kabel wieder und konnte nicht mehr aus dem Meer gefischt werden. Cyrus Field, der sein ganzes Vermgen der Kabelsache zur Verfgung gestellt hatte, verlor den Mut nicht. Eine neue Subskription wurde berraschend gut gezeichnet, und jetzt wurde ein Kabel in Gummihlle verfertigt, darum ein Stoffpolster, und darum noch eine Metallhlle. Am 13. Juli 1866 stach die Great Eastern wieder in See. Diesmal verlief die Operation gut - bis die Ingenieure entdeckten, da zuweilen Ngel in bestimmten Abstnden im Kabel staken. Kapitn Andersen aber reagierte sofort. Er lie verknden, da er den Saboteur, wenn er ihn erwischte, ohne weiteres ber Bord gehen lassen wrde, und die Nagelei hrte schlagartig auf. Am 27. Juli erreichte die Great Eastern den Hafen von Heart's Content, und das junge Amerika schickte dem alten Europa die so selten verstandene Weisheit Ehre sei Gott in der Hhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens als erstes Telegramm. Wir folgten dem Draht auf dem Hochplateau unter Wasser und sahen, da es glcklich ausgewhlt war: nirgends brachten schroffe Abgrnde das Kabel in die Gefahr zu reien. Am 28. Mai befand sich die Nautilus nur noch 150 km von Irland entfernt. Den tglichen Manvern war nicht zu entnehmen, was Nemo mit seinem Schiff vorhatte. Am 31. Mai streiften wir die Kanalmndung, aber ich konnte nicht glauben, da Nemo sich in diesen Schlauch wagen wrde. Den ganzen Tag lang beschrieb er 115 Kreislinien auf dem Wasser, als suche er nach etwas, das er auf dem Meeresgrund verlo ren hatte. Am l. Juni setzte er diese Bewegungen fort. Er kam fter selber auf die Plattform und nahm die Position auf, lie sich aber nicht ansprechen. An diesem Mittag lag das Meer vollkommen ruhig, und als Nemo den Sextanten absetzte, sagte er klar und deutlich: Hier. Er stieg hinab, ich folgte, wir tauchten. In 830 m Tiefe bekamen wir Grund. Im Salon ging das Licht aus, die Fensterwnde glitten zurck. Das Meer war vom Scheinwerfer erleuchtet. Ich sah hinaus. Zu unserer Linken bildete der Boden eine bizarre Erhhung, die ich zunchst fr eine Ruine hielt, von weien Muschelschalen zugeschneit, dann aber erkannte ich in der Masse die verdickten und vergrberten Formen eines Schiffes ohne Masten, das hier gesunken sein mute. Welches Schiff aber? Frher hie das Schiff Le Marseillais, sagte pltzlich der Kapitn neben mir. Seine Stimme war seltsam kalt, er redete langsam, aber unendlich bestimmt. Es trug 74 Kanonen und stach 1762 in See. Am 13. August 1778 lieferte es unter dem Kommando von La Poype-Vertrieux der Preston eine heldenhafte Schlacht. Am 4. Juli 1779 war es unter Admiral Estaing bei der Einnahme von Granada dabei. Am 5. September 1781 nahm es an der Seeschlacht des Comte de Grasse in der Bucht von Chesapeak teil. 1794 nderte die Franzsische Republik seinen Namen. Am 16. April des gleichen Jahres stie es zum Geschwader von Villaret-Joyeuse, das eine Ladung Weizen aus Amerika begleitete, die der Admiral Van Tabel befehligte. Am 11. und 12. Prairial des Jahres 2 hatte es Feindberhrung mit englischen Schiffen. Heute, Monsieur, am 1. Juni, ist der 13. Prairial, und es ist genau 74 Jahre her, da hier, unter 47 24' nrdl. Breite und 17 28' westl. Lnge, dieses Schiff nach heroischem Kampf seine drei Masten verlor, als das Wasser bereits in seine Rume drang, als ein Drittel der Mannschaft niedergeworfen war; es ist 74 Jahre her, da es sich mit seinen 356 Mann und dem Ruf >Es lebe die Republik! < lieber versenkte als dem Feind auslieferte. Le Vengeur! rief ich. Der Rcher! Jawohl, Le Vengeur. Ein schner Name. Diese Art zu reden, das Unvorbereitete des Auftritts, der kalte Bericht von den patriotischen Taten des Schiffes, die Erregung, mit der die letzten Worte gesprochen wurden, der Name Vengeur: all das machte auf mich einen tiefen Eindruck. Ich konnte diesen Mann jetzt nicht mehr aus den Augen lassen, der dort stand und die ruhmbedeckten Reste betrachtete. Wahrscheinlich wrde ich niemals erfahren, wer er war, woher er kam, wohin es ihn trieb, aber es unterschied sich doch immer deutlicher bei ihm der Mensch und der Gelehrte. Nicht die gewhnliche Geringschtzung hatte Nemo und seine Gefhrten bewegen, sich in der Nautilus zu verkriechen, sondern ein berirdischer Ha von monstrsen Ausmaen, so erhaben, da keine Zeit ihn auslschen konnte. Entlud sich dieser Ha in Racheakten? Als wir wieder an die Oberflche kamen und die Luken geffnet wurden, hrte ich einen dumpfen Knall. Kapitn!? Er rhrte sich nicht. Ich stieg hinauf und fand Conseil mit dem Kanadier auf der Plattform. 116 Was war das fr ein Ton? Ein Kanonenschu, Monsieur, sagte Ned Land. Ich entdeckte in 6 sm Entfernung ein Schiff, das offenbar mit voller Kraft auf uns zuhielt. Knnen Sie erkennen, was fr ein Schiff das ist? Der Takelage und dem Aufbau nach ein Kriegsschiff, Monsieur. Knnen Sie die Nationalitt erkennen? Nein, es trgt keine Flagge. Aber der lange schmale Wimpel am Hauptmast verrt, da es mit Sicherheit ein Kriegsschiff ist! Nach einer Viertelstunde erkannten wir, da es sich um einen Zweidecker handelte, bewaffnet und gepanzert. Die Segel waren eingerollt, aus zwei Schloten mittschiffs stieg Rauch. Es nherte sich rasch. Wenn es nur bis auf eine Meile herankommt, strz1 ich mich ins Meer, und Sie werden mir folgen! sagte Ned Land mit zusammengepreten Zhnen. Ich antwortete ihm nichts, aber genau den gleichen Gedanken hatte auch ich gehabt. Monsieur wird sich erinnern, da wir nicht die schlechtesten Schwimmer sind, sagte Conseil. Ich werde Monsieur schon bis zu dem Schiff bugsieren, wenn Monsieur Ned Land folgen will. Ich wollte gerade antworten, als am Rumpf des Kriegsschiffes eine weie Wolke sichtbar wurde. Einige Sekunden spter spritzte es am Heck der Nautilus auf. Dann hrten wir den Knall. Die schieen auf uns, flsterte ich erschrocken. Mit Verlaub, Monsieur, sagte Conseil, die haben den Narwal erkannt und schieen auf den Narwal. Aber die mssen doch sehen, da sie's mit Menschen zu tun haben! Vielleicht ebendeshalb. Und dann begriff ich. Wahrscheinlich hatte man inzwischen Klarheit ber den vermeintlichen Narwal - die Abraham Lincoln war ihm ja nahe genug gekommen. Wahrscheinlich wute man, da die Gefahr von einem unterseeischen Fahrzeug drohte und nicht von einem berirdischen Seetier. Damals gehrten wir zu den Jgern, jetzt waren auch wir die Gejagten. Die Verfolgung hatte wahrscheinlich nie aufgehrt, und in jener Nacht, die wir eingesperrt verbringen muten, hatte wohl ein solcher Kampf zwischen Nemo und seinen Verfolgern stattgefunden, ein Kampf, bei dem der Kapitn den Mann verlor, den wir dann auf dem Korallenfriedhof beisetzten. Was wir in der Vergangenheit mit diesem Mann Nemo erlebten, zog an mir vorber, und ich wute, da wir auf jenem Schiff nur erbarmungslose Feinde antreffen konnten. Jetzt trafen schon hufiger Geschosse bei uns ein, manche prallten am Meeresspiegel ab und hpften mit kleinen Sprngen davon, alle verfehlten die Nautilus. Das Kriegsschiff war 3 sm von uns entfernt. Ich verstand nicht, warum Nemo unter Deck blieb, denn von diesen Spitzgeschossen htte ein einziges gengt, um die Nautilus ernstlich zu beschdigen. Ich hab's! rief der Kanadier pltzlich und ri sich das Hemd vom Leib. Wir mssen Signale geben. Dann werden sie merken, da wir keine Feinde sind! Er kam nicht zum Schwenken, ein furchtbarer Faustschlag streckte ihn zu Boden. 117 Elender! donnerte der Kapitn, der pltzlich hinter uns aufgetaucht war. Soll ich dich an den Schiffsnabel nageln, bevor er sich in den Rumpf da drben bohrt!? Mehr noch als ber diese Worte erschrak ich ber sein Gesicht: Es war totenbleich, seine Augpfel schienen winzig klein und zurckgezogen, ich hatte das Gefhl, als schlge sein Puls nicht mehr. Aus diesem Totenantlitz kam die brllende Stimme und verriet etwas von der Kraft, die in ihm steckte, die in seinen Armen und Hnden war, die Ned Land im eisernen Griff niederhielten. Gehen Sie runter! fuhr er uns an. In diesem Augenblick erhielt der Rumpf der Nautilus einen Streifschu. Verschwinden Sie endlich! Monsieur, wollen Sie etwa dieses Schiff angreifen? fragte ich. Ich werde es in den Grund bohren, Monsieur! Das drfen Sie nicht, Monsieur. Aber ich tue es, Monsieur! Spielen Sie nicht den Richter, Monsieur. Sie haben zufallig gesehen, was Sie nicht sehen durften. Tut mir leid! Der Angriff hat begonnen. Der Gegenschlag wird schrecklich sein. Verschwinden Sie, Monsieur! Was ist das fr ein Schiff? Sie wissen es nicht? Um so besser. Machen Sie, da Sie runterkommen, Monsieur! Ich mute gehorchen. Conseil und Ned Land kamen mit. Ich zog mich in mein Zimmer zurck und merkte, da wir uns jetzt in rascher Fahrt aus der Schuweite des Schiffes entfernten. Um 16 Uhr hielt ich es nicht mehr in meinem Zimmer aus. Ich ging bis zur Mitteltreppe, sah die Luke offen und wagte mich hinaus. Der Kapitn marschierte mit hastigen Schritten ber die Plattform. Das Schiff folgte uns im Abstand von 6 sm. Nemo spielte das alte Spiel. Ich wollte noch einmal versuchen, mit ihm zu reden. Aber ich hatte kaum das erste Wort heraus, da fuhr er mich an: Monsieur! Ich bin im Recht. Ich bin das Recht. Ich bin die Gerechtigkeit. Ich bin der Unterdrckte. Dort ist der Unterdrcker. Durch ihn habe ich alles verloren, was ich liebte und verehrte. Vaterland, Frau, Kinder, Vater, Mutter. Alles zugrunde gegangen. Da ist alles, was ich hasse. Schweigen Sie! Ich wute jetzt, da wir fliehen muten. Besser mit jenem Schiff untergehen als an dieser Rache teilnehmen, deren Gerechtigkeit keiner von uns ermessen konnte. Die Nautilus behielt ihre Geschwindigkeit, mit der sie den Angreifer hinter sich herlockte, bei, auch am Abend, als eine mondhelle Nacht anbrach. Ich glaubte mehrere Male, Nemo wende zum Angriff (das wre der Augenblick gewesen abzuspringen), aber es waren immer nur Tuschungsmanver. Um 3 Uhr morgens stieg ich zur Plattform empor, die der Kapitn noch nicht verlassen hatte. Das Schiff folgte in einem Abstand von 2 sm, und es hielt, wie wir damals, immer auf das phosophoreszierende Oval im Wasser zu. Ich erkannte seine Warnleuchten, rot und grn, und die weie Schiffslateme am Fockstag. Ein schwacher Widerschein im Takelwerk zeigte, da man die Kessel mit Feuern unter Volldampf hielt. Um 6 Uhr morgens begann die Kanonade von neuem. Der Erste Offizier erschien mit einigen Mnnern auf der Plattform; sie legten das Gelnder der Plattform um. Pltzlich senkten sich auch die Gehuse von Scheinwerfer und Steuermann, bis sie 118 dem Schiffskrper gleich waren. Ich eilte die Treppe hinab, um meine Kameraden aufzusuchen. Der schreckliche 2. Juni war angebrochen. Ich sprte, wie wir langsamer wurden, wie die Donnerschlge der Kanonen strker wurden, nher kamen. Der Augenblick ist da! sagte ich zu Ned Land und Conseil. Gebt mir die Hand. Gott steh uns bei. Jetzt raus! In dem Augenblick, als wir die Tr der Bibliothek ffneten, hrten wir, wie der Lukendeckel zufiel. Zu spt! Ich konnte in den Augenblicken, die dem Zusammensto vorausgingen, keinen vernnftigen Gedanken zusammenbringen. Wir erwarteten die Katastrophe, aber wir konnten nicht sehen, was geschah. Unsere Ohren waren unsere einzige Verbindung nach drauen. Wir hrten das Drhnen aus dem Maschinenraum und das strker werdende rhythmische Donnern der Schraube. Die Nautilus nahm Anlauf, sie zitterte am ganzen Krper. Pltzlich schrie ich leise auf. Ich hatte einen Sto versprt, aber leichter, als ich erwartete. Wir hrten das Knirschen, Kratzen und Schaben am sthlernen Schnabel, der in den Schiffsrumpf eingedrungen war, wie eine Nadel durch Segeltuch. Ich konnte mich nicht mehr halten, ich strzte blindlings in den Salon. Dort stand Nemo. Stumm starrte er aus dem linken Fenster. Ich trat heran. Drauen sank eine enorme Masse langsam und schweigend unter Wasser, und die Nautilus sank mit, um das Schauspiel ganz auszukosten. In nur 10m Entfernung sah ich den aufgeschlitzten Rumpf, in den die Wassermassen hineinstrzten, dann die Reling, die Kanonen und Panzerschanzen. An Deck wimmelte es von schwarzen Gestalten. Das Wasser stieg. Die Gestalten wimmelten in die Taue, versuchten, an den Masten emporzurutschen, berkugelten sich im Wasser. Ein ganzer Menschenschwarm, der hier im grnen Meerwasser elend zugrunde ging. Ich sah es an, mit weit aufgerissenen Augen, gelhmt, schreckensstarr, lautlos; das riesenhafte Schiff ging langsam ein in die unendliche Tiefe des Meeres. Die Nautilus trieb langsam davon. Pltzlich der dumpfe Laut einer Explosion. Die Luft im Innern hatte das Verdeck gesprengt. Der Druck der Explosion warf die Nautilus etwas zur Seite. Das Schiff sank schneller. Der menschengefiillte Mastkorb zog an uns vorbei, dann das Geblk voll schwarzer Trauben, dann die hchste Spitze des Hauptmastes, und dann kamen nur noch schwarze kleine Leichen hinterher, die die Wirbel in den Grund nachrissen. Als das zu Ende war, ging der Kapitn mit unsicheren Schritten auf die Tr seines Zimmers zu, drang ein, warf sich nieder, und sein schwerer Leib wurde von Schluchzen geschttelt. 29 Die Lden fuhren vor die Fenster, aber im Salon blieb es dunkel. Ich strzte davon, durch die Dunkelheit und durch das Schweigen im Schiffsinneren, bis in mein 119 Zimmer, wo Ned Land und Conseil noch immer saen. Grauen vor dem Kapitn hatte mich gepackt, ich konnte nicht sprechen. Die Nautilus zog nordwrts, das war an diesem Tag das letzte, was ich den Instrumenten entnehmen konnte, danach standen sie still. Ich sprte die hohe Geschwindigkeit, mit der wir durch den Atlantik nach Norden fhren, aber ich verlor die Orientierung ber die Ksten, die wir streiften, ber die Gewsser und ber die Folge von Tag und Nacht. Ich schtze, da dieses Strmen, diese Flucht nach der Rache 20 Tage dauerte, aber ich kann mich irren, und ich wei nicht, wie lange es so weitergegangen wre, htte nicht die Katastrophe diese Reise beendet. Nicht ein Mann der Besatzung lie sich blicken, auch der Kapitn blieb unsichtbar. Wenn wir Luft nahmen, ffneten und schlossen sich die Luken automatisch. Das Auftauchen dauerte immer nur kurze Zeit. Nauron respoc lorni virch wurde nicht mehr gesprochen. Niemand ma die Stundenwinkel. Keiner trug unsere Position auf der Karte ein. Innen und auen herrschte Verlassenheit vor. Wir nherten uns dem Ende. Auch Ned Land machte sich selten. Nach allem, was Conseil mir von ihm erzhlte, mute ich furchten, da er gemtskrank geworden war. Conseil frchtete, er werde Selbstmord begehen. Als ich eines Morgens nach qulendem, krampfhaftem Schlaf mit Kopfschmerzen erwachte, sah ich Ned Land ber mich gebeugt. Er flsterte: Wir fliehen. Wann? Heute nacht. Die berwachung an Bord hat anscheinend aufgehrt. Das ganze Unternehmen hier macht mir einen verstrten Eindruck. Sind Sie dabei? Ja. Wo befinden wir uns? Ich wei nicht. Aber ich habe heute ganz frh beim Luftholen Land gesehen. 20 sm entfernt. Was fr Land, wei ich nicht. Aber wir schaffen es bis dahin. Ja. Wir schaffen es. Und selbst, wenn uns das Meer umbringt: Ich will heute fliehen, sagte ich. Die See ist rauh, der Wind ist strmisch, aber wir haben ein gutes Boot. Lebensmittel und Wasser habe ich schon hineingeschafft. Ja. Das ist gut. Das ist das Richtige. Ich bin dabei. Wenn sie mich schnappen, hau1 ich mich bis zum letzten Blutstropfen, Monsieur. Ja, Meister, ich bin dabei. Dann sterben wir eben zusammen. Dieser letzte Tag an Bord wurde mir lang. Um 18.30 Uhr kam Ned Land noch einmal in mein Zimmer, wo ich auf dem Bett lag, und sagte: Wir sehen uns bis zur Abfahrt nicht mehr, Monsieur. Sie sind um 22 Uhr am Boot. Der Mond ist dann noch nicht aufgegangen, wir nutzen die Dunkelheit. Klar? Klar. Ich ging darauf in den Salon und sah mir alle die Ksten und Schaustcke, die er enthielt, noch einmal an, die prachtvollen Schtze, die mit ihrem Besitzer in den Tiefen des Meeres zugrunde gehen wrden ... eines Tages ... Ich kehrte in mein Zimmer zurck, legte feste Kleidung an und verbarg meine Notizen an meiner Brust. Ich fhlte dabei mein Herz klopfen. Jetzt durfte mich Nemo nicht sehen, an meiner Aufregung htte er alles erkannt. Ich trat an die Tr zu seinem ~120 Zimmer und horchte: Schritte. Er war darin. Er lag nicht im Bett. Bei jedem Schritt schien mir, er kme auf mich zu, die Tr werde sich ffnen, er werde dort stehen, mich ansehen und fragen: Warum fliehst du? Meine Vorstellungen setzten mir immer strker zu, vergrerten die Gefahr, indem sie die Sinneseindrcke vergrberten, und es gab einen Augenblick, in dem ich in Versuchung war, die Tr aufzureien, zu ihm hinzutreten und ihm ins Gesicht zu sehen, mit aller Entschiedenheit, mit allem Trotz. Ich warf mich aufs Bett, um diesem verrckten Einfall nicht nachgeben zu mssen. Ich wurde ruhiger, meine Nerven entspannten sich so weit, da ich in einen bilderreichen Halbschlaf fiel, in dem die Szenen meines Aufenthalts an Bord wie Theaterkulissen ber die Bhne meines Bewutseins getragen wurden, der Schiffbruch, die Unterseejagd vor Crespo, die gefahrvolle Torrespassage, die Eingeborenen von Neuguinea, das betubende Essen, der Korallenfriedhof, die Suezdurchfahrt, der kretische Taucher, die Bai von Vigo, Atlantis, der Sdpol, der Kerker im Eise, Kraken, Golfstrom, Vengeur und Rache, und dieser Mensch Nemo wuchs sich zu einer bermenschlichen Gestalt aus, nicht irdisch, nicht von meiner Gattung, nicht meinesgleichen, ein Geist der Meere. Die Kopfschmerzen waren bis 21.30 Uhr unertrglich geworden, ich sa auf dem Rand meines Bettes und hielt mir mit beiden Hnden den Schdel, damit er nicht zersprang. Ich schlo die Augen. Ich wollte nicht mehr denken. Ich wollte nicht mehr warten. In diesem Augenblick hrte ich die Klnge der Orgel durch die eisernen Wnde dringen. Die Musik, traurig, drang in meinen Kopf ein, fllte ihn, erlste mich von der Spannung des Wartens und beruhigte meine Empfindungen. Aber dann durchfuhr mich ein eisiger Schreck: Nemo im Salon! Ich mute da durch, wenn ich zum Boot wollte! Er wrde mich sehen. Wurde er sprechen? Alles erkennen. Ein einziges Wort von ihm konnte mich fr immer an Bord fesseln. Es war gleich 22 Uhr. Ich mute auf. Ich mute hinaus. Ich mute hindurch. Ich stand auf. Ich ffnete meine Tr. Ich ging durch den Gang, ich hielt an der Ecktr des Salons inne, um mein Herz zu beschwichtigen. Ich ffnete die Tr. Der Salon war dunkel, die Orgel ging sehr schwach, der Kapitn sah mich nicht. Ich ging mit ganz kleinen Schritten. Ich brauchte fnf Minuten, um den Salon zu durchqueren. Ich legte die Hand auf die Klinke der Tr zur Bibliothek. Da ging ein Seufzen durch den Raum. Ich drehte mich um. Ich sah Nemo. Er kam auf mich zu, schwebend fast, die Arme verschrnkt. Ich sah ihn wie ein Gespenst. Ich sah ihn schluchzen. Ich sah ihn murmeln. Ich hrte die Worte: machend-o-herr-mach-ende. Ich floh. Kommen Sie! rief der Kanadier mit unterdrckter Stimme. Wir zwngten uns durch die untere Einstiegsluke ins Boot. Ned Land verschlo den Boden wieder mit dem Englnder, den er sich irgendwo an Bord gestohlen hatte. Er lockerte bereits die Schrauben, mit denen das Boot an der Nautilus festhing. Da hrten wir von unten Stimmengewirr. Waren wir entdeckt? Ich fhlte pltzlich, wie Ned Land mir einen Dolch in die Hand drckte. Ja! flsterte ich. Es wurde lauter unter uns, und aus all dem Rufen schlte sich ein frchterliches Wort heraus: Malstrom! 121 Wir waren also an der gefahrlichsten Stelle des Meeres, vor der norwegischen Kste, wo ein gigantischer Wasserwirbel alles in die Tiefe ri, was in seine Kreisbewegung geriet ... dem ist noch nie ein Schiff entkommen, durchfuhr es mich, ein 15 km breites saugendes Feld, entstanden aus den Strmungen, die hier zusammenflieen, Schiffe verschlingend und Wale und Eisbren ... Wir mssen an der Nautilus dranbleiben, rief Ned Land, als die Kreisbewegung begann. Der Strudel hatte uns gepackt. Wir wurden an die Wnde des Bootes gepret. Von drauen drang das Brausen des strzenden Wassers zu uns, unter unseren Fen brllte die Nautilus mit der Kraft all ihrer Maschinen auf, um sich gegen den Zugriff des Meeres zu wehren. Wir mssen die Schrauben wieder fest... Da ri das Boot vom Leib der Nautilus ab und wurde in den Strudel hineingeschleudert. Ich schlug mit dem Kopf gegen die eiserne Bordwand und verlor die Besinnung. 30 Damit war die Reise unter den Meeren zu Ende. Ich habe keine Erinnerung an die Nacht im Malstrom, ich wei nicht, wie wir ihm entkommen sind. Als ich aus meiner Betubung erwachte, lag ich in der Htte eines Fischers von den Lofoten. Meine Gefhrten knieten an meiner Seite. Wir umarmten uns. Wir knnen jetzt nicht gleich in unsere Heimat zurckkehren, die Schiffsverbindungen zwischen dem hohen Norden und der brigen Welt sind sprlich. Ich mu das Dampfboot abwarten, das alle zwei Monate auf dem Weg zum Nordkap hier vorbeikommt. Ich sehe also durch, was ich mir von unseren Abenteuern notiert habe. Die Aufzhlung ist vollstndig, was ich durch Zahlenmaterial belegen konnte, habe ich belegt. Es wurde nichts ausgelassen, nichts bertrieben, was vorliegt, ist der getreue Bericht einer Expedition in ein Element, das dem Menschen bisher nicht zugnglich war, das ihm der Fortschritt jedoch eines Tages erschlieen wird. Aber wird man mir glauben? Ich wei nicht. Das ist mir nach alledem auch gleichgltig. Ich fhle mich jetzt etwas berechtigter, ber alle jene Meere zu reden, die ich in neun Monaten durchstreift habe, 20 000 franzsische Meilen lang, 50 000 sm lang, 90 000 km lang, die doppelte quatorstrecke. Was aus der Nautilus geworden ist? Ob sie dem Malstrom entkam? Ob Kapitn Nemo noch lebt? Ob er noch weiter als Rcher der Meere um die Welt fahrt? Ob die Fluten eines Tages sein Manuskript ansplen und sein Geheimnis enthllen? Ich wei es nicht. Ich kann nur fr ihn hoffen. Es gibt nur zwei Menschen auf der Welt, welche die Tiefen des Abgrunds erforscht haben. Der eine ist Nemo. Der andere bin ich. 122